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MITTELAMERIKA/109: Guatemala - Sandra Morán erhebt ihre Stimme


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/08

Sandra Morán erhebt ihre Stimme
Unbeirrt von Todesdrohungen

von Felix Jaitner und Suhela Behboud


Einschüchterung einer Menschenrechtverteidigerin kann viele Formen annehmen. In das Büro der Frauenorganisation sector de mujeres ist eingebrochen und Blut an den Wänden und eine blutige Glasscherbe auf dem Tisch hinterlassen worden. "Blutverschmiertes Glas, das ist eine Drohung, das ist ein Symbol für einen furchtbaren Tod", erzählt SANDRA MORÁN, Koordinatorin des sector de mujeres in Guatemala-Stadt. Ihr politisches Engagement und ihre Aufklärungsarbeit im Kampf gegen die Frauenmorde in Guatemala wird von denjenigen, die diese Gewaltverbrechen begehen bzw. darin verstrickt sind, nicht gern gesehen. Morán weiß, dass solche Drohungen ernst genommen werden müssen. Während des guatemaltekischen Bürgerkriegs musste sie aufgrund fortwährender Bedrohungen für 13 Jahre ins mexikanische Exil fliehen.


Im Exil begann Sandra Morán, sich künstlerisch zu betätigen und ihrer politischen Arbeit eine neue Ausdrucksform zu verleihen. Sie ist Dichterin, Musikerin und Percussionistin und gastierte auf internationalen Festivals in Mittelamerika, Kanada und Europa. Die Texte ihrer Lieder handeln vom Leben der Frauen in Guatemala, ihrer Ohnmacht und Unterdrückung und von Stolz und Würde, dem Wunsch nach Gerechtigkeit. Es ist der Traum von einem freien und selbstbestimmten Leben. "Ich präsentiere eine Mischung aus Poesie und Musik", so Sandra Morán. "Musik ist für mich eine natürliche Form, um den Menschen meine politische Botschaft nahezubringen."


Gewalt gegen Frauen und Straflosigkeit

Sandra Morán und die Frauen des sector de mujeres haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit öffentlichen Aktionen gegen Frauenmorde vorzugehen. Sie dokumentieren Gewaltverbrechen und fordern von der Regierung eine systematische Aufarbeitung der verübten Morde. Nur wenn es gelingt, die Straflosigkeit zu beenden, können Frauen geschützt werden. An die 3000 Frauenmorde wurden zwischen 2001 und 2007 in Guatemala registriert. Die Zahl der Opfer der als Femizid bekannten Verbrechen ist in den letzten Jahren drastisch angestiegen. Die Vorfälle erinnern an die Morde in den mexikanischen Städten Ciudad Juárez und Chihuahua.


Der sector de mujeres

Gewalt gegen Frauen zeigt sich nicht allein in blutigen Taten. Sie ist in struktureller, politischer, sozialer, direkter und indirekter Form ständig präsent. Viele Frauen sind in Sorge, dass häusliche Gewalt und Diskriminierungen zunehmen. Die Arbeit des sector de mujeres ist weitreichend: Sie besteht in Beratungen und rechtlicher Unterstützung für Opfer von Vergewaltigungen. Mit Kampagnen sensibilisieren sie die Gesellschaft Guatemalas für die Themen der Frauen. Mit Programmen zur Existenzgründung setzen sie sich für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen ein. Ein Beispiel ist das Café Artesania, heute ein wichtiger Treffpunkt für soziale Organisationen.

1999 gründete Sandra Morán zusammen mit anderen Frauen den sector de mujeres, heute ein Dachverband verschiedener Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Bauernverbände und indigener Gruppen, und mittlerweile in 12 von 22 Departments Guatemalas vertreten.

Ein weiterer Erfolg, den Sandra Morán und ihre Mitstreiterinnen erreicht haben, ist die Verankerung von frauenpolitischen Forderungen als Teil der Versammlung der Zivilgesellschaft im Friedensabkommen. Seitdem garantiert die Verfassung Frauen das Recht auf Landbesitz, sich politisch selbständig zu organisieren sowie die Verfolgung sexueller Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. Doch die Umsetzung der Rechte bleibt problematisch.

"Von den 28 Abkommen, die auf Frauenrechte Bezug nehmen, wurden nur zwei befolgt", schildert Sandra Morán. "Ein Büro für die Rechte indigener Frauen wurde aufgebaut, ebenso das nationale Frauenforum, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft und der Politik vertreten sind und die Umsetzung des Friedensabkommens verfolgen. Wir haben zwar einen Freiraum für die Beteiligung von Frauen und eine eigene Stimme gewonnen, aber viele Gesetze zum Schutz der Frauen werden nach wie vor verhindert."


"Wir kämpfen um unsere Identität!"

Sandra Morán und ihre Mitstreiterinnen haben einen langen Atem. Sie wissen es geht letztlich um die Überwindung überkommener gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen, die tief in der sozialen und politischen Geschichte Guatemalas verankert sind. Für Sandra Morán hat dieser Kampf eine existentielle Dimension: "Wir kämpfen aus unserer Identität als Frauen heraus - um unsere Identität. Wir kämpfen für all unsere Rechte, gegen das Patriarchat und eine kapitalistische Gesellschaft, die uns in Armut hält."

Die ständigen Bedrohungen sind nicht spurlos an den Frauen des sector de mujeres vorbeigegangen. Davon unbeirrt setzen sie ihre Arbeit fort. Ein Garant dafür ist die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. So forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission bereits vor Jahren Schutzmaßnahmen für die Organisation. Nach den Einbrüchen in ihr Büro wandten sich die Frauen an pbi. Das war in 2006. Seither begleitet pbi die Frauen regelmäßig und schützt sie durch die Präsenz internationaler Freiwilliger. - pbi


Auszug aus Liedtext:
Mit eigener Stimme
(Con Voz Propia)

von Sandra Morán


Ich beanspruche mein Recht
anderer Meinung zu sein,
anders zu sein,
Todesprojekte abzulehnen,
für das Leben zu leben,
Gerechtigkeit zu suchen und Straflosigkeit nicht zu akzeptieren.

Ich beanspruche mein Recht,
Stellung dagegen zu nehmen, dass Menschen wie eine Ware verkauft werden,
dass Waren und Geld die treibende Kraft in der Welt sind,
zu kritisieren, mich zur Wehr zu setzen und dem Imperium nicht zu huldigen.

Ich beanspruche mein Recht
nein zu sagen,
Widerstand zu leisten,
mich zu organisieren,
ein freies und autonomes Wesen zu sein.

Ich beanspruche mein Recht
zu träumen,
zu lieben,
jenseits des Horizonts zu suchen,
zu glauben.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/08, S. 12-13
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
Bahrenfelder Strasse 79, 22765 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2008