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MITTELAMERIKA/121: Besserung der Menschenrechtslage in Kolumbien ungewiss


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/10

Besserung der Menschenrechtslage in Kolumbien ungewiss
Präsident Santos will Uribes Strategie der harten Hand gegen die F.A.R.C. fortsetzen

Von Teresa Huhle


Ob extralegale Hinrichtungen, Binnenvertreibungen oder illegale Überwachungen - in Kolumbien kommt es am Rande des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Nach seiner Wahl zum Präsidenten kündigte Juan Manuel Santos an, den harten Kurs gegen die Guerilla fortsetzen zu wollen. ExpertInnen sehen die Gefahr, dass Menschenrechte dabei auf der Strecke bleiben.


Am Ende war die Entscheidung deutlich: Juan Manuel Santos von der Uribe-treuen Partei "U" (Partido Social de Unidad Nacional) gewann am 20. Juni mit 69 % der Stimmen die Stichwahl um das Präsidentenamt Kolumbiens gegen seinen grünen Konkurrenten Antanas Mockus. Santos erreichte damit das höchste Wahlergebnis eines Präsidenten in der Geschichte Kolumbiens, allerdings bei einer geringen Wahlbeteiligung von nur 44,5%.

Santos, der sein Amt am 7. August angetreten hat, ist ein langjähriger Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe. Dessen Versuch, per Volksabstimmung die kolumbianische Verfassung dahingehend zu ändern, dass er für eine zweite Wiederwahl kandidieren dürfe, scheiterte im Februar diesen Jahres am kolumbianischen Verfassungsgericht. Uribe war 2002 ins Amt gekommen und 2006 mit großer Mehrheit darin bestätigt worden. 2008 hatten AnhängerInnen Uribes 5 Millionen Unterschriften vorgelegt, die sich für eine erneute Kandidatur des populären Präsidenten aussprachen. 3,9 Millionen davon wurden vom Wahlamt für gültig erklärt.


Kritik an Verteidigungsminister Santos für extralegale Hinrichtungen

Als Anfang des Jahres die Entscheidung des Verfassungsgerichts gegen eine erneute Kandidatur Uribes absehbar wurde, gaben die "Uribistas" schon wenige Tage vor der Entscheidung bekannt, dass Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos als Kandidat der "U" antreten würde: Santos war bereits im Mai 2009 von diesem Amt zurückgetreten, um seine mögliche Präsidentschaftskandidatur vorzubereiten.

In seiner dreijährigen Amtszeit als Verteidigungsminister war Santos in zahlreiche politische und diplomatische Skandale verwickelt. So kam es unter seiner Führung im März 2008 zu einem Luftangriff gegen die größte kolumbianische Guerillabewegung F.A.R.C. auf ecuadorianischem Territorium. Der Angriff brachte schwere Menschenrechtsverletzungen mit sich und belastete das Verhältnis der beiden Staaten nachhaltig.

Santos gilt außerdem als mitverantwortlich für die Politik der "falsos positivos". Dieser von Regierungsseite verwendete Begriff - sinngemäß übersetzt als "falsche Gefallene" - bezeichnet die von internationalen und kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisierten Fälle, in denen kolumbianische Militärs ZivilistInnen töten und diese als gefallene Guerilla-KämpferInnen ausgeben, um Prämien zu kassieren.

Anfang 2009, als bereits über 1.500 Fälle solcher extralegalen Hinrichtungen von der Staatsanwaltschaft bearbeitet worden waren, entließ Santos zahlreiche ranghohe Militärs und bezeichnete die Hinrichtungen als bedauernswerte Einzelfälle. Das UN-Menschenrechtsbüro in Bogotá und nationale wie internationale Menschenrechtsorganisationen sehen darin hingegen eine verbreitete Praxis, die der kompromisslosen Bekämpfung der F.A.R.C. und dem militärischen Anreizsystem geschuldet ist. Gegen rund 3.600 Personen laufen in Zusammenhang mit den "falsos positivos" Ermittlungen.

