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GRUNDSÄTZLICHES/056: Agrarökologie - Die Forderung nach politischem und ökologischem Wandel (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2015
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

Agrarökologie - Die Forderung nach politischem und ökologischem Wandel

Von Patrick Schwalger


Neben der reinen Kritik an multinationalen Initiativen wie der Neuen Allianz für Ernährungssicherung unter Schirmherrschaft der G7 oder der German Food Partnership des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) muss der Blick immer auch auf alternative Möglichkeiten der Nahrungsmittelproduktion gerichtet sein. Gerade vor dem Hintergrund der sich verbreitenden "Unheiligen Allianzen" - FIANs Jahresthema 2015 -, ist es von größter Bedeutung, dass indigene und bäuerliche Alternativen zur industriellen Landwirtschaft in die öffentliche Wahrnehmung und die politische Debatte getragen werden.


Agrarökologie ist eine dieser gesellschaftlichen Gegenentwürfe und ein Konzept, das sich direkt innerhalb kleinbäuerlichen und indigenen Gesellschaften entwickelt hat. Von den internationalen Organisationen der KleinbäuerInnen wird es schon länger eingefordert.


Alternative zur industriellen Nahrungsmittelproduktion

Die Wortteile "Agrar" und "Ökologie" lassen auf den ersten Blick vermuten, dass sich das Konzept der Agrarökologie einzig auf eine besonders nachhaltige Form der Landwirtschaft bezieht. Doch ist die Idee vor allem eine politische und ökologische. Indigene Gruppen und kleinbäuerliche Verbände, wie beispielsweise La Via Campesina, verstehen unter dem Begriff nicht nur eine nachhaltige Landwirtschaft, sondern vor allem eine Einstellung, die gesellschaftliche Verhältnisse sowie auch das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur zu verändern sucht. Agrarökologie baut in diesem Verständnis auf der ökologischen Vielfalt und Biodiversität auf sowie auf einer harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur, wobei der Mensch als ein Teil dieser Umwelt begriffen wird.

Diese Auffassung entspricht der Lebensphilosophie vieler Kulturen der Welt, wo der Mensch lediglich mit der Natur interagiert, sie aber nicht zu beherrschen versucht. Der Fokus der Agrarökologie liegt hierbei auf kollektiven Prozessen und stellt somit die Gemeinschaft in den Mittelpunkt alternativen Wirtschaftens, im Gegensatz zum Agrobusiness, welches Profit und Marktmacht in den Vordergrund rückt. Alternative, gemeinschaftliche Formen der Herstellung von Gütern und ihres Konsums, werden als Lösung für die aktuellen ökologischen und sozioökonomischen Krisen angesehen. Sie sollen vor allem kleinräumige Wirtschaftskreisläufe stärken. Die Aufwertung von traditionellem Wissen und Praktiken sowie die Stärkung gemeinschaftlicher Strukturen steht dabei im Vordergrund. Diese Selbstbestimmung ländlicher Bevölkerung ist ein wichtiges Prinzip der Agrarökologie, die auch bäuerlichen Austausch und die Weitergabe bäuerlichen Wissens innerhalb und zwischen den Generationen beinhaltet.

Diejenigen, die den Großteil der weltweiten Nahrungsmittel produzieren, nämlich Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, müssen in den Mittelpunkt gerückt werden und mit Entscheidungsmacht über sich selbst, über ihre Produktionsweisen und über ihre Ernährung ausgestattet werden. Besonders Frauen müssen diese Rechte zugesprochen werden, um geschlechtsbedingte (Mehrfach-)Diskriminierungen zu vermeiden.

In diesem Sinne muss Agrarökologie auch als Teil der Bewegung für Ernährungssouveränität verstanden werden, denn beide Ideen stehen in einem wechselseitigen Verhältnis: Ernährungssouveränität bildet auf der einen Seite den langfristigen Rahmen für die Umsetzung von Agrarökologie, auf der anderen Seite ist Agrarökologie ein Mittel im Kampf für Ernährungssouveränität.


Agrarökologie und das Recht auf Nahrung

Das Menschenrecht auf Nahrung gilt als erfüllt, wenn jedes Kind, jede Frau und jeder Mann jederzeit und aus eigener Kraft Zugang zu kulturell angemessener Nahrung in ausreichender Menge und Qualität hat, die frei ist von schädlichen Inhalten, und über die entsprechende Kaufkraft verfügt, um sich für ein aktives Leben versorgen zu können. Diese Definition zeigt, warum Agrarökologie eine durchführungswerte Alternative darstellt. Durch kostengünstige Anbaumethoden, zum Beispiel unter Verzicht auf den Einsatz chemischer Mittel und chemisch oder biologisch "verbesserten" Saatguts, werden Abhängigkeiten und Verschuldung für die KleinbäuerInnen niedrig gehalten. So ist ihnen ein selbstbestimmtes Leben in Würde möglich.

Vor diesem Hintergrund unterstützt FIAN Deutschlands Agrarökologie als bäuerliche Alternative zu den industriellen Landwirtschaftsmodellen und Initiativen der "Unheiligen Allianzen". Denn diese sind unter dem Deckmantel der Ernährungssicherung nicht auf Hungerbekämpfung ausgerichtet, sondern vor allem auf die Profitmaximierung multinationaler Konzerne.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2015, Seite 6
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
Erscheinungsweise 4 Ausgaben/Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2015

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