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BERICHT/241: Das engmaschige Kartellsystem der Ernährungsindustrie (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Carrefour, Danone und Edeka: Die neuen Gesetzgeber
Das engmaschige Kartellsystem der Ernährungsindustrie

von Roman Herre und Philip Seufert


Die Rede von freien Weltmärkten für Agrargüter und Nahrungsmittel ist irreführend. Wir leben heute in einem Nahrungsmittelsystem, in dem ein brasilianisches Fleischverpackungsunternehmen ein Drittel der gesamten Fleischverarbeitung in den USA organisiert, in dem drei US-Konzerne mehr als die Hälfte des global verschifften Getreides kontrollieren, in dem eine europäische Bank der größte Zuckerbaron der Welt geworden ist, in dem britische, französische und deutsche Supermarktketten in China und Vietnam um die Wette expandieren, und in dem ein einziger Palmölgigant aus Malaysia zunehmend Edelhölzer, Gummi, Palmöl und Reis in West- und Ostafrika produziert. Was hat das mit freien Märkten zu tun?


Märkte sind frei, sagen uns die Ökonomielehrbücher, wenn weder ein einzelner Anbieter noch ein einzelner Nachfrager durch sein Verhalten Preise und Menge entscheidend beeinflussen kann. Sind nicht eher die lokalen Märkte für Zwiebeln und Tomaten in Nord-Mosambik frei, auf denen hunderte Marktfrauen gleichzeitig ihre leicht verderbliche Ware auf Decken ausbreiten? Natürlich ist es nicht unproblematisch, wenn die Bäuerinnen ihre Produkte alle zum gleichen Zeitpunkt (gleich nach der Ernte) auf den Markt bringen. Das drückt vor allem die Preise. Ökonomisch freier aber sind diese Märkte allemal.


Vom Torwächter zum privaten Gesetzgeber

Das globale Nahrungsmittelsystem hingegen muss man sich weniger als freien Markt denn als eng zusammenlaufenden Trichter vorstellen, in dem eine große Zahl an Produzenten Nahrungsmittel an wenige Großhändler weitergibt, welche die Ware dann durch schmale Exportkanäle schleusen. Große Nahrungsmittelhändler wie die Bananenhandelsunternehmen Dole oder Del Monte gibt es seit Jahrhunderten. Sie sind Kinder des Kolonialismus und spielen in Ländern mit überschaubaren Exportvolumina traditionell die Rolle von Torwächtern zum Weltmarkt, die Mengen und Preise diktieren. Und doch hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten Entscheidendes verändert. Zum einen werden die Trichter in vielen Fällen enger. Im Kaffeesektor etwa kontrollieren zwischen 25 Millionen ProduzentInnen und 500 Millionen KonsumentInnen weltweit vier große Röstereien (45 Prozent des Umsatzes) und vier große Händler (40 Prozent des Umsatzes) das Geschäft. Zum anderen haben neue Akteure an Einfluss gewonnen, die sich nicht mehr mit der Torwächterrolle zufrieden geben, sondern darauf drängen, komplette Nahrungsmittelketten in ihrem Sinne umzustrukturieren. ExpertInnen sprechen vom sogenannten "governing" von Produktketten, und gemeint sind keine demokratisch legitimierten Autoritäten, sondern private Gesetzgeber wie Danone, Starbucks, Carrefour oder Edeka.


Supermärkte gegen StraßenhändlerInnen

Supermärkte und Franchise-Konsumketten besitzen weder Plantagen noch Fabrikanlagen oder Importunternehmen. Sie koordinieren die Logistik ihrer Zulieferungen und die Qualität der Produkte allein durch ihre Marktmacht. Sie schreiben Standards vor, die über gesetzliche Mindestanforderungen an Produktqualität und Hygiene hinausgehen. Dies können sie, weil sie noch engere Flaschenhälse kontrollieren als die alten Torwächter. Vor allem beim Anbau von Obst und Gemüse kann die Anpassung an diese Standards für Bauern und Bäuerinnen durchaus lukrativ sein. Supermärkte erschließen ihnen durch ihre Exportketten neue, wohlhabendere Kundengruppen als auf lokalen Märkten. Jedoch sind die Anforderungen an die Bauern und Bäuerinnen hoch. Nur die wenigsten von ihnen können sich die teuren, vorgeschriebenen Anschaffungen wie Hybridsaatgut, Pestizidspritzen oder Waschbecken leisten und sind in der Lage zu detaillierter Geschäftsplanung, Buchführung sowie just-in-time-Lieferung. Supermärkte verlangen zunehmend die absolute Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte. Sie wollen bei jedem Apfel in ihrer Auslage wissen, wo, wann und wie er gepflückt wurde. Die ungeheuren Kosten, die das mit sich bringt, tragen die Bauern und Bäuerinnen. Für die überwiegende Zahl von KleinproduzentInnen in den betroffenen Sektoren stellen die definierten Standards daher de facto Marktausschlussmechanismen dar. Eine Chance haben meist nur Großbauern und -bäuerinnen und auch sie werden bei diesem Geschäft keinesfalls reich.


