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BERICHT/215: Lizenz zum Staatsstreich (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Lizenz zum Staatsstreich
Bundesregierung ist mit ihren Plänen für Schießbefehle vorübergehend gescheitert

Von Frank Brendle


Einen "ganz miesen" Stil warf der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Gehb, der SPD-Bundestagsfraktion vor, und auch Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach war sauer. "Die Regierungspläne waren keine Verabredung zwischen Tür und Angel", offenbar könnten sich die SPD-Regierungsmitglieder nicht auf ihre Fraktion verlassen.

Was war passiert? Die Bundeswehr darf bis auf weiteres doch nicht im Inland schießen. Anfang Oktober 2008 stellten Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen "Kompromiss" zum Inlandseinsatz vor, den sie noch während der laufenden Legislaturperiode durchsetzen wollten. Doch Bundesländer und auch die SPD-Fraktion weigerten sich, die Einigung mitzutragen. Das Thema ist nun SPD-intern in einen Arbeitskreis verschoben worden, den Zypries und Fraktionschef Peter Struck leiten. "Bundeswehreinsatz im Inland" könnte damit eines der zentralen Wahlkampfthemen werden.

Die geforderte Änderung des Grundgesetz-Artikels 35 bedeute "weder eine Militarisierung der Innenpolitik noch eine Verwischung der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit Es geht nur um die Amtshilfe", hatte Zypries am 9. Oktober in der "Frankfurter Rundschau" behauptet.

Doch der Eindruck, es handele sich um eine harmlose Korrektur der Verfassung, die gar kein öffentliches Aufsehen verdiene, täuscht: Die Bundeswehr sollte ausdrücklich "militärische Mittel" anwenden können (bislang darf sie im Inland nur solche Mittel einsetzen, wie sie auch die Polizei hat, also weder Kampfjets noch Panzer). Und das auch noch eigenmächtig, d.h. gegebenen gegen den Willen der Polizei bzw. gegen den Willen der" betroffenen Bundesländer, und in "Eilfällen", auf Weisung "des zuständigen Bundesministers."

Als Anlass sollte "die Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls" genügen. Das ist eine extrem unscharfe Formulierung. Nach dem Willen der Grundgesetzgeber sollen Inlandseinsätze die absolute Ausnahme sein. Artikel 87a regelt: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt." Eine solch enge Begrenzung verträgt sich aber nicht mit einer Pauschalformulierung, wie sie im vorgeschlagenen Artikel 35,4 vorgesehen war. Im Sprachgebrauch der Bundesregierung (der vom Verfassungsgericht akzeptiert wurde), gelten auch Terroranschläge als "Unglücksfälle".

Zunächst muss man fragen: Glaubt die Bundesregierung wirklich, mit der geforderten Neuformulierung ein vermeintliches Terrorflugzeug abschießen zu dürfen? Das Bundesverfassungsgericht hat einen solchen Abschuss zwar für denkbar erklärt, wenn man genau wüsste, dass entweder ausschließlich Terroristen an Bord sind oder die Maschine unbemannt ist. Das Gericht hat aber auch ausführlich darauf hingewiesen, dass genau diese Tatsachen im Regelfall nicht erwiesen sind. Vom Boden aus kann kaum festgestellt werden, was im Flugzeug wirklich passiert. Keiner weiß, was Entführer wirklich vorhaben - wollen sie ein Hochhaus rammen, oder wollen sie nur ins Ausland fliegen? Keiner weiß, ob wirklich alle Passagiere Terroristen sind. Diese "Irrtumswahrscheinlichkeit" schließt im Zweifelsfall den Abschussbefehl aus. Der Verband der Jetpiloten der Bundeswehr hat aus genau diesem Grund die Schäuble/Zypries-Formulierung als Mogelpackung bezeichnet, die keine Rechtssicherheit biete.