Am 6. März 2009 versammelten sich Angehörige der Opfer von extralegalen Hinrichtungen in Bogotá. In einer Erklärung forderten sie Uribe auf, Santos seines Amtes zu entheben. Einige Frauen, deren Kinder zu den Opfern zählen, schlossen sich als "Mütter von Soacha" zusammen. In Soacha, einem Vorort von Bogotá, waren zuvor 16 Jugendliche Opfer extralegaler Hinrichtungen geworden. Am 24. Mai 2010 - eine Woche vor dem ersten Wahlgang - richteten die Mütter einen Brief an Luis Moreno Ocampo, den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Sie forderten Moreno Ocampo darin auf, Santos vorzuladen und für den Tod ihrer Söhne zur Verantwortung zu ziehen.


Santos sagt der F.A.R.C. den Kampf an

Doch im Wahlkampf spielte das Thema der Menschenrechte keine große Rolle. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe hinter Uribe und seinem Kronprinzen Santos und unterstütze deren Politik der harten Hand gegen die Guerilla - so der Tenor in kolumbianischen und internationalen Medien.

Die F.A.R.C. hatte zum Wahlboykott aufgerufen und verübte am Abend vor den Stichwahlen Anschläge in mehreren Regionen. An die 20 ZivilistInnen, SoldatInnen und Guerilla-KämpferInnen fielen diesen zum Opfer. Santos erklärte in seiner ersten Rede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses: "Die Zeit der F.A.R.C. ist vorbei". Solange die F.A.R.C. bewaffnete Anschläge verübe, werde seine Regierung keinen Dialog eingehen und mit aller militärischen Härte gegen die Guerilla vorgehen.


Grün war die Hoffnung

Die Konservative und die Liberale Partei Kolumbiens - die beiden traditionellen Parteien des Landes, die bis 2002 alle Präsidenten stellten - gewannen beide nur ca. 10 % der Stimmen. Dafür war es dem ehemaligen Bürgermeister von Bogotá, Antanas Mockus, gelungen, als Kandidat für die Grünen Santos zumindest in den Umfrageergebnissen ernsthafte Konkurrenz zu machen. Mit Slogans wie "Con lapiz y constitución sí se puede" ("Ja, es geht - mit Bleistift und der Verfassung") konzentrierte Mockus seinen Wahlkampf auf die Themen Bildung, "saubere" Politik und Rechtsstaatlichkeit. Themen, mit denen der Mathematik- und Philosophieprofessor und Ex-Rektor der Nationaluniversität von Kolumbien bereits in seinen zwei Amtszeiten als Bürgermeister von Bogotá (1995-1998 und 2001-2004) eine breite Anhängerschaft gewonnen hatte. Unter Mockus sank in Bogotá die Kriminalitätsrate, der öffentliche Transport wurde verbessert und es gelang, den städtischen Haushalt zu sanieren.

Für "saubere" Methoden plädierte Mockus auch im Kampf gegen die F.A.R.C.. Das grüne Lager thematisierte im Wahlkampf die jüngsten Skandale der Regierung Uribe, insbesondere die Enthüllungen über illegale Überwachungen von MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen seitens des Geheimdienstes DAS.

Für Schlagzeilen im Wahlkampf sorgte auch ein Artikel in der US-amerikanischen Zeitung "Washington Post" vom 24. Mai. Darin sagte ein ehemaliger Polizei-Major aus, Uribes Bruder Santiago Uribe habe in den 1990er Jahren eine paramilitärische Gruppe geleitet. Francisco Santos, Uribes Vizepräsident, erklärte daraufhin, Mockus habe dieses Gerücht gestreut. Das führte wiederum dazu, dass Zeitungen der "U" vorwarfen, mit Verleumdungen Wahlkampf zu machen.

In seiner ersten Ansprache als gewählter Präsident Kolumbiens rief Santos zur nationalen Einheit auf. Attacken auf politische Gegner hat Santos auch nicht nötig: neben den fast 70% an Stimmen, mit denen er ins Amt gewählt wurde, kann er sich auf satte Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus stützen. - pbi

Teresa Huhle studierte Regionalwissenschaften Lateinamerika an der Universität zu Köln und der Universidad de Oviedo in Spanien. Seit einem pbi-Praktikum arbeitet sie in der Rundbriefredaktion. Derzeit promoviert sie am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen.


Weitere Informationen:

• Zur Menschenrechtslage in Kolumbien:
   www.kampagne.kolko.de

• Zu den "falsos positivos":
   http://reset.to/blog/der-wahlkampf-kolumbien-und-die-falschen-positiven


• Zum Überwachungsskandal des DAS (auf englisch):
   www.justf.org/files/pubs/1O061 8_das.pdf


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/10, S. 12-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010