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BERICHT/223: Was will die Plattform "Schritte zur Abrüstung" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 6 - Dezember 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Was kann, was will, was soll die Plattform "Schritte zur Abrüstung"?
Reflexionen über den "Schritte"-Workshop in Kassel

Von Florian Wieckert


Wer von außen oder aber als passives oder - wie der Autor dieser Zeilen - relativ neues DFG-VK-Mitglied erstmals auf die "Schritte zur Abrüstung" stößt, sieht sich mit einem Phantom konfrontiert: Was sind die "Schritte zur Abrüstung" eigentlich? Was wird unter ihnen subsumiert? In welchem Verhältnis stehen sie zur DFG-VK?

Vor etwa acht Jahren entstand die Idee, dass die DFG-VK eine zentrale Kampagne benötige, um militärische Mittel und Kriegspolitik grundsätzlich in Frage stellen und zivile Perspektiven entwickeln und vermitteln zu können, zumal die in den 1990-er Jahren dominierenden kurzfristigen Aktionen weitgehend wirkungslos geblieben waren. Die Kampagnen-Aktiven einigten sich auf sieben zu kommunizierende Kernforderungen: (1) Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, (2) Deutliche Verkleinerung der Bundeswehr und Abschaffung der Wehrpflicht, (3) Abzug aller Atomwaffen aus der BRD, (4) Kürzung der Rüstungsausgaben um mindestens 5 % jährlich, (5) Stopp aller Rüstungsexporte, (6) Förderung ziviler Konfliktbearbeitung und der Friedensforschung mit 500 Millionen Euro jährlich und (7) Entmilitarisierung der Europäischen Union.

Der Workshop "Schritte zur Abrüstung: Mitstreiter aktivieren, Mitglieder gewinnen" am 25./26. Oktober in Kassel gab nun Gelegenheit zum Rück- und Ausblick.

Seit 2003 konnte die Schritte-Kampagne eine erhebliche Wirkung entfalten: Bis heute fanden in ihrem Rahmen bundesweit 44 Aktionen statt (Versand u.a. von Protestmails, aber auch öffentlichkeitswirksame Straßenaktionen und Fahrradtouren) und wurden 13 Faltblätter zu Schwerpunktthemen mit einer Auflage von fast 250.000 Stück erarbeitet. Derzeit erhalten 2.300 Personen und Gruppen den "Schritte"-Newsletter direkt; die beiden Homepages "schritte-zur-abruestung.de" sowie "auslandseinsaetze-beenden.de" verzeichneten im letzten Jahr zusammen rund 80.000 Zugriffe, und insbesondere die Fahrradtouren fanden ein enormes Presseecho. Die Spendensummen für die Kampagne stiegen (außer im Jahr 2006) kontinuierlich an.

Zweifellos wird die DFG-VK also wesentlich mit den "Schritten" identifiziert. Dennoch oder gerade deshalb wurden auf dem Workshop diverse Detailprobleme kontrovers diskutiert und Änderungen beschlossen - so sollen der Schriftzug im "Schritte"-Logo verändert, Faltblätter und Homepages aktualisiert sowie die Beziehung zwischen "Schritte"- und DFG-VK-Homepage überdacht werden.

Auch innere Widersprüche der "Schritte" wurden thematisiert: Wie kann die "Schritte-Kampagne einen internen Identifikationsrahmen für die Mitglieder bilden und gleichzeitig beanspruchen, eine offene Plattform auch für andere Friedensbewegte anzubieten? Warum nennen sich die "Schritte" eine "Kampagne", während sie doch nur das Leitbild für einzelne Kampagnen darstellen? Warum beschränken sich die "Schritte" auf eine beliebig erscheinende Reihe von mehr oder minder konkreten Forderungen, die durchaus ergänzt oder aber reduziert werden könnte?

Die TeilnehmerInnen konnten sich zwar auf eine Umbenennung der Schritte-Kampagne in eine "-Plattform" einigen, was die genannten Widersprüche freilich nicht aufhebt. Überdies mögen die "Schritte zur Abrüstung" einen Minimalkonsens innerhalb der DFG-VK formulieren, der allerdings manchen nicht weit genug gehen dürfte und auf einen begrenzten Ausschnitt an Themen und damit verbundenen Aktionsformen setzt, der in einer pluralen Organisation keine uneingeschränkte Zustimmung ernten mag.

Angesichts der großen Erfolge der "Schritte zur Abrüstung" sollte sich die DFG-VK aber mehrheitlich weiterhin und verstärkt zu den "Schritten" als "Plattform" bekennen und diese als wesentlichen Rahmen für unsere Arbeit nutzen. Auch deshalb, weil die DFG-VK an einem essenziellen Gegensatz krankt: Einerseits ist für viele die Unabhängigkeit der einzelnen Gliederungen unantastbar, weil nur unter dieser Voraussetzung Basisdemokratie und Pluralität gewährleistet werden können. Andererseits bedarf die DFG-VK der zentralen Koordination und Kooperation, um ihre Ziele wirksam artikulieren zu können, die sich letztlich nur bundesweit durchsetzen lassen.

Auch ohne die von Ringo Bischoff, Bundessekretär der ver.di-Jugend, auf dem Workshop nahegelegte Vermarktung der DFG-VK unter der Bedingung einer zu schaffenden "corporate identity", die das Autonomieprinzip langfristig verdrängen könnte, bieten die "Schritte zur Abrüstung" als Plattform die Chance, dieses Dilemma praktisch zu überwinden: Jeder Ortsgruppe, jedem Landesverband und auch der Bundesebene steht es frei, sich unter Nutzung der Strukturen und Materialien des "Schritte"-Netzwerks für konkrete pazifistische Ziele einzusetzen, die sich unter die "Schritte-Forderungen fassen lassen. Im nächten Jahr werden dies vor allem die Themen Afghanistan, Atomwaffen und Rüstungsexporte sein, die v.a. anlässlich des Nato-Gipfels und der Bundestagswahl kommuniziert werden sollen.


Florian Wieckert ist Mitglied der Gruppe Frankfurt am Main.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 6 - Dezember 2008, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
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E-Mail: zc@dfg-vk.de
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009