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ARTIKEL/328: Die Automatisierung des Krieges (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Die Automatisierung des Krieges
Drohnen und elektronische Kampfführung

Von Torsten Schleip


Im Juli 2012 jammerte der Vorstandsvorsitzende der EADS-Rüstungssparte Cassidian, Stefan Zoller, in der FAZ über sinkende Profite Wegen wegfallender Rüstungsaufträge auf Grund gesunkener Wehretats in einigen europäischen Ländern. Und das, obwohl mit der Produktion des sich ständig Verteuernden Eurofighters die Kasse eigentlich hätte klingeln müssen. Sein Lösungsvorschlag: Einstieg in die Entwicklung und Produktion einer europäischen Drohne "gehobenen Standards" namens Talarion mit Verkaufsaussichten nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, Lateinamerika und den USA. Während er mit dieser Idee in Deutschland offene Türen einrannte, gab Frankreich seine zuvor zögerliche Haltung erst unter der neuen Regierung Hollande auf. Zoller wörtlich: "Ich rechne damit, dass wir dieses Jahr, spätestens Anfang 2013 einen Durchbruch erleben werden. Es wird noch kein Vertragsabschluss sein, aber eine klare Absichtsbekundung geben."

Daraus wurde dann nichts, das deutsche Verteidigungsministerium setzte in bewährter atlantischer Treue auf die Beschaffung der zur Euro-Hawk mutierten US-Drohne Global-Hawk. Für dieses Projekt setzte Kriegsminister Thomas de Maizière knapp 650 Millionen Euro in den Sand, bis sich herausstellte, dass das unbemannte Fluggerät in Deutschland keine Flugerlaubnis bekommen würde - was für Auslandseinsätze zwar irrelevant, aber offensichtlich störend war.

Bevor ihn diese Fehleinschätzung das Amt kosten konnte, wechselte de Maizière ins Innenministerium, und der neue Besen Ursula von der Leyen schickte sich an, dem militärisch-industriellen Komplex zu willfahren. Dadurch dauerte es mit der Absichtserklärung zwei Jahre länger, sie wurde am 18. Mai 2015 von den zuständigen Ressortleiterlnnen Pinotti, Italien, von der Leyen und Le Drain, Frankreich, unterzeichnet. Die aus der Absichtserklärung hervorgehenden Verträge werden laut Bundesverteidigungsministerium im ersten Halbjahr 2016 unterschrieben. Als voraussichtlicher In-Dienststellungstermin wird der Zeitraum zwischen 2020 und 2025 angepeilt. Es kann davon ausgegangen werden, dass es wieder einmal länger dauert.

Was gewiss ist: Die Kosten für Entwicklung und Produktion werden neue Rekordmarken im Rüstungsgeschäft setzen. Wer sich vertiefend einarbeiten will, dem sei die topaktuelle IMI-Studie "Eine Drohne für Europa" vom 26. Januar empfohlen
http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2016_Pletsch_EUDrohne_final.pdf


Problem 1: Der Krieg, der ist so gnadenlos, was mach ich ohne Drohne bloß...

Auch nicht vorhandene Not macht erfinderisch. Wenn es mit der eigenen Drohne so schnell nichts wird, lässt man erst mal die lieben Verbündeten verdienen. Es kann schließlich nicht angehen, dass die Sicherheit der Bundesrepublik, egal wo, durch eine Truppe verteidigt Wird, deren Gewehre nicht treffen, deren Flugzeuge nur tagsüber fliegen und die außerdem nicht mal Drohnen hat. Für so etwas gibt "es immer eine Zwischenlösung: für den überfälligen A 400 M das Leasen ukrainisch-russischer Antonows, für das Drohnenproblem den US-Boy Predator oder den Israeli Heron TP. Am 12. Januar wurde das Kaninchen aus dem Hut gezogen: the winner is... Heron TP. Mit einem Vorgängermodell hat man bereits Erfahrung, und außerdem dient es der deutsch-israelischen Waffenbrüderschaft.


