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BERICHT/068: Die Freiwilligenarbeit im Wandel


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/11

Die Freiwilligenarbeit im Wandel

Zwei Rückkehrerinnen erinnern sich an ihre Erlebnisse im Auslandseinsatz mit pbi


Lena Niehaus ist im April 2011 aus Guatemala zurück nach Deutschland gekommen. Heike Kammer war eine der ersten Freiwilligen bei pbi und hat die 30-jährige Geschichte hautnah miterlebt. Beide berichten im Gespräch mit pbi-Redakteur Ole Wrobel über ihre Erfahrungen in der Friedensarbeit im Ausland, über Schutzbegleitungen und einschneidende Erlebnisse.


PBI: Lena, du bist erst kürzlich von deinem einjährigen Freiwilligendienst zurückgekehrt. Was waren denn für dich die Beweggründe bei pbi mitzuarbeiten und wie bist du mit der Organisation in Kontakt gekommen?

LENA NIEHAUS: Ich habe Politikwissenschaft studiert und meine Magisterarbeit über das Thema Menschenrechte und Frieden geschrieben. Nach soviel theoretischer Arbeit hatte ich das starke Bedürfnis vor Ort aktiv zu werden. Auf pbi bin ich in der Literatur zu ziviler Konfliktbearbeitung gestoßen und da war für mich gleich klar, dass es pbi sein soll. Vor allem die Strategie der Nichteinmischung und die Idee, der Begleitung von AktivistInnen vor Ort haben mir gefallen. Das bedeutet, daß die begleiteten Menschen und Organisationen eigene Lösungen suchen und wir als AusländerInnen nur den Rückhalt dafür sicherstellen.

PBI: Heike, als du vor knapp 30 Jahren zu pbi gestoßen bist, da sah das alles noch etwas anders aus.

HEIKE KAMMER: Ja, eigentlich wollte ich seit ich jung war etwas Sinnvolles tun.Und dann war ich in Mittelamerika und bin da auf Friedensmärsche gegangen. Ich war auch in Guatemala auf einem Friedensmarsch, der von der GAM (Grupo de Apoyo Mutuo / Menschenrechtsorganisation aus Guatemala, Anm. d. Red.) organisiert und von pbi begleitet wurde. So habe ich pbi kennengelernt und gesehen, dass ich hier als Ausländerin etwas erreichen kann, was die Leute vor Ort nicht selber können. Ich habe vorher schon Friedensarbeit, Aufbauarbeit in Nicaragua und viele ähnliche Aktivitäten gemacht, die aber eigentlich die Einheimischen vor Ort genauso gut und sogar besser können. Jetzt war das mal eine spezielle Aufgabe, durch den Status aus dem westlichen Ausland zu kommen, durch die Präsenz und Beobachtung etwas zu bewirken. Das war 1986 und es gab damals noch die Möglichkeit direkt vor Ort ins Projekt einzusteigen. Allerdings hatte pbi in Guatemala genügend Leute und ich bin dann nach El Salvador gegangen, wo noch kein pbi Projekt bestand, es aber bereits Anfragen gab. Dort habe ich AktivistInnen informell begleitet, die pbi angefragt hatten. Als dann 1987 das Projekt entstand, bin ich eingestiegen.

PBI: Mittlerweile besteht pbi seit 30 Jahren, hat Büros in 18 Ländern und ist eine von der UNO anerkannte Menschenrechtorganisation. Welche Unterschiede lassen sich in der Arbeit vor 30 Jahren und heute ausmachen?

HEIKE KAMMER: Die erste Organisation, die pbi kennen gelernt hat, war die GAM in Guatemala. Es war damals so, dass die GAM Schutz suchte und auch einen Raum, um sich zu treffen. pbi bot sich an und stellte ihr Haus zur Verfügung. In der Anfangszeit hat pbi zusammen mit der GAM die Idee der physischen Schutzbegleitung entwickelt. Wir haben die Leute damals zum Teil 24 Stunden am Tag und über einen längeren Zeitraum begleitet. In den Anfangsjahren war es so, dass wir Freiwilligen die Kosten für den Flug selber getragen haben. Vor Ort haben wir alle zusammen in einem großen Raum in Schlafsäcken auf dem Boden geschlafen. Die Krankenversicherung und die Kosten vor Ort wurden damals schon von pbi übernommen.