Grundsätzliche Fragen schließen sich an: Die Begründung des Gesetzentwurfs suggeriert, es gehe um "seltene Ausnahmefälle" und um "zielgerichtete Aggressionen gegen den Staat und seine Bevölkerung", also um Terrorangriffe. Doch wieso ist dann pauschal von "besonders schweren Unglücksfällen" die Rede und nicht konkret von der "Abwehr terroristischer Angriffe"? Und weiter: Wieso wird nicht eingeschränkt, dass es sich um einen "unmittelbar bevorstehenden" Angriff handeln muss? So, wie der Entwurf formuliert ist, ist praktisch keinerlei Begrenzung für das Aktivwerden der Bundeswehr vorgesehen, die wenigstens halbwegs dafür bürgen könnte, es ginge tatsächlich nur um "Ausnahmefälle".

Man erinnere sich an den Lokführerstreik: Damals wurde von konservativer Seite gegen die Streikenden gehetzt, weil sie angeblich schweren wirtschaftlichen Schaden anrichteten. Wer will ausschließen, dass dies eines Tages als "Aggression gegen den Staat" angesehen und die Bundeswehr auf den Plan rufen würde?

Ein Brocken, den die Länder nicht schlucken wollten, ist das Vorhaben, den Ländern die "Weisung" erteilen zu können, einen Militäreinsatz zu unterstützen. Und es kam noch dicker: Die Gesetzesbegründung stellte das Recht des Bundesrates, ein Ende der Militärmaßnahme zu fordern, in Frage. Zwar könne er das fordern, aber. "Verschärft sich nach einem Aufhebungsbeschluss des Bundesrates die Gefahrensituation, so kann die Bundesregierung erneut eine Anordnung" zum Bundeswehreinsatz treffen. Ping-pong. Damit es dabei keine "Sicherheitslücke" gibt, fordern Zypries/ Schäuble, dass "im Eilfall" der jeweils zuständige Bundesminister die Bundeswehr auch ohne Rücksprache schießen lassen darf.

Was die Bundesregierung hier geritten hat, ist schwer nachvollziehbar, denn es war ja klar, dass sich die Länderregierungen diese Vorschrift nicht gefallen lassen würden. Die FDP signalisierte klare Ablehnung, aber auch den SPD-Innenministern von Sachsen-Anhalt und von Berlin gingen diese Pläne viel zu weit. Selbst Niedersachsens CDU-Innenminister Uwe Schünemann nannte ein Weisungsrecht des Bundes höflich "überflüssig". Eine Mehrheit im Bundesrat ist also ausgeschlossen - trotzdem versuchte die Regierung tagelang, an ihrem Entwurf festzuhalten.

Käme die Bundesregierung mit all diesen Forderungen durch, würde dies kaum weniger bedeuten als eine Lizenz zum Staatsstreich: Eine Generalklausel, die unter Verzicht auf konkrete Definitionen dem Militär ein Einsatzrecht verleiht und die verfassungsmäßigen Einschränkungen von Artikel 87a und der föderalen Ordnung außer Kraft setzt, wann immer die Bundesregierung irgendwelche "Aggressionen gegen den Staat" im Gange sieht. Davon, dass dieser Entwurf im Vergleich zu den Vorstellungen Schäubles, der gleich ganz und gar ein "Quasi-Kriegsrecht" im Innern fordert, ein geringeres Übel darstelle, kann kaum die Rede sein.

AntimilitaristInnen sollten sich nun aber nicht entspannt zurücklehnen. Der Entwurf der Bundesregierung enthält noch reichlich Verhandlungsspielraum, so dass der SPD-interne Arbeitskreis sich noch auf eine teilentschärfte Fassung einigen könnte, in dem beispielsweise auf das Weisungsrecht des Bundes verzichtet wird. Nach wie vor gilt: Auch die SPD ist dafür, der Bundeswehr das Inland als neue Operationsbasis zu öffnen. Strittig sind nur die Konditionen.


Frank Brendle ist 'ZivilCourage'-Redakteur und aktiv im Berliner Büro für antimilitaristische Maßnahmen sowie im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.


Im Wortlaut

(4) Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen. Maßnahmen der Bundesregierung nach den Sätzen 1 und 2 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates. im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.
(5) Bei Gefahr im Verzug entscheidet der zuständige Bundesminister. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich nachzuholen.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - November 2008, S. 8-9
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2008