Problem 2: Wie sag ich's meinem Kinde...

Trotz Transformers und Iron Man 3: Das Umbringen Unschuldiger aus der Ferne Wird in weiten Teilen der Bevölkerung als uncool angesehen. Selbst bei mutmaßlichen usw. hat der Europäer wegen der Kollateralschäden ein ungutes Gefühl. Der Appell der Drohnenkampagne "Gegen die Etablierung von Drohnentechnologie für Krieg, Überwachung und Unterdrückung" wurde seit 2013 von 149 bundesweiten, regionalen und lokalen Initiativen und Gruppen nicht nur aus der Friedensbewegung, Prominenten wie Noam Chomsky, 5 Jürgen Grässlin und der Band Tocotronic sowie über 2000 Einzelpersonen unterzeichnet
https://drohnen-kampagne.de/files/2013/03/Appell-Keine-Kampfdrohnen.pdf

Daher in den letzten Jahren eine Musterinszenierung der Salamitaktik. 1. Akt: "Wir schaffen gar keine bewaffnungsfähigen Drohnen an, sondern zivile und nur zur Aufklärung." 2. Akt: `Weil es keine zivilen Drohnen gibt, müssen wir leider bewaffnungsfähige nehmen. Aber wir bauen an die Waffen nichts dran." 3. Akt: "Na bevor der teure Kram sinnlos rumsteht. . Scheint leider zu funktionieren, der Aufschrei bei der Bekanntgabe der Leasingentscheidung blieb aus. Oder verhallte ungehört. Ist wohl nicht so Wichtig wie andere aktuelle Debatten.


Problem 3: Die Drohne sitzt nur auf der Spitze des Bienenstocks

Im Juli 2015 äußerten sich führende Wissenschaftler und Ingenieure zu einer zunehmenden Automatisierung und Roboterisierung und damit einer weiter zunehmenden Entmenschlichung des Krieges.

Stephen Hawking, der Apple-Mitbegründer Steve Wozniak oder erneut Noam Chomsky warnen: "Künstliche Intelligenz ist an einem Punkt angelangt, an dem der Einsatz solcher Systeme innerhalb weniger Jahre, nicht Jahrzehnte, möglich sein wird". Mit künstlicher Intelligenz versehene und autonom nach vorgegebenen algorithmischen Kriterien handelnde Waffensysteme sollten verboten werden. Dies betrifft aber nicht nur den Einsatz in militärischen Bereichen, sondern auch in zivilen. In puncto Überwachung und Unterdrückung von unbequemen Ansichten und Akteuren ergeben sich damit Perspektiven, die Orwells 1984 zu nostalgischen Vorstellungen von gestern verkümmern lassen.

Vorbeugen ist besser als fallen... Entgegen dem Bild, dass unsere Jammertruppe wegen des Mitleidseffekts gern in der Öffentlichkeit verbreitet, sind die Planungen der Militärs in Sachen elektronischer Kampfführung (zu der dann auch die Drohnenlenkung gehören wird) schon weit fortgeschritten. Da sieht man, wer im Ministerium die (Uniform-)Hosen anhat. MinisterInnen und ParlamentarierInnen kommen und gehen, Befehlsstrukturen sind ewiglich. Ohne irgendeine Entscheidung der formal Verantwortlichen abzuwarten, schaffen die Militärs Fakten und bereiten sich auf jedwede Eventualität vor.

Bei der Umstrukturierung der Bundeswehr wurde bereits 2000 im Rahmen der Streitkräftebasis eine eigenständige Truppengattung für EloKa (elektronische Kampfführung) gebildet. Sie stellt ihre "Dienste" allen drei Teilstreitkräften "zur Verfügung". Bisher sind das die Aufgabenbereiche Aufklärung der Absichten des Gegners, das Absichern der eigenen Kommunikation und der mit Verbündeten und das Stören der Kommunikation des Gegners. Diese Teileinheit ist also jetzt schon mit der Steuerung der Aufklärungsdrohnen vertraut und entsprechend ausgebildet, die zusätzliche Anforderung des Abfeuerns der per Drohne transportierten Raketen lässt sich da sicher auch noch unterbringen. Der mündige Wahlbürger erfährt von all dem hinterher oder gar nichts.