LENA NIEHAUS: In einigen Punkten ist das heute immer noch ähnlich, in anderen Punkten hat sich die Arbeit vor Ort verändert. Neben der physischen Begleitung machen wir heute auch eine politische und informative Begleitung. Die politische bedeutet, dass wir mit sehr vielen Menschen sprechen, also Lobby-Arbeit machen. Wir reden mit guatemaltekischen BürgermeisterInnen und der Polizei und wir haben auch Kontakt zu Botschaften, zur Vertretung der UNO in Guatemala und stellen da immer wieder unsere Besorgnis über die Situation der MenschenrechtsverteidigerInnen dar. Die informative Begleitung bedeutet, dass wir Artikel schreiben und über die Verhältnisse vor Ort informieren. Die physische Begleitung ist ähnlich geblieben, wir sind vor Ort, begleiten die Organisationen, gehen auf Demonstrationen, etc. Was vermutlich ein bisschen anders geworden ist, ist, dass wir zwar noch viele Organisationen in der Hauptstadt begleiten, aber auch sehr viel mit dem Bus reisen, weil wir jetzt auch viele Organisationen auf dem Land betreuen.

PBI: Wie sieht es denn mit der Sicherheitslage aus, speziell, wenn ihr mit dem Bus unterwegs seid?

LENA NIEHAUS: Es ist in der Tat nicht ohne, mit dem Bus durch Guatemala zu reisen. Das Problem ist allerdings die allgemeine Kriminalität im Land und das kann AusländerInnen, pbi MitarbeiterInnen oder GuatemaltekInnen gleichermaßen treffen. Was die Begleitarbeit vor Ort betrifft bin ich der festen Überzeugung, dass diese sehr sicher geworden ist. Allein durch unseren hohen Bekanntheitsgrad und die vielen Kontakte zu PolitikerInnen und zur Polizei. In letzter Zeit wurden wir nicht bedroht.

HEIKE KAMMER: Das war bei uns damals schon anders. Wir wurden bedroht. Ab 1989 gab es sehr starke Diffamierungen. pbi wurde beschuldigt, das Sprachrohr der GAM im Ausland zu sein und die GAM wurde beschuldigt, mit der Guerilla zu tun zu haben. Im August '89 wurden dann Handgranaten in unser Haus und in das Büro der GAM geworfen. Im Dezember '89 wurden drei Mitarbeiter von uns mit Messern angegriffen und schwer verletzt. Wir interpretierten beide Angriffe so, dass wir eingeschüchtert und dazu gebracht werden sollten, das Land zu verlassen. Damals stand unsere Arbeit auf der Kippe. Es stellte sich die Frage, ob wir die Schutzbegleitung noch leisten können. Die begleiteten Organisationen vor Ort haben uns dann gebeten, nicht zu gehen, sie nicht allein zu lassen. Unser kanadisches Büro hat sich dann sehr dafür eingesetzt die Arbeit auf politischem Wege voranzubringen, durch politische Begleitung. pbi hat seitdem nur noch Leute mit Erfahrung eingesetzt und Auswahlverfahren eingerichtet. Es war uns dann möglich unsere Arbeit vor Ort fortzusetzen.

PBI: Lena, du bist jetzt seit kurzem wieder in Deutschland. Wenn du zurückdenkst an deine Zeit in Guatemala, gibt es da Erlebnisse, an die du besonders gern zurückdenkst?

LENA NIEHAUS: Wenn man in Guatemala lebt, liest man sehr viele negative Nachrichten. Man schlägt die Zeitung auf und kann die Leichen zählen. So zählen die positiven Eindrücke um so mehr. Ich denke an eine Begleitung, die wir gemacht haben, da ging es um Verschwundene. Im Bürgerkrieg sind ja viele Menschen in den Wirren des Krieges verschwunden und da gibt es einen Mann, Miguel, der mit ganz großer Leidenschaft versucht, Menschen und Familien wieder zusammen zu bringen. Ich hatte das große Glück, diesen Mann kennenzulernen und teilweise auch zu begleiten. Wir waren bei einem Familienzusammentreffen und das war hoch emotional und sehr schön. Am nächsten Tag habe ich einen Anwalt begleitet und an dem Tag wurde ein Urteil gesprochen und es war das erste Mal in Guatemala, dass jemand wegen dem gewaltsamen Verschwindenlassen auch wirklich verurteilt wurde. Es war sehr schön das zu sehen und auch das Gefühl zu haben, es geht voran in Guatemala.

