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BERICHT/234: Klimamigration - Menschenrechtsschutz der Betroffenen (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Klimamigration: Menschenrechtsschutz der Betroffenen
Moralischer Appell oder Erinnerung an Rechtspflichten aufgrund drohender Menschenrechtsverletzungen?

Von Clemens Steinhilber


Der Klimawandel bringt hydrometeorologische Katastrophen(1), schleichende Verschlechterung der Umweltbedingungen, signifikanten und andauernden Verlust von Staatsterritorium sowie bewaffnete Konflikte um schwindende natürliche Ressourcen mit sich.(2) Nach Schätzungen sollen dadurch ausgelöste Wanderungsbewegungen im Jahr 2050 bis zu 200 Millionen Menschen umfassen.(3) Die Betroffenen sind bislang völkerrechtlich "obdachlos". Westliche Industriestaaten betrachten klimabedingte Migration als entwicklungspolitisches Problem, dem keine rechtliche Handlungspflicht korrespondiert. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass ein Brückenschlag zu bestehenden Menschenrechtsregimen die Position der Betroffenen stärken kann.



Stand der Diskussion

Klimabedingte Migration(4) ordnet sich in einen sozioökonomischen Kontext ein. Die jeweilige Migrationsentscheidung allein auf die Klimaveränderung zurückzuführen, erscheint unmöglich, geschweige denn einen Nachweis für deren Unfreiwilligkeit zu erbringen. Aus diesem Grund besteht Uneinigkeit über die tatsächliche Existenz und den Umfang klimabedingter Migration, der Terminologie sowie möglicher beziehungsweise erstrebenswerter rechtlicher Schutzsysteme. Die Diskussion um klimabedingte Migration wird in erster Linie innerhalb des Migrationsrechts ausgetragen. Dies erscheint insofern naheliegend, als dass am aktuellen Status der Betroffenen angeknüpft wird. Zum Schutz der Betroffenen kommen folgende Maßnahmen in Betracht:

1. Die Einrichtung eines Koordinationsmechanismus, der die Kapazitäten bestehender, mit Teilaspekten des Schutzes klimabedingter Migranten befasster Organisationen zusammenführt;

2. die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffes der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), um auch klimabedingte Flüchtlinge oder sogar Migranten ihrem Schutzregime zu unterstellen;

3. die Erarbeitung multilateraler Konventionen zum Umgang mit klimabedingten Migranten. Orientierung könnten hierbei bestehende Regime wie die Antifolterkonvention oder das Klimaregime bieten.

Entsprechende Überlegungen sind unentbehrlich und bedürfen der Intensivierung: Den Betroffenen muss eine völkerrechtlich gesicherte Stellung eingeräumt werden; ihrer völkerrechtlichen Obdachlosigkeit muss abgeholfen werden!


Handlungsmotivation: Moralischer Appell oder Rechtspflicht?

Indes darf bei diesen Überlegungen die Handlungsmotivation der internationalen Staatengemeinschaft nicht aus dem Blick geraten: Ist sie moralischer Art oder besteht eine Rechtspflicht zum Handeln? Verengt man den Blick auf die Migration, ist man bei herkömmlicher Betrachtung entweder auf bestehende Schutzregime - die auf den Schutz der KlimamigrantInnen allesamt nicht so recht passen wollen - oder auf einen moralischen Appell verwiesen. Moralische Appelle jedoch nützen erfahrungsgemäß wenig, es sei denn, eine unmittelbare Selbstbetroffenheit ist zu erwarten.


Menschenrechtliche Dimensionen: Ebenenverschiebung

Daher ist zu erwägen, bestehende menschenrechtliche Staatenpflichten auch für klimabedingte Migration fruchtbar zu machen.(5) Menschenrechtliche Staatenpflichten führen zu einer Ebenenverschiebung der im Rahmen des Migrationsrechts bestehenden Schwierigkeiten: Probleme der Terminologie sowie der Art und Weise des Schutzes gilt es nicht mehr zur Begründung konkreter Handlungspflichten zu überwinden. Vielmehr werden diese lediglich bei der Frage erheblich, ob von völkerrechtlich verantwortlichen Staaten getroffene Maßnahmen deren Rechtspflichten genügen.


