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BERICHT/165: Globalisierung, Krieg und Friedensbewegung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - Juni 2007 Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Globalisierung, Krieg und Friedensbewegung
"Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten"
Den Machtmissbrauch der Globalisierungsgewinner und ihre falsche "Sicherheitspolitik" kritisieren

Von Thomas Carl Schwoerer


Mit ihrem Engagement in Heiligendamm macht die DFG-VK deutlich: Es gibt eine starke Protestbewegung gegen Militarisierung und Krieg, die kriegerische Weltordnungspolitik der G8-Staaten und die Hochrüstung der Bundeswehr.

Wir beziehen Stellung gegen die militärischen Auslandseinsätze etwa in Afghanistan. Diese sind Ausdruck der naiven Politik, komplexe politische Probleme ließen sich mit militärischen Mitteln lösen.

Aber schon heute ist die Lage in Afghanistan, um im Beispiel zu bleiben, nicht besser als nach dem sowjetischen Einmarsch. Vor 18 Jahren zog die sowjetische Armee geschlagen aus Afghanistan ab. Aber nicht mangels Truppenstärke - und schon gar nicht mangels Luftaufklärung!

Auch sonstwo hat militärische Überlegenheit nicht zum Sieg geführt - nicht in Tschetschenien, nicht im Libanon. Auch dieser Krieg ist nicht mit militärischen Mitteln zu gewinnen.

Wer diesen Weg weiter geht, wird eine ähnliche Situation wie im Irak herbeiführen und den Terrorismus eher durch neue Rekruten fördern, als ihn zu bekämpfen. Wer hingegen in Afghanistan Sicherheit will, muss sich um den zivilen Aufbau des Landes kümmern, und zwar massiver als bisher - der darf nicht jährlich fast fünfmal so viel Mittel ausgeben für die Stationierung der Bundeswehr in Afghanistan und den Einsatz der "Tornados" wie für den zivilen Aufbau.

Auch durch ihre Rüstungsexporte lösen die G8-Staaten weltweit Unsicherheit und Kriege aus. Sie alleine, zusammen mit China, zählen zu den führenden Rüstungsexporteuren. Deutschland steht ganz oben auf dieser Rangliste und hat seinen Export von Kriegswaffen 2005 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 40 Prozent gesteigert, auf ein offizielles Volumen von 1,6 Milliarden Euro.

Diese Aussagen dürften weitgehend Konsens in der DFG-VK sein. Unstrittig dürfte auch sein, dass die Globalisierung in ihrer heutigen Form durch technische Innovationen ermöglicht wurde: durch die Produktion von Containern und entsprechenden Schiffen mit einem früher undenkbaren Fassungsvermögen, und durch das Internet.

Aber wie bewerten wir die Globalisierung an sich? Verursacht sie Armut, die wiederum eine Kriegsursache ist? Eine Verbandsposition dazu gibt es nicht. Daher kann ich nur meine persönliche Position darstellen als jemand, der Volkswirtschaftslehre studiert und die Debatten seitdem verfolgt hat.

Zunächst ist unstrittig, dass es Verlierer der Globalisierung gibt; auch, dass hierzulande unter den Verlierern der Globalisierung geringer Qualifizierte zu finden sind und dass bessere Bildung - und höhere Bildungsausgaben! - hierfür das beste Gegengift ist. Strittig hingegen ist, ob die Globalisierung rückgängig gemacht werden sollte, selbst wenn das möglich wäre. Soll die Auslagerung von Industriearbeitsplätzen von Deutschland nach Tschechien oder China verhindert werden? Auch unter internationalistischen, friedenspolitischen Gesichtspunkten ist m. E. nicht ersichtlich, weshalb der Arbeitsplatz und der Wohlstand eines tschechischen Arbeiters weniger wert sein sollte als der eines deutschen.

Im Süden der Welt ist Armut weit verbreitet. Aber welchen Anteil hat die Globalisierung daran - und welchen vielmehr der Protektionismus der G8-Staaten, der darauf abzielt, Folgen der Globalisierung abzubremsen? Die G8-Staaten errichten die höchsten Handelsbarrieren der Welt gegen einige der ärmsten Länder. Und die in den Industrieländern subventionierte Überproduktion etwa von Lebensmitteln und Baumwolle treibt den Marktpreis für diese Produkte in den Keller, zum Schaden der Produzenten des Südens.

