Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/206: Dokumentiert - Erklärungen zum Kaukasus-Krieg (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 19 - III/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Dokumentiert: Erklärungen zum Kaukasus-Krieg


Föderation der Arbeitenden in Erziehung, Wissenschaft und Technik (Russland)

Nein zum neuen Krieg im Kaukasus

Der Ausbruch militärischer Aktionen zwischen Georgien und Südossetien droht sich zu einem größeren Krieg zu entwickeln, zwischen Georgien, unterstützt von der Nato auf der einen Seite und dem russländischen(*) Staat auf der anderen Seite. Tausende von Menschen wurden bereits getötet und verwundet - hauptsächlich friedliche Einwohner und Einwohnerinnen; ganze Städte und Dörfer wurden ausgelöscht. Die Gesellschaft ist von einer schmutzigen Flut nationalistischer und chauvinistischer Hysterie überflutet worden.

Wie immer und überall in Konflikten zwischen Staaten gibt es in diesem neuen Kaukasuskrieg keine gerechte Seite, es kann sie auch nicht geben - es gibt nur Schuldige. Die Glut, die jahrelang geschürt wurde, ist nun zu einem militärischen Brand entflammt.

Das Regime Saakaschwili in Georgien hält zwei Drittel der Bevölkerung in Armut, und je mehr die interne Unzufriedenheit im Land wächst, desto mehr wünscht es sich einen Ausweg aus der Sackgasse in Form eines "kleinen siegreichen Kriegs" in der Hoffnung, dass seine Regierungsbilanz vergessen wird.

Die Herrschenden in Russland sind ihrerseits voller Entschlossenheit, ihre Hegemonie im Kaukasus zu erhalten. Heute gebärden sie sich als Verteidiger der Schwachen, aber ihre Heuchelei ist vollkommen klar: Tatsächlich wiederholt Saakaschwili nur, was die Soldateska Putins neun Jahre zuvor in Tschetschenien getan hat.

Die herrschenden Kreise in Ossetien und Abchasiens trachten danach, ihre Rolle als privilegierte Bundesgenossen Russlands in der Region zu stärken und gleichzeitig die verarmte Bevölkerung um die bewährte Fackel der "nationalen Idee" und der "Rettung des Volkes" zusammenzuschweißen.

Die Führer der USA, der europäischen Staaten und der Nato wollen im Gegenteil den Einfluss ihrer russländischen Rivalen im Kaukasus so weit wie möglich schwächen, um sich selbst die Kontrolle über die Brennstoffressourcen und deren Transportwege zu sichern. So wurden wir Zeugen und Opfer der nächsten Runde in der weltweiten Konfrontation im Kampf um Macht, Öl und Gas.

Dieser Konkurrenzkampf bringt den arbeitenden Menschen - ob georgisch, ossetisch, abchasisch oder russländisch - nichts außer Blut und Tränen, unermesslicher Not und Entbehrung. Wir bekunden unsere tiefes Mitgefühl mit den Freunden und Verwandten der zu Tode Gekommenen, mit den Menschen, die als Ergebnis des Krieges ohne ein Dach über dem Kopf und Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts geblieben sind.

Wir dürfen nicht unter den Einfluss der nationalistischen Demagogie fallen, die Einheit mit "unserer" Regierung fordert und die Fahne "Schutz des Vaterlandes" schwenkt. Der Hauptfeind der einfachen Leute sind nicht die armen und ausgeplünderten Brüder und Schwestern auf der anderen Seite der Grenze oder anderer Nationalität. Ihre Feinde sind die Herrschenden und Chefs aller Art, Präsidenten und Minister, Geschäftsleute und Generäle, die Kriege erzeugen, um ihre Macht und ihre Reichtümer zu vermehren.

Wir appellieren an die arbeitenden Menschen in Russland, Ossetien, Abchasien und Georgien, den Köder des Nationalismus und Patriotismus zurückzuweisen und ihre Wut gegen die Herrschenden und Reichen auf beiden Seiten der Grenze zu wenden.

Russländische, georgische, ossetische und abchasische Soldaten! Gehorcht nicht den Befehlen Eurer Kommandeure, wendet Eure Waffen gegen diejenigen, die Euch in den Krieg schicken! Schießt nicht auf die "feindlichen" Soldaten - verbrüdert Euch mit ihnen: das Bajonett im Boden!

Arbeitende Menschen im Hinterland: Sabotiert militärische Anstrengungen, geht hinaus zu Versammlungen und Demonstrationen gegen den Krieg, organisiert Euch und streikt gegen den Krieg!

Nein zum Krieg und zu denen, die ihn organisieren: Herrschende und Reiche! Ja zur Solidarität der arbeitenden Menschen über Grenzen und Frontlinien hinweg!


Anmerkungen
(*) Im Original: rossijskij (= russländisch: auf den Staat und Land Russland bezogen); im Unterschied dazu: russkij (= russisch: auf die russische Ethnie und Sprache bezogen)

Federacija rabotnikov obrazovanija, nauk i techniki (Föderation der Arbeitenden in Erziehung, Wissenschaft und Technik) ist eine anarcho- syndikalistische Gewerkschaftsinitiative im Rahmen der russischen Sektion der IAA (Internationale Arbeiter Assoziation) in Moskau.