HEIKE KAMMER: Für mich war besonders eindrucksvoll, als wir 1992 eine Anfrage von der katholischen Kirche bekamen, Leute zu begleiten, die von Widerstands-Dörfern aus dem Landesinneren kamen. Die haben sich getraut nach Guatemala Stadt zu kommen und sind dann zu Behörden, zu PolitikerInnen, zu Botschaften, zur Presse gegangen und haben gesagt, "es gibt uns in Guatemala". Die Regierung hat immer gesagt, es gebe diese Dörfer nicht, es gebe im Dschungel nur Guerilla-Dörfer und die dürften sie ja bombardieren. Aber es gibt diese Leute ja und wir haben diese Menschen, zwei Männer und zwei Frauen, über zwei Monate lang 24 Stunden am Tag begleitet. Jahre später habe ich einen dieser vier Menschen wieder getroffen und der sagte mir: "Damals, als wir in die Stadt gekommen sind, haben wir gedacht, wir würden es nicht überleben. Aber durch die Unterstützung von pbi haben wir es dann letztendlich doch überlebt".

PBI: Ihr beide habt euch in Guatemala sehr intensiv mit der Kultur und den Problemen vor Ort beschäftigt. Wie war es wieder in Deutschland zu sein? Wie habt ihr den Wiedereinstieg geschafft?

LENA NIEHAUS: Das ist sehr schwer und sollte nicht unterschätzt werden. Es war auch sehr schwierig Guatemala zu verlassen. Man verlässt einen Prozess, der gerade im Gange ist. Es ist aber auch hier in Deutschland hilfreich und schön, das pbi so weit gewachsen ist und mir hier die Möglichkeit bietet mit einer halben Stelle weiterzuarbeiten. Es gab viel Unterstützung aus dem Büro. Wir hatten ein RückkehrerInnen-Seminar, auf dem wir intensiv mit einer Psychologin geredet haben. Es ist schön, wenn man da mit Menschen sprechen kann, die wissen, was man meint.

HEIKE KAMMER: Nun, bei mir war es nie eine Ausreise ohne Wiedersehen. Es war immer eine Abreise mit der Absicht der Rückkehr. Nach Deutschland kam ich immer nur um über meine Erfahrungen dort zu berichten. Ich war eigentlich nie länger als ein Jahr in Deutschland. Bis ich dann 2005 aus Mexiko zurückgekommen bin. Und da habe ich ja die Puppenbühne aus Mexiko mitgebracht. Das war dann ein Grund länger hier zu bleiben.

PBI: Ihr beide habt einiges im Ausland erlebt, habt euch intensiv mit der Friedensarbeit und der Arbeit von pbi auseinander gesetzt. Was muss sich eurer Meinung nach in der Welt ändern, damit pbi seine Arbeit in der Zukunft, sagen wir einmal in weiteren 30 Jahren, einstellen kann?

LENA NIEHAUS: Das ist Denken in Utopien. Hoffen wir, dass die Utopie irgendwann Wirklichkeit wird. Im besten Sinne für Guatemala gesprochen, heißt das, dass es in Guatemala eine Regierung gibt, die ihre MenschenrechtsverteidigerInnen schützt, ein funktionierendes rechtsstaatliches System gibt, in dem niemand Angst haben muss vor Straflosigkeit, in dem jemand, der ein Aggressor gegen MenschenrechtsverteidigerInnen ist, vor Gericht gestellt wird. Und dann bräuchte man pbi ja gar nicht mehr.

HEIKE KAMMER: Meine Vorstellung geht noch ein Stück weiter. Ich stelle mir vor, dass die Bedrohungen gar nicht mehr da wären - weil die Menschen in Frieden leben können. Das würde aber auch bedeuten, dass die Ressourcen anders aufgeteilt wären, dass den Menschen nichts mehr weggenommen würde, dass zum Beispiel Bergwerke geschlossen und Ländereien an die Bauern zurückgegeben würden, damit diese sich davon ernähren könnten. Das würde hier in Deutschland konkret bedeuten, dass man keinen Biosprit aus einem anderen Land hätte und nicht mehr soviel Auto fahren könnte. Es wäre eine Umstrukturierung der ganzen Weltwirtschaft und dann denke ich, bräuchte auch keiner mehr jemanden bedrohen und pbi wäre nicht mehr notwendig. Aber das ist eine Utopie, die sehr weit weg ist. Jedoch so ein kleines Stückchen davon können wir sehen: Wenn es in Kolumbien Leute gibt, die es schaffen ihr Land wieder selber zu bewirtschaften und von der Ölpalme zu befreien oder es hier in Deutschland Leute gibt, die den Biosprit nicht tanken und nur lokal angebaute Lebensmittel kaufen. Solche Leute gibt es und es gibt viele verschiedene Wege, die es Wert sind, unterstützt zu werden.


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/11, S. 5-7
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2011