Arbeitsgruppe Drohnen und EloKa der DFG-VK

Auf dem letzten Bundeskongress der DFG-VK in Mannheim gab es eine Arbeitsgruppe zum Thema mit Lühr Henken als sachkundigem Referenten. Verschiedene Landesverbände wie Hamburg-Schleswig-Holstein oder Bayern sowie bereits im Rahmen der Drohnenkampagne tätige Mitglieder arbeiten bereits intensiv am Thema, der theoretische Vorlauf ist immens. Jetzt ist die Kommunikation unter: einander und die Vernetzung der Aktiven das vorläufige Ziel der gegründeten und im Haushaltsplan bedachten AG.

Gerade die DFG-VK als bundesweiter Verband sollte in der Lage sein, die vielen Kristallisationspunkte zu verbinden. Schwerpunkt sollte dabei die Verbindung von Information und Aktion sein, um die vorhandene Ablehnung von Drohnenmorden in der Bevölkerung mit der Aufklärung über andere Aspekte der Automatisierung von Krieg und Überwachung zu verbinden.

Dabei sollte der Protest gegen die Drohnenbewaffnung der Bundeswehr mit den Protesten gegen die EloKa-Zentren der Nato und der USA verbunden werden. Für Proteste gegen die Drohnenbewaffnung der Bundeswehr und die illegalen Tötungen durch Drohnen ergeben sich verschiedene Möglichkeiten des Agierens in der Öffentlichkeit.


Militärische Standorte der Drohnenstationierung und -steuerung

1. Bundeswehr: Jagel (Schleswig-Holstein): Die Aufklärungsdrohnen sind und die geleasten Drohnen werden dort stationiert und gewartet. Stadum (Schleswig-Holstein) EloKa Bataillon 911.

An beiden Standorten gab es bereits eine Reihe von Protest- und Informations-Veranstaltungen der Aktiven im Norden mit den entsprechenden Erfahrungen.

Daun/Eifel (Rheinland-Pfalz): EloKa Bataillon 951; Nienburg/Weser (Niedersachsen): mobiles Bataillon 912; Frankenberg/Eder (Hessen): mobiles Bataillon 952

2. US-Air Base Ramstein (Rheinland-Pfalz): In der dort befindlichen Relaisstation werden die Informationen der in Asien oder Afrika eingesetzten Drohnen mit Satelliten empfangen, zwischenausgewertet und überein transatlantisches Glasfaserkabel an die Piloten in den USA weitergeleitet. Steuerungs- und Abschusssignale gehen den entgegengesetzten Weg. Africom Stuttgart (Baden-Württemberg) Informationsbearbeitung und Zielauswahl/-erkundung sowie Steuerung von Drohnen in Afrika

3. Nato-Kommandozentrale Kalkar (Nordrhein-Westfalen) Ebenfalls Steuerung amerikanischer Drohnen. In Zukunft könnte hier das Steuerungszentrum der Bundeswehr entstehen.


