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BERICHT/218: Atomwaffen in die Mülltonne (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - November 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Atomwaffen in die Mülltonne
Erfolgreiche Antikriegsaktion in Büchel

Von Udo Paulus und Roland Blach


Mehrere tausend KriegsgegnerInnen folgten am 30. August dem Aufruf des Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen!", um in der Nähe des Eifelortes Büchel vor dem Haupttor des Atomwaffenlagers den unverzüglichen Abzug der dort noch lagernden 20 Atomsprengköpfe zu fordern. Die DemonstrantInnen, die auf einer 16-Kilometer-Strecke in einem langen Zug das Atomwaffengelände umrundeten, stehen für den bewussten Teil der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung (in einer aktuellen Forsa-Umfrage 84 Prozent), die sich für den Abzug der Atomwaffen ausspricht. Immer noch beteiligt sich Deutschland an der Einsatzplanung der Atomwaffen in der Nato, stellt die Bundeswehr eigene Flugzeuge und Piloten für den Einsatz von Atomwaffen zur Verfügung, üben Bundeswehr-Piloten den Einsatz von Atomwaffen. Jede dieser Atomwaffen hat ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Atomsprengsätze, die Hiroshima und Nagasaki zerstörten.

"Lasst uns alle die Besen schwingen und die letzten Atomwaffen aus Deutschland symbolisch in die Tonne kehren" ist das Motto der Kampagne "unsere zukunft - atomwaffenfrei", die von 48 Organisationen aus allen Teilen Deutschlands getragen wird ."Dies ist die bisher größte Protestaktion am Atomwaffenstützpunkt Büchel und ein großartiger Erfolg für die Friedensbewegung", sagte Sven Hessmann als Sprecher der Kampagne. Verschiedene RednerInnen entlarvten insbesondere die Doppelzüngigkeit der Regierenden, von anderen den Verzicht auf Atomwaffen zu verlangen, selbst aber weiterhin auf atomare Abschreckung zu setzen. Ein Abzug sei ein erster wichtiger Schritt zu einer atomwaffenfreien Welt, dem freilich weitere Schritte folgen müssten: Der komplette Ausstieg Deutschlands aus der "nuklearen Teilhabe" und keine Zurverfügungstellung von Kampfbombern und Soldaten der Bundeswehr für den Einsatz von Atomwaffen.

Bereits um kurz vor 8 Uhr waren 16 RadsportlerInnen der Pacemakers gestartet, um das Militärgelände in einer großen Schleife siebenmal zu umfahren. Sie trugen mit ihrem kräftigen Pedaleinsatz die Botschaft der AtomwaffengegnerInnen in alle umliegenden Orte, um nach der siebten Umrundung und 180 gefahrenen Kilometern mit riesigem Beifall auf der Hauptbühne während der zentralen Kundgebung empfangen zu werden.

Ein Work- und Aktionscamp bildete vom 16. August bis zum 3. September die Basis der Organisation. Der einzige Bio-Obstbauer der Region hatte zwei seiner großen Wiesen für etwa 600 TeilnehmerInnen etwa zwei Kilometer vom Haupttor entfernt zur Verfügung gestellt.

Obwohl das Innenministerium ein Riesenaufgehot der Polizei rund um Büchel aus dem gesamten Bundesgebiet konzentrierte und nicht zum ersten Mal der Bürgerkriegs-Ernstfall im Schulterschluss mit der Generalität geprobt wurde, gelang es drei belgischen Friedensaktivisten, über den Zaun zu klettern. Ihre Aktion, die militärische Grenze zivilgesellschaftlich zu überschreiten, verstand sich im Zusammenhang mit gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams in enger Abstimmung zwischen allen beteiligten Organisationen. Auch Angie Zelter, Trägerin des alternativen Nobelpreises, beteiligte sich an Aktionen zivilen Ungehorsams vor dem Haupttor des "Fliegerhorstes. Neben den drei belgischen Demonstranten nahm die Polizei sieben weitere Personen in Gewahrsam, die es am Tor zwei wagten, Flugblätter an die Feldjäger der Bundeswehr zu verteilen.

Auf der Abschlusskundgebung vor dem Haupttor brachten u.a. Horst-Eberhard Richter und Barbara Rütting sowie mehrere internationale Gäste ihren antimilitaristischen Protest und ihre Solidarität mit der Friedensbewegung zum Ausdruck. Richter nannte es "ungeheuerlich, dass die Bundesregierung nach wie vor den eindeutigen Mehrheitswillen der Bevölkerung ignoriert. Jürgen Rose, Oberstleutnant und Sprecher des "Darmstädter Signals" forderte die Soldaten auf, ihr Gewissen zu prüfen und mögliche Befehle zum Einsatz der Atomwaffen zu verweigern.

Auf dem Benefizkonzert präsentierten zahlreiche KünstlerInnen aus verschiedenen Musikrichtungen ihren friedenspolitischen Willen mit dem Höhepunkt des abschließenden Auftritts von Nina Hagen. Die bekannte Rocksängerin bezeichnete die Aktionen als "riesengroßes Signal": "Es geht darum, ein atomares Wettrüsten in ein Friedensrennen umzuwandeln."