Übersetzung aus dem Englischen und Französischen unter Berücksichtigung des russischen Originals: DFG-VK Hessen; entnommen aus dem von Connection e.V. herausgegebenen Rundbrief "KDV im Krieg", Ausgabe September 2008


*


Europäisches Netzwerk Ziviler Friedensdienste

Zivilgesellschaft schützen und unterstützen

EN.CPS begrüßt den Waffenstillstand und fordert bedeutsame Schritte, die Auswirkungen der Kämpfe beizulegen und die Kapazitäten der Friedenssicherung in der Region sowie international zu verstärken.

Die Mitgliedsorganisationen des Europäischen Netzwerkes Ziviler Friedensdienste (EN.CPS) begrüßen das Beenden der Kampfhandlungen und die von den Präsidenten Georgiens und Russlands angeordnete Waffenruhe in Georgien/Süd-Ossetien.

EN.CPS ruft alle Konfliktparteien auf, diesen Waffenstillstand zu respektieren und einzuhalten und von jeglichen weiteren Militäroperationen abzusehen, welche die Menschenrechte und Freiheiten der Zivilbevölkerung beeinträchtigen oder den Konflikt weiter eskalieren lassen würden. Während der Waffenstillstand begrüßt wird, bleibt die Situation weiter explosiv und angespannt. EN.CPS ruft die Europäische Union, die Gus, die OSZE, den Europarat und die Vereinten Nationen ebenso wie alle Freunde und Verbündeten Russlands und Georgiens auf, ihren Einfluss zu nutzen, um den Waffenstillstand zu unterstützen, weitere Eskalation zu verhindern und sicherzustellen, dass alle Parteien angemessene Schritte unternehmen, um echte, allseitige Anstrengungen für eine dauerhafte Konfliktlösung zu unternehmen, welche die legitimen Bedürfnisse und Interessen aller beteiligten Parteien berücksichtigt. Die Regierungen und Behörden in der Region, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, EU und OSZE sowie mit lokalen und internationalen Organisation, sollten schnell handeln um sicherzustellen, dass die humanitären Bedürfnisse der betroffenen Zivilbevölkerung erfüllt werden, indem sie Bewegungsfreiheit für humanitäre Transporte und vollen Zugang zu Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung sicherstellen. Die aufgrund der Kämpfe vertriebene Bevölkerung soll unterstützt und in die Lage versetzt werden zurückzukehren.

Die Eskalation der Situation in Georgien/Süd-Ossetien in einen bewaffneten Konflikt war nicht unvorhersehbar und war ein Ergebnis einer Kette von Aktionen und Reaktionen aller beteiligten Parteien. Um ähnliche Krisen zu vermeiden, rufen wir die internationale Gemeinschaft - und besonders die EU und ihre Mitgliedsstaaten - auf, die Bemühungen um Frühwarn- und schnelle Reaktionssysteme sowie um angemessene Mechanismen und Kapazitäten der Friedensschaffung zu stärken.

Sofortige kurz- oder langfristige Maßnahmen sind zu unterstützen. Es sollte eine Erkundungsmission entsandt werden, die sich in Georgien, Süd-Ossetien, Abchasien und Russland mit Behörden und der Bevölkerung sowie mit nationalen und internationalen, in der Region engagierten Organisationen trifft. Diese Mission sollte eine ausgewogene und allseitige Analyse der Situation voranbringen und praktische Schritte vorschlagen, damit ein echter Prozess der Konfliktbeilegung entwickelt werden kann. In diesem Zusammenhang sollte die Möglichkeit erwogen werden, zivile, ausgebildete Experten der Zivilgesellschaft einzusetzen, z.B. im Rahmen von Zivilen-Friedensdienst-Programmen, die die wichtigsten lokalen Beteiligten der Zivilgesellschaft in ihren Bemühungen beim Friedensaufbau unterstützen und schützen können.


Anmerkung:
Diese Stellungnahme vom 21. August wird unterstützt von den EN.CPS-Mitgliedern und assoziierten Organisationen: Peace Action Training and Research Institute of Romania, Rumänien; Partners for Democratic Change Sovakia, Slowakai; Forum Ziviler Friedensdienst, Deutschland; Austrian Peace Services, Österreich; Alexander Langer Foundation, Süd Tirol, Italien; Peacebuilding UK, Großbritannien; NoVA - Centre for Social Innovation, Katalonien, Spanien; Netherlands Expertise Centre Alternatives to Violence, Niederlande; Bund für Soziale Verteidigung, Deutschland; Norwegian Peace Council, Norwegen; Norwegian Peace Association, Norwegen


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 19, III/2008, S. 4 - 6
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
Redaktion: Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel.: 040/18 05 82 83, Fax: 01212-571 94 60 95
E-Mail: Redaktion@Forum-Pazifismus.de
Internet: www.forum-pazifismus.de

Erscheinungsweise: in der Regel vierteljährlich
in der zweiten Quartalshälfte.
Forum Pazifismus kann nur im Abonnement erworben
werden. Die Bezugsgebühr für ein volles
Kalenderjahr (4 Hefte) beträgt 20, Euro
zzgl. 2,- Euro für Porto und Verpackung.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2008