Verdrängungsprozesse

Besonders negativ sind Bauern zunehmend von direkten Investitionen in die Agrarproduktion betroffen. In der profitablen, aber landintensiven Produktion von Zuckerrohr, Ölpalmen, Soja oder Holz spielen Bauern und Bäuerinnen fast keine Rolle mehr. Vielmehr dominiert hier der Anbau in großflächigen Monokulturen und die Organisation über vertikal integrierte Wertschöpfungsketten. Zunehmend betreiben Konzerne wie Cargill, Nestlé und Coca-Cola Soja- und Orangenplantagen selbst, um sich eine stabile Rohstoffversorgung zu sichern. Insbesondere aber gehen sie immer häufiger Joint Ventures mit rasant wachsenden Agrokonzernen aus Südamerika und Südostasien ein. Ein wichtiger Partner der Ernährungsindustrie ist das Konglomerat Sime Darby Berhad. Es bewirtschaftet Palmöl- und Kautschukplantagen in 20 Ländern, wobei es auf Vertragsanbau von Bauern und Bäuerinnen weitgehend verzichtet, hingegen bereits heute 100.000 ArbeiterInnen beschäftigt.

Doch zur direkten Verdrängung können auch Supermärkte beitragen, wenn sie nicht nur Waren importieren, sondern selbst in Entwicklungs- und Schwellenländer expandieren. Die Behauptung, Investitionen der Ernährungsindustrie würden per se zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, ist schwer zu belegen. Nahrungsmillelkonzerne und Supermärkte sind aufgrund ihrer ambitionierten Hygienestandards auf eine weitreichende Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte angewiesen, was ihnen verbietet, ihre Produkte auf Wochenmärkten zu beziehen. Parallel zu einer Verbreitung von Supermärkten ist daher der Niedergang von traditionellen Großmärkten zu beobachten, die vielen Menschen in der Breite Einkommen bieten. In Vietnam etwa kommen auf eine Tonne verkauften Gemüses 18 StraßenhändlerInnen, jedoch nur 4-5 Arbeitsplätze in Supermärkten. In der Regel geht eine direkte Investition mit der Verdrängung lokaler ProduzentInnen und HändlerInnen einher, auch wenn diese Verdrängung oftmals den informellen Sektor trifft und damit in Statistiken nicht auftaucht.


Eine Frage des Rechts auf Nahrung

Konkrete Menschenrechtsverletzungen im Agrarhandel nachzuweisen ist kompliziert. Dass eine strategische Preissetzungspolitik etwas mit der Verletzung des Rechts auf Nahrung zu tun haben könnte, ist bei weitem noch nicht allgemein akzeptiert. Am ehesten lässt sich mit dem Recht auf Nahrung bei Fällen gezielter Zerstörung von heimischen Märkten durch Exporte argumentieren. Dass der Missbrauch der Nachfragemacht durch Großkonzerne aber de facto das Recht auf Nahrung verletzt, ist nicht zu bestreiten. Staaten haben daher unter anderem die Pflicht, sich entschieden für eine Diversifizierung von Marktkanälen einzusetzen. Bauern und Bäuerinnen dürfen nicht gezwungen werden, sich auf enge, riskante Exportkanäle einzulassen. Weitere Maßnahmen könnten gezielte Subventionen ebenso einschließen wie den Einsatz von transparent geführten Marketing-Boards und eine bewusste Politik der öffentlichen Beschaffung. Staaten müssten grundsätzlich in die Infrastruktur und in Standards für lokale Märkte investieren. Insbesondere aber sollten sie die Verhandlungsmacht von KleinproduzentInnen stärken. Dies sollte zum einen durch ein Wettbewerbsrecht geschehen, das die Nachfragemacht von Ernährungskonzernen begrenzt. Zum anderen sollten bäuerliche Vermarktungskooperativen gezielt unterstützt werden. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Strukturen ist es nicht hinnehmbar, dem Weltmarkt und den damit verbundenen Weltmarktpreisen die Steuerung des globalen Ernährungssystems zu überlassen.


Roman Herre ist Agrarreferent bei FIAN Deutschland.
Philip Seufert absolvierte 2011 ein sechsmonatiges Praktikum bei FIAN Deutschland mit dem Arbeitsschwerpunkt "Wirtschaft und Menschenrechte".


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 9-10
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011