Dem unermüdlichen und fast einjährigen Engagement des bestens von Uli Wohland und Annett Gnass von der Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden moderierten Kampagnenrats "unsere zukunft - atomwaffenfrei" sowie Mitgliedern der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen und des regionalen Initiativkreises gegen Atomwaffen war es zu verdanken, dass am 30. August die größte Aktion stattgefunden hat, die jemals in Büchel organisiert wurde. Viele Initiativen aus Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz folgten der Bitte des Kampagnenrats und organisierten insgesamt 24 Busse (!) in die entlegene Eifel. Mehr als einhundert Einzelpersonen und Organisationen unterzeichneten einen Aufruf zur Beteiligung an der Demo in Büchel, der zum Hiroshimatag am 6. August als Anzeige in der "taz" veröffentlicht wurde. Die DFG-VK war mit vielen Aktiven sowohl in der Vorbereitung als auch am 30. August beteiligt. Insbesondere Joachim Schramm als Landesgeschäftsführer von NRW und Roland Blach als Landesgeschäftsführer in Baden-Württemberg taten sich dabei besonders hervor.

Mit den Camps und Aktionen im Vorfeld haben dadurch die größten und vielfältigsten Aktionen in Deutschland gegen Atomwaffen stattgefunden, die es seit Ende des Kalten Krieges gab: 14 Tage Aktion mit wohl annähernd 3.000 Beteiligten!

Der sehr professionellen Kampagnenarbeit ist es zu verdanken, dass es eine überaus umfangreiche Medienberichterstattung gab. Täglich berichtete die "Rhein-Zeitung" in der Lokal- und überregionalen Ausgabe bereits während des Camps und der Umrundungen.

Am 30. August und in den Folgetagen berichteten dann mehrere Dutzend überregionale und regionale Zeitungen, alle großen Fernsehanstalten sowie etliche Lokalsender und die regionalen Hörfunksender von den Protesten. Zusätzlich sind professionelle Filmaufnahmen aus dem Umfeld des Kampagnenrats sowie einige persönliche Videos entstanden. Die meisten Berichte, viele Fotos und viele weitere Informationen sind einsehbar unter www.atomwaffenfrei.de sowie www.graswurzel.tv


Udo Paulus ist regelmäßiger Teilnehmer der Pacemakers-Radmarathons,
Roland Blach ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Baden-Württemberg.


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Petition für ein atomwaffenfreies Deutschland

In Ergänzung der Aktionen in Büchel haben Friedensgruppen, darunter die DFG-VK, und die Jugendverbände verschiedener Parteien Ende Juli gemeinsam eine Petition für eine atomwaffenfreie Zukunft auf den Weg gebracht.

Die Bundestagsabgeordneten werden darin aufgefordert, "sich nachdrücklich für den Abzug der im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten Atomwaffen sowie für den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Als ersten Schritt hierfür soll der Bundestag über die hierzu bereits vorliegenden Anträge in diesem Sinne abstimmen.

Die Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, "die deutschen nuklearen Abrüstungsschritte im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages öffentlich zu machen, indem der Bundesverteidigungsminister bei der Vorbereitungskonferenz 2009 bekannt gibt, dass er die Bundeswehrsoldaten vom Dienst an der nuklearen Teilhabe befreit hat und dass die atomwaffenfähigen Trägersysteme der Bundeswehr bis 2010 abgerüstet werden. Bei der Überprüfungskonferenz 2010 soll der Außenminister oder der Kanzler bekannt geben, dass Deutschland atomwaffenfrei ist."

Die Petition soll die politischen Entscheidungsträger auffordern und ermutigen, ihren Worten Taten folgen zu lassen, denn dem Bundestag liegen bereits vier entsprechende Anträge zur Entscheidung vor. Zugleich soll die Petition dem Willen der Mehrheit der Bundesbürger Ausdruck verleihen, denn einer von den Internationalen Ärzten zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) Anfang Juli in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage zufolge fordert eine große Mehrheit der Bundesbürger ein atomwaffenfreies Deutschland: 89 Prozent der Bundesbürger stimmten der Aussage zu, dass Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrige Waffen seien, die weder produziert noch gehortet werden dürften. 84 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass die Bundesregierung dafür sorgen sollte, dass die auf deutschem Boden gelagerten Atomwaffen umgehend beseitigt werden sollten und 89 Prozent der Bürger schlossen sich der Meinung an, dass die Atommächte zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt schnellstmöglich mit der Verschrottung der eigenen Atomwaffen vorangehen sollten.

Damit die Petition auch tatsächlich politischen Druck ausüben kann, sollen möglichst viele UnterstützerInnen gefunden werden, weshalb jede einzelne Unterschrift sehr wichtig ist! Die Petition kann online auf der DFG-VK-Homepage (www.dfg-vk.de) und der Homepage der Jusos (www.abruestung-jetzt.jusos.de) unterzeichnet werden. Ende November soll sie dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages übergeben werden.

Zu den bislang mehr als tausend Unterstützerinnen und Unterstützern gehören auch der Literaturnobelpreisträger Günter Grass, die Musiker Nina Hagen. Wolfgang Niedecken und Konstantin Wecker sowie die Schriftsteller Roger Willemsen, Renan Demirkan und Gudrun Pausewang.

Hermann Theisen


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - November 2008, S. 12-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/18 05 82 87, Telefax: 01212/571 94 60 95
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2008