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GRUNDSÄTZLICHES/053: Menschenrechtliche Schutzpflichten des Staates über Grenzen hinaus (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2012
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

Unternehmen regulieren - dürfen oder müssen?
Menschenrechtliche Schutzpflichten des Staates über Grenzen hinaus



Es ist eine menschenrechtliche Pflicht des Staates, Menschen vor Übergriffen durch Unternehmen zu schützen. Doch was ist mit Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben, aber transnational handeln? Welche menschenrechtlichen Schutzpflichten hat dann der deutsche Staat?


Internationale Menschenrechtsabkommen geben auf diese Fragen keine direkten Antworten. Ob, und wenn ja wie weit, eine staatliche, menschenrechtliche Schutzpflicht besteht ist Auslegungssache. Und über die wird vehement gestritten. So vertritt John Ruggie - sechs Jahre UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte - die Position, dass Staaten völkerrechtlich nicht verpflichtet sind, das Handeln der in ihren Staaten beheimateten Unternehmen im Ausland menschenrechtlich zu regulieren. Allerdings, so Ruggie, sei es ihnen auch nicht untersagt.


Und sie müssen doch!

Eine entgegengesetzte Auffassung wird in den 2011 veröffentlichten Maastricht Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vertreten. Die Menschenrechtsexpertinnen und -experten sehen ausreichende Grundlagen im internationalen Recht, dass Staaten Unternehmenshandeln im Ausland nicht nur regulieren dürfen, sondern sogar müssen. Mit "Regulieren" sind eine ganze Reihe von staatlichen Maßnahmen gemeint: von gesetzlichen Vorschriften zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen bis zur Möglichkeit, juristisch gegen diese vorzugehen. Dort, wo der Staat nicht in der Lage ist zu regulieren, aber beispielsweise über Maßnahmen der Außenwirtschaftsförderung Einfluss nimmt, sollen sie diesen menschenrechtlich nutzen.


Vorrang der Menschenrechte

Wer die Berichte von John Ruggie liest, findet ausreichend Argumente für eine umfassende menschenrechtliche Regulierung von Unternehmen durch die Heimatstaaten. So wies er in seinem Bericht von 2008 darauf hin, dass Zielstaaten oftmals nicht in der Lage sind, Menschenrechte angemessen zu schützen. Der Grund liegt in einem möglichen Konflikt mit den Vorgaben von bilateralen Investitionsschutzabkommen, die in erster Linie die Interessen der investierenden Unternehmen schützen. Bei einer solchen Schieflage ist es wichtig, dass der Heimatstaat im Interesse der Menschenrechte schützend eingreift. Da der Heimatstaat aber auch das unternehmerische Handeln im Ausland fördern will, muss die menschenrechtliche Schutzpflicht als internationale Verpflichtung anerkannt werden. Nur so erlangen die Menschenrechte den Vorrang vor staatlichen Wirtschaftsinteressen. Die Autorinnen und Autoren der Maastrichter Prinzipien betonen zudem, dass extraterritoriale Schutzpflichten und die Regulierung von Unternehmen ein wichtiger Baustein für ein gemeinsames und effektives Vorgehen der Staaten gegen Menschenrechtsverstöße von Unternehmen sind.


Menschenrechtliche Pflicht und gute Politik

Die Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten ist somit ein zentrales Element in der Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes. John Ruggie hat mit seinen Empfehlungen, den Status quo beizubehalten ("dürfen, aber nicht müssen") eine solche Weiterentwicklung ausgebremst. Umso bedeutsamer ist, dass mit den Maastricht Prinzipien nun ein Rechtskommentar vorliegt, der die Debatte wieder eröffnet. Aktuell ist es in Deutschland nicht möglich, Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor Gericht zu bringen. Dies könnte die Regierung ändern, ohne dass sie es als ihre menschenrechtliche Pflicht, sondern nur als gute menschenrechtliche Politik versteht. Zukunftsweisend wäre jedoch ein umfassendes menschenrechtliches Bekenntnis, das heute ohne die Anerkennung von extraterritorialen Staatenpflichten nicht mehr vollständig ist.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2012, Seite 4
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedelerstraße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2012