Bedeutung für klimabedingte Migration

Ein menschenrechtlicher Ansatz ändert den Blickwinkel auf Maßnahmen zur Vorbeugung klimabedingter Migration beziehungsweise zum Schutz von Klimamigranten. Die Ausgangslage der betroffenen Individuen sowie die Verhandlungsposition ihrer Heimatstaaten werden gestärkt. Wurden die Maßnahmen der westlichen Industriestaaten bisher als milde Gabe im Rahmen der Entwicklungspolitik angesehen,(6) so bestehen bei einer menschenrechtlichen Betrachtung Rechtspflichten zum Handeln! Schutzregime des Migrationsrechts haben nicht mehr pflichtenbegründende Funktion, sondern dienen "lediglich" der Erfüllung bestehender menschenrechtlicher Staatenpflichten. Aus den Staatenpflichten folgt ein Anreiz der "Hauptemittenten" zu Emissionsreduktionen und zu Klimaanpassungsmaßnahmen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern (shame and blame). Präventive Klimaanpassungsmaßnahmen vermindern das Verwundbarkeitsrisiko der vom Klimawandel Betroffenen. Somit beugt das bestehende Menschenrechtsregime klimabedingter Migration vor und statuiert zugleich Rechtspflichten zum Schutz der Betroffenen.


Für die in Zusammenhang mit klimabedingter Migration diskutierten Fragen(7) ergibt sich daraus Folgendes:

1. Die Frage nach Existenz und Umfang "klimabedingter Flucht" ist entbehrlich, denn: bei menschenrechtlicher Betrachtung verliert die Terminologie an Bedeutung. Zur Auslösung des menschenrechtlichen Schutzregimes genügt der Nachweis einer Verletzung völkervertraglich niedergelegter Menschenrechte. Eine weitergehende Ergründung der konkreten Migrationsursachen ist entbehrlich.

2. Da es für die Aktivierung konkreter Staatenpflichten für Menschenrechtsverletzungen nicht auf den rechtlichen Status der Migranten ankommt, besteht (erst recht) kein Anlass, das Schutzregime der GFK auf klimabedingte Migration zu erweitern und dadurch möglicherweise den Status der GFK-Flüchtlinge zu unterminieren.

3. Ob den Staatenpflichten nun durch einen Koordinationsmechanismus oder eine multilaterale Konvention zum Umgang mit klimabedingten Migranten in Anlehnung an die Antifolterkonvention oder das Klimaregime erfolgen sollte, kann hier offen bleiben, denn: dies ist letztlich "Geschmacksache".


Fazit

Die Frage nach den Ursachen der Migration stellt sich auch bei hier vorgenommener Betrachtung. Allerdings in anderem Gewand im Rahmen der Prüfung, ob eine Menschenrechtsverletzung durch den Klimawandel gegeben ist. Während sie im Migrationsrecht zur Aktivierung der GFK oder innerhalb zukünftig zu schaffender anderer Rechtsregime erheblich wird, ist sie nach hier skizziertem Ansatz dem Migrationsrecht vorgeschaltet und moralisch auf eine höhere Normebene "gezurrt". Es bleibt, den Entscheidungsträgern ihre menschenrechtlichen Rechtspflichten in Erinnerung zu rufen und zu halten. Indes verspricht ein Blick auf das politische Geschehen keine Aussicht auf zügige und zeitnahe Entwicklung eines wirksamen Schutzregimes; die völkerrechtlich Obdachlosen werden wohl auch in nächster Zeit "im Regen stehen".

Clemens Steinhilber ist Mitglied im FIAN-Arbeitskreis Klima.


Anmerkungen:

(1) Der Anstieg des Meeresspiegels führt zu Zunahme periodischer Überflutungen, tropischer Stürme, Küstenerosion sowie Versalzung der Küstengewässer.

(2) IASC 2008.

(3) Vgl. zu den möglichen Szenarien klimabedingter Migration: Brown, Migration and Climate Change, IOM Migration Research Series, No. 31, 2008.

(4) Begriffswahl: Bewusstwerdung, dass nach hier vertretenem Ansatz eine Abgrenzung von unfreiwilliger (Flucht) und freiwilliger Migration entbehrlich ist.

(5) Vgl. zu den konkreten menschenrechtlichen Staatenpflichten: Schulze/Wang-Helmreich/Sterk, Menschenrechte im Klimawandel 2009, S. 7, 18 ff, 26 f.; Rathgeber, Klimawandel verletzt Menschenrechte, 2009, S. 16 f.

(6) So aber z.B. Biermann und Boas 2008, Fn. 48, 11; Grote, Der rechtliche Schutz ökologisch motivierter Flucht, 2008, S. 13.

(7) Zum Streitstand vgl. nur Brown, (o. Fußn. 3); Jakobei/Methmann, Klimaflüchtlinge, 2007; Hummitzsch, Klimawandel und Migration, 2009.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2011, April 2010, S. 11-12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2011