Juristische Auseinandersetzungen

1. Jemen: In Köln wurde die Klage des Jemeniten Faisal bin Ali Jaber gegen die Bundesrepublik Deutschland Wegen Unterstützung des US-amerikanischen Drohnenkrieges über die Basis Ramstein im Mai 2015 abgewiesen. Begründung des Gerichtes: nach dem Grundgesetz und dem Völkerrecht sei die Bundesregierung zwar zur Unterbindung von Gefahren für Leib und Leben auch bei Ausländern verpflichtet, wenn diese Gefährdungen von deutschem Staatsgebiet ausgehen. Andererseits sei ihr aber bei den zu treffenden Maßnahmen ein großer Handlungsspielraum einzuräumen. Zitat: "Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, den USA die Nutzung der Air Base Ramstein für die Durchführung von Drohnenangriffen im Jemen zu untersagen". Faisal verlor am 29, August 2012 seinen Schwager und seinen Neffen durch vier von einer Drohne abgefeuerte Raketen. Von beiden konnten nur noch Reste eingesammelt werden. Parallel zur Verhandlung gab es Proteste vor dem Berliner Reichstag. Sollte es zu einer Revision kommen, wird diese am Oberverwaltungsgericht in Münster verhandelt.

2. Somalia: Eine weitere Verwaltungsklage eines Somaliers, dessen Vater bei einem Drohnenangriff in der Nähe von Mogadischu getötet wurde, ist ebenfalls in Köln anhängig. Diese richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, namentlich gegen Ursula von der Leyen wegen Vernachlässigung der Überwachungspflicht ausländischer Aktivitäten nach Nato-Truppenstatut und Artikel 2 des Grundgesetzes. Für die Nutzung von Basen durch ausländische Truppen gelte deutsches Recht. Parallel zur Klageeinreichung wurde gegen Mitarbeiter in Ramstein und Stuttgart Strafanzeige wegen "gemeinschaftlich begangenen Mordes und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" gestellt.

3. Wolfgang Jung klagt seit 2012 gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen "grundgesetz- und völkerrechtswidriger Nutzung der Air Base Ramstein". Die bisher beschäftigten Richter wiesen Klage (Verwaltungsgericht Köln) und Berufung (OVG Münster) ab. Am 5. April beschäftigt sich nun das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit der Sache.


Preise für Drohnen-Gegner

1. Der Whistleblower-Preis 2015 der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der Ialana ging an den ehemaligen Drohnenpiloten Brandon Bryant. Dieser war bis 2011 Drohnenpilot. Er quittierte den Dienst, nachdem er kurz nach Abschuss einer Rakete ein Kind in das von ihm anvisierte und unmittelbar darauf zerstörte Haus laufen sah. Er machte die Praxis der Drohnentötungen öffentlich. Seine Einheit War Während seiner Dienstzeit an 1626 illegalen Tötungen beteiligt.

2. Am 15. April wird der 7. "Wilhelmine von Bayreuth-Preis für Toleranz und Humanität in kultureller Vielfalt" an die Bürgerrechtsbewegung Code Pink verliehen. Die Übergabe wird von der Drohnen-Arbeitsgruppe und der DFG-VK für eine Rundreise mit Veranstaltungen u.a.in Köln, Berlin` Leipzig und Stuttgart genutzt.


Rüstungsstandorte mit Drohnen-Bezug

Sollte der abgeschlossene Vertrag Gestalt annehmen, wird die Entwicklung und Produktion der Drohne vorwiegend in den traditionellen süddeutschen Rüstungsstandorten in Baden-Württemberg und Bayern vor sich gehen. Auch wenn es noch etwas dauert, kann man sich bereits langfristig auf Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit vor Ort vorbereiten.


Und jetzt?

Für dieses Jahr sind weitere Aktionen in Zusammenhang mit der Drohnenproblematik geplant. Vom 10. bis 12. Juni gibt es ein bundesweites Camp in der Region Kaiserslautern mit einer Demonstration an der Air Base Ramstein. Die Friedensfahrradtour des Landesverbandes Bayern führt ab 31. Juli unter anderem mit den Forderungen "Keine Drohnentestflüge in Grafenwöhr" und "Keine Drohneneinsätze über den Stützpunkt Ramstein" von Ingolstadt/Manching nach Ramstein. Friedensgruppen aus der Pfalz planen eigene Aktionen zur Air Base.

Es gibt viel zu tun, fangen wir an...


Torsten Schleip ist DFG-VK-Bundessprecher.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2016, S. 10 - 12
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20, Telefax: 03212 - 102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2016

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