Es gibt im Süden nicht nur Verlierer, sondern auch viele Gewinner der Globalisierung. Zu diesen zählen eine Reihe von Ländern, von denen man das nicht auf Anhieb vermutet hätte.

In Bangladesch ist der Anteil der Bitterarmen - Maßstab: weniger als 1 US-Dollar pro Tag - in den letzten zehn Jahren deutlich gefallen, von 40 auf 25 Prozent. Das Bruttosozialprodukt wächst stetig mit mindestens 4 Prozent, seit der Jahrtausendwende sogar mit über 6 Prozent. Die Erlöse aus dem Außenhandel stiegen im Jahr 2005 um 17 Prozent. Am erstaunlichsten ist die Geburtenrate: Mit 2,2 Kindern pro gebärfähiger Frau in den Städten und 2,5 auf dem Lande ist sie radikal gesunken - gegenüber sechs Kindern im Jahre 1970.

Ein wichtiger Grund für all dies ist, dass Bangladesch massiv von Direktinvestitionen der Textilindustrie profitiert. Da die Löhne in China in den letzten Jahren stark gestiegen sind, wanderte das Produktionskapital ins - noch - billigere Bangladesch und nach Vietnam aus. Dort findet ein gewaltiger Boom statt. Auch Indonesien und Pakistan erleben einen unvergleichlichen Wirtschaftsaufschwung, trotz terroristischer Unruhen. Und der "Tiger" Südkorea hatte vor 30 Jahren noch ein durchschnittliches jahreseinkommen unter 500 US-Dollar pro Einwohner.

Auch mein Geburtsland Brasilien sowie Mexiko haben ihr Bruttosozialprodukt in den letzten 15 Jahren verdoppelt und somit von der Globalisierung profitiert. Das gilt nicht nur für Lateinamerika oder Asien, sondern auch für Länder des ärmsten Kontinents, Afrika:

Ghana erweist sich als "kleines afrikanisches Wunder". Mauritius ist die wohlhabendste Nation in Afrika. Und wer weiß, dass in Angola und Mosambik, zwei Ländern mit 20 Jahre währenden Stellvertreterbürgerkriegen im Rahmen des Kalten Kriegs, das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren immer wieder die 10-Prozent-Marke überschritten hat? Dass das mittlere Pro-Kopf-Jahreseinkommen von Botswana 5.000 US-Dollar beträgt, obwohl fast ein Drittel der Bevölkerung HIV-positiv ist? Und dass Burkina Faso es in den letzten zehn Jahren geschafft hat, die Zahl der Grundschulen von 300 auf 5.500 zu erhöhen?

In den Industrieländern profitieren die Verbraucher von dem - größeren Wettbewerb, den die Globalisierung verursacht hat. Beispielsweise haben große Konzerne erheblich weniger Macht, Preise anzuheben und damit die Inflation anzuheizen.

Fazit: Nicht ohne Grund hat der Begriff der globalisierungskritischen Bewegung jenen der Globalisierungsgegner abgelöst. Unsere Kritik wird immer dann greifen, wenn sie sich gegen Machtmissbrauch der Globalisierungsgewinner und ihre grundverkehrte "Sicherheitspolitik" richtet.

Ansonsten, etwa bei der Bewertung der ökonomischen Auswirkungen der Globalisierung, sollten wir hinreichend differenziert vorgehen und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Thomas Carl Schwoerer ist Bundessprecher der DFG-VK.


Literaturempfehlungen

Christopher Bayly: Die Geburt der modernen Welt.
Eine Globalgeschichte 1780-1914; Frankfurt/New York 2006

Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus.
Warum die Welt nicht schlechter wird; Frankfurt/New York 2007

Klaus Müller: Globalisierung. Reihe Einführungen; Frankfurt/New York 2003


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - Juni 2007, S. 4-5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2007