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BERICHT/206: Die wahre Grüne Revolution - Ökologische Landwirtschaft (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Die wahre Grüne Revolution: Ökologische Landwirtschaft
Industrielle Landwirtschaft schafft Hunger

Von Dr. Vandana Shiva


Wie und welche Nahrungsmittel wir anbauen bestimmt darüber, was wir essen und wer isst. Das entscheidet auch über Qualität und Sicherheit unserer Nahrung. Trotzdem wurden Lebensmittelsicherheit, Ernährungssicherheit und Landwirtschaft immer getrennt voneinander betrachtet. Nahrung wird auf eine Art produziert, die der Mehrheit der Menschen Nahrung raubt und diejenigen, die essen, nur mit Lebensmitteln von schlechter Qualität versorgt.


Auf der Welt wird genug Nahrung für alle produziert. Trotzdem wird Milliarden Menschen ihr Recht auf Nahrung verwehrt. Die globalisierte und industrialisierte Nahrungsmittelproduktion schafft auf unterschiedliche Weisen Hunger. Zum einen basiert die industrielle Landwirtschaft auf der Zerschlagung kleiner Bauernhöfe, entwurzelt und enteignet werden BäuerInnen Teil der hungernden Bevölkerung. Zum anderen basiert sie auf teuren Inputs wie gekauftem und nicht reproduzierbarem Saatgut, synthetischen Düngemitteln, Pestiziden und Herbiziden. Viele BäuerInnen verschulden sich beim Kauf. Um die Schulden zu begleichen, müssen sie oft ihre gesamte Ernte verkaufen und entziehen sich damit ihre eigene Nahrung. Können sie ihre Schulden nicht bezahlen, verlieren sie ihr Land und oft auch ihr Leben. In Indien haben mehr als 150.000 Bauern Selbstmord begangen, als Inputkosten stiegen und die Marktpreise ihrer Produkte sanken - und sie somit in die Schuldenfalle tappten.

Landwirtschaft, die Pflege des Bodens und der Landschaft, die Kultur vom Anbau guter Nahrungsmittel, wird transformiert in eine rein unternehmerische, industrielle Aktivität. Die Nahrung selbst, einst Quelle des Lebensunterhalts und Ernährungsgrundlage, wird zur Ware und füttert Nahrungsmittelfabriken und sogar Autos. Die Armen bekommen höchstens die Überreste. Industrielle Landwirtschaft erzeugt ein negatives Ernährungssystem, sie begünstigt Homogenität, Monokultur, die Zerstörung der Biodiversität und verbraucht mehr als sie produziert. Für ein Kilo Rindfleisch benötigt sie zehn Kilo Futter, für ein Kilo Schweinefleisch 4 bis 5,5 Kilo, für ein Kilo Hühnerfleisch 2 bis 3 Kilo Futter.

In jeder agro-klimatischen Zone der Erde hat sich ein landwirtschaftliches Produktionssystem entwickelt, welches auf eigenen, dort anpassenden Arten basiert. Die industrielle Landwirtschaft zerstört nicht nur Ökosysteme, sondern auch die Vielfalt der Landwirtschaft. Sie führt zudem zur Ausrottung einzelner Kulturpflanzen. Monokulturen ersetzen Mischanbau oder den Anbau in Fruchtfolge durch eine einzige Sorte, die an spezielle Chemikalien und nicht an das Ökosystem oder Klima angepasst ist.


Die wahre Grüne Revolution: Diversifizierte ökologische Landwirtschaft

Trotz ihrer verheerenden Auswirkungen wird die industrielle Landwirtschaft umfangreich gefördert - mit dem Argument, dass die ökologischen Kosten für die Produktivitätssteigerung in Kauf genommen werden müssen. Tatsächlich aber werden bei dieser Art der Landwirtschaft mehr Ressourcen in den Anbau gesteckt als am Ende produziert werden. Klassisch spricht man von Produktivität im Sinne der Arbeitsproduktivität. Eine erhöhte Produktivität bedeutet dabei den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und Chemikalien. Doch gerade die menschliche Arbeitskraft ist kein knappes Gut - im Gegensatz zu Land und Wasser. Rechnet man Arbeitskraft, Energie, natürliche Ressourcen und externe Inputs ein, so ist industrielle Landwirtschaft keinesfalls produktiver als ihr ökologischer Gegenpart, sie kann die Produktivität sogar um das bis zu 60fache verringern.

Die oben genannte Produktivitätsanalyse basiert auf einer Studie, die traditionelle Mischkulturen mit industriellen Monokulturen vergleicht. Sie zeigt, dass Mischkulturen hundert Nahrungsmitteleinheiten aus fünf Inputeinheiten produzieren können, während industriellen Monokulturen für dieselbe Menge an Nahrungsmitteln 300 Inputeinheiten benötigen. Demnach werden 295 Inputeinheiten verschwendet, welche 5.900 Nahrungsmitteleinheiten produzieren könnten. Die industrielle Landwirtschaft ist somit ein Rezept, um Menschen verhungern zu lassen, nicht um sie zu ernähren.

Ein typisches Argument für die Förderung industrieller Landwirtschaft ist, dass nur sie eine wachsende Weltbevölkerung ernähren kann. Wenn aber mehr Menschen ernährt werden müssen, müssen die Ressourcen effizienter genutzt werden. Denn Ressourcen, nicht Arbeit, sind der limitierende Faktor in der Nahrungsmittelproduktion, daher ist die Produktivität der Ressourcen der entscheidende Maßstab. Eine 60fache Verringerung der Nahrungsmittel produzierenden Kapazität im Kontext der Ressourcennutzung ist keine effiziente Strategie zur Nutzung von Land, Wasser und Biodiversität, um die Menschen auf der Welt zu ernähren.


Diversifizierte organische Landwirtschaft produziert mehr

Jüngere Untersuchungen haben gezeigt, dass der ökologische Landbau durch die niedrigen Inputkosten und bessere Preise für die Produkte sogar profitabler sein kann. Hunderte Baumwoll-Farmer in Andhra Pradesh, die von multinationalen Konzernen mit Dünger und Pestiziden beliefert wurden, begingen Selbstmord, weil sie den Pflanzenschädlingen nicht Herr wurden. Gleichzeitig ernteten ökologisch arbeitende Bauern in Tamilnadu 15 Zentner Baumwolle pro Acre (The Hindu, 2004). Ein weiteres Beispiel: Im Erode Distrikt von Andhra Pradesh liegt der durchschnittliche Ernteertrag von Zuckerrohr auf Farmen, die mit chemischen Inputs arbeiten, bei 40 Tonnen pro Acre. Im ökologischen Anbau werden zwischen 60 und 70 Tonnen auf der gleichen Fläche geerntet (The Hindu, 2004). Eine Reihe von Studien zeigt, dass der ökologische Anbau höhere Ernteerträge erbringt und höhere Einnahmen erzielt. Prof. Jules Pretty von der Essex Universität hat 1998 aufgezeigt, dass BäuerInnen in Indien, Kenia, Brasilien, Guatemala und Honduras ihre Ernteerträge verdoppelt oder sogar verdreifacht haben, indem sie auf ökologische Anbaumethoden umgestiegen sind. (Feeding the World, SPLICE-Genforschungsmagazin, Vol. 4, 1998)

Hybridsamen müssen immer neu gekauft werden und schaffen so eine Abhängigkeit vom Markt. Navdanya, ein indisches Netzwerk zum Erhalt traditionellen Saatguts, will die Menschen aus dem Teufelskreis der Marktabhängigkeit herausbringen. Ernte und Einkommen der BäuerInnen von Navdanya haben sich vervielfacht. Ein Beispiel einer Umstellung auf ökologische Landwirtschaft zeigt im Verlauf von zehn Jahren eine durchschnittliche Ertragsverdoppelung, während die Kosten für Saatgut, Dünger und Pestizide gen Null gingen (Quelle: Balbeer Singh, Village Utircha, and Navdanya Records). Da ökologischer Anbau mehr Nahