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MITTELAMERIKA/108: Gespräch mit Nohelia Tuberquia aus Kolumbien


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/08

"Wir haben viel geweint..."

Gespräch mit Nohelia Tuberquia aus Kolumbien


Der Aachener Friedenspreis 2007 wurde der Friedensgemeinde San José de Apartadó im Norden Kolumbiens verliehen. Nohelia und Gilardo Tuberquia haben ihn stellvertretend für ihre Gemeinde in Aachen entgegen genommen. pbi-Mitarbeiterin SUHELA BEHBOUD hat mit NOHELIA TUBERQUIA gesprochen.


PBI-RUNDBRIEF: Wir hoffen, dass dieser Friedenspreis die Sicherheit in eurem Dorf erhöht!

NOHELIA TUBERQUIA: Ganz klar. Der Friedenspreis ist wichtig als Anerkennung für unsere Arbeit, die wir in Kolumbien machen. Es ist ja eigentlich unsere Regierung, die uns belohnen sollte für die Arbeit, die wir für den Frieden tun. Aber stattdessen bekämpfen sie uns. Und es wäre so gut, wenn die kolumbianische Regierung sagte: "Gebt acht auf die Friedensgemeinden - denn wir belohnen ihre Arbeit." Aber sie tun es nicht.

PBI-RUNDBRIEF: Wie wirkt sich die Erfahrung von Gewalt in eurem Dorf speziell auf das Verhältnis zwischen Frauen und Männern aus?

NOHELIA TUBERQUIA: Viele Frauen müssen damit zurechtkommen, dass ihre Männer ermordet werden und sie allein zurück bleiben, manchmal mit mehreren Kindern. Die Frauen organisieren sich dann häufig und bilden Gemeinschaften von fünf oder sechs und arbeiten und leben zusammen. Einige Männer sind natürlich noch dabei. Wir haben vier Frauen, die sind für den Kindergarten zuständig. Einige betreiben auch etwas Landwirtschaft, zum Beispiel mit dem Anbau von Kakao. Aber wir haben keine Lehrer. Wir haben zwar welche bei der Regierung beantragt, aber wir bekommen sie nicht. Deshalb gibt es jetzt einige Jugendliche, die in der Stadt zur Schule gehen, um das Abitur zu machen. Und diese Jugendlichen sind dann die, die unsere Kinder unterrichten. Darüber hinaus bieten wir auch politische Bildungsarbeit an, damit die Familien wissen, was eigentlich in unserem Land geschieht. Es ist eben so, dass wir alle gemeinsam arbeiten, um unsere Familien zu ernähren. Und das sind Frauen, Männer, Kinder: alle müssen mithelfen.

PBI-RUNDBRIEF: Sind denn die Frauen auf Dauer damit zufrieden?

NOHELIA TUBERQUIA: So wirklich zufrieden sind wir damit natürlich nicht. Aber was bleibt uns übrig? Wir müssen so arbeiten. Wovon sollen wir uns sonst ernähren? Für uns Frauen ist es schon hart, fünf, sechs Kinder zu haben und dann auch noch auf's Feld zu gehen. Dabei würden viele von uns gern eine Berufsausbildung machen oder studieren. Aber diese Möglichkeiten sind uns verschlossen.

PBI-RUNDBRIEF: Häufig sind Frauen doppelt betroffen - ihre Kinder werden umgebracht, und sie selbst werden vergewaltigt.

NOHELIA TUBERQUIA: Sehr häufig geschieht es auch bei uns, dass die Paramiltärs und das Militär, die eh die gleichen sind, ins Dorf kommen. Sie kommen betrunken und unter Drogen und vergewaltigen Frauen und Mädchen. Wir haben Angst. Nie können wir wirklich unbesorgt sein, und immer fragen wir uns, was sie wohl als nächstes mit den Kindern und einem selbst machen.

PBI-RUNDBRIEF: Und was gibt Euch Kraft bei all der Gewalt?

NOHELIA TUBERQUIA: Als meine Tochter 2003 ermordet wurde, war das ganz schwierig für meine Familie und unsere Zukunft. Wir sind geflüchtet und wurden von der neuen Gemeinde drei Monate unterstützt und versorgt. Aber wir haben viel geweint und haben uns dann doch zurück gewagt. Das Militär hatte die Finca und unser Haus zerstört. Das Haus war kaputt und im Prinzip war alles, was nicht gestohlen war, zerstört. Die Militärs hatten auch einen Brief zurückgelassen: "Wenn Ihr Schadensersatz haben wollt, dann kommt doch zum Bataillon - Ja, woher bekommen wir unsere Kraft? Unsere Familie, unsere Freunde, die geben uns Kraft, weiter zu gehen!


Die Friedensgemeinde San José de Apartadó wurde am 23. März 1997 von 500 geflüchteten Bauern aus der Region gegründet, als Reaktion auf ein Massaker an der örtlichen Bevölkerung ein Jahr zuvor. Das Friedensdorf verwaltet sich selbst und verpflichtet sich mit keinem der bewaffneten Akteure zusammenzuarbeiten. Trotz internationaler Begleitung wurden seit der Gründung 170 Menschen der Gemeinde getötet. Ein Dorfrat sagt, dass 20 % der Morde von der Guerilla und 80% von Paramilitärs und Militärs verübt wurden. Der fruchtbare Boden in der Region Urabá macht das Land so wertvoll. Ohne chemische Hilfsmittel können Bohnen, Mais, Reis und Avocados angepflanzt werden. Außerdem gibt es viele Wasservorräte, die in den Großstädten Kolumbiens dringend benötigt werden.

pbi vor Ort:
Seit 1997 ist pbi in Urabá tätig, um der Gemeinde und kolumbianische Menschenrechtsorganisationen, die die Gemeinde berät durch internationale Präsenz Schutz zu bieten.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/08, S. 16
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2008