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BERICHT/193: Kontrapunkt zum Kriegstreibertreffen (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 2 - Mai 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Kontrapunkt zum Kriegstreibertreffen

Die Internationale Münchner Friedenskonferenz 2008

Von Thomas Rödl


Zum sechsten Mal in Folge fand die inhaltliche Gegenveranstaltung zur so genannten "Konferenz für Sicherheitspolitik" in München statt.

Die diesjährige Alternativ-Konferenz hatte zwei Schwerpunkte: Das "Internationale Forum" mit dem Titel "Friedenspolitik angesichts von Klimawandel und Energiekrise" und die "aktuelle Runde" mit dem Thema "Atomraketen - Abwehren oder Abschaffen".

Beim Internationalen Forum sprachen Sabour Zamani, Leiter des afghanischen Kulturzentrums in Berlin zum Thema "Wege zum Frieden für Afghanistan"; Ursula Sladek erhellte als Geschäftsführerin die Frage, wie die Elektrizitäts-Werke Schönau zum Frieden beitragen; Hans-Christoph Sponeck, ehemaliger UNO-Sonderbeauftragter für den Irak, präsentierte seine Überlegungen zu den "Friedensaufgaben der UNO".

(Alle Konferenz-Beiträge werden auf der Homepage www.friedenskonferenz.info zur Verfügung gestellt und gedruckt in einer Dokumentation zusammengefasst)


Atomraketen - Abwehren oder Abschaffen? Ausgangspunkt für das Thema der "aktuellen Runde" war das Projekt der US-Regierung, in der benachbarten Tschechischen Republik eine Radarstation zu errichten. Diese soll Teil eines globalen Raketenabwehrsystems werden und vor allem eine in Polen geplante Stellung von Abwehrraketen mit Daten versorgen.

Auf dem Podium diskutierten nach einer fachkundigen Einführung des Moderators Reiner Braun (Geschäftsführer von "Internationale der Anwälte und Richter gegen Atomwaffen"), der Physiker Prof. Hans-Peter Dürr (gleichzeitig Schirmherr der Friedenskonferenz), Luftwaffengeneral a.D. Hermann Hagena, Wolfgang Schlupp-Hauck (Vorsitzender der Friedenswerkstatt Mutlangen) und Adela Jureckova aus Tschechien (Mitglied im Sprecherrat der Initiative "Ne zakladnam" - "Nein zu den Militärbasen").

Die Besetzung dieses Podiums war in mehrfacher Hinsicht eine Neuerung: VertreterInnen der Friedensbewegung diskutieren mit einem Ex-General - und sind sich in der Ablehnung des Raketenprojekts einig, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen; zweitens war zum ersten Mal ein Gast aus Tschechien auf der Friedenskonferenz in München. Nicht zuletzt bot die Diskussionsrunde den etwa 100 BesucherInnen in komprimierter Form handfeste und solide Informationen und Argumente gegen das US-Projekt der Raketenabwehr.

Hans-Peter Dürr erklärte in seinem Beitrag die Geschichte des ABM-(Raketenabwehr-)projekts aus der Rivalität zwischen US-Air Force und US-Navy um die Sicherung der Zweitschlagskapazitäten und um die Zuteilung von Mitteln. Seiner Auffassung nach geht es bei der Raketenabwehr, damit auch bei den Projekten in Tschechien und Polen, um den Zugang zum und die Kontrolle des Weltraums.

General a.D. Hagena bezweifelte die Funktionsfähigkeit und technische und finanzielle Machbarkeit eines Raketenabwehrsystems. Durch das Projekt würden Mittel gebunden, die an anderer Stelle fehlten. Auch er betrachtet als wirkliches Motiv die Zielsetzung der exklusiven militärischen Kontrolle des Weltraums durch die USA. Als politische Gefahren sieht er die Spaltung der Nato und eine Verschlechterung der Beziehungen zu Russland durch die Basen in Polen und Tschechien.

Adela Jureckova berichtete über die Vielzahl der Aktivitäten von "ne zakladnam", ein Zusammenschluss von 60 Organisationen. Sie berichtete von der Taktik der großen Parteien im Umgang mit den engagierten BürgerInnen, von den Versuchen der Massenmedien, die Bewegung totzuschweigen. Trotzdem seien 70 Prozent der BürgerInnen gegen den Bau der Radarstation. Sie nannte drei wichtige Argumentationen aus der tschechischen Diskussion. Erstens Demokratie: Die Radarstation soll gegen den Willen der Mehrheit durchgesetzt werden, diese fordert aber eine Volksabstimmung. Zweitens Souveränität: Die BürgerInnen wollen kein Werkzeug der US-Militärpolitik werden. Drittens Weltpolitik: Die Raketenabwehr schafft neue Spannungen zwischen Russland und den USA. Eine neue Konfrontation sei aber weder im Interesse der Welt noch der Tschechen. Gemeinsam und in internationaler Zusammenarbeit hätten die Menschen aber eine Chance, die Militärprojekte zu verhindern.

Wolfgang Schlupp-Hauck, auch Mitglied im Beirat des "Global Network against Weapons and Nuclear Power in Space", meinte, die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen führe zu einer neuen Runde im Rüstungswettlauf, weil sie die "andere Seite" zur Aufrüstung zwinge. Russlands Präsident Putin habe die Kündigung des INF-Vertrages, der Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.000 Kilometer Reichweite in Europa verbietet, bereits als Möglichkeit angedeutet. Demgegenüber sei im Rahmen der Uno der Vorschlag unterbreitet worden die Gültigkeit dieses Vertrages auf die ganze Welt auszuweiten was die Entwicklung von Raketensystemen von Schwellenmächten verhindern würde.

In der Diskussion wies Wolfgang Schlupp-Hauck auf die Bemühungen in den Vereinten Nationen hin, bei der nächsten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages konkrete Abrüstungsschritte und einen Zeitplan für allgemeine nukleare Abrüstung zu vereinbaren. Der Vertreter der britischen Regierung habe angedeutet, durch entsprechende Vorschläge wolle Großbritannien zum Vorreiter für eine atomwaffenfreie Welt werden.

Auf Deutschland bezogen plane die Kampagne "atomwaffenfrei 2010" vielfältige Aktivitäten in den kommenden Monaten und Jahren, um "unsere" Regierung dazu zu bewegen, Deutschland atomwaffenfrei zu machen. Dazu müsste sie auf die "atomare Teilhabe" im Rahmen der NATO verzichten und die USA zum Abzug der 20 Atombomben auffordern, die derzeit noch im rheinland-pfälzischen Büchel lagern und für den Einsatz durch deutsche "Tornado"-Bomber vorgesehen sind. In seinem Schlusswort forderte er die BesucherInnen auf, die geplanten Aktionen Ende August am Standort Büchel zu unterstützen (siehe Seite 12 in dieser ZivilCourage-Ausgabe). Eine Welt ohne Atomwaffen brauche auch keine Abwehrraketen.

Unnötig zu erwähnen, dass über die Diskussionsrunde zur Raketenabwehr in den Medien nicht berichtet wurde. (Die DFG-VK-Gruppe München stellt aus dem Mitschnitt der Diskussionsrunde eine Radiosendung zusammen, die dann unter www.dfg-vk.de/muenchen/friedensforum gehört werden kann.)


Thomas Rödl ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands Bayern.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2, Mai 2008, S. 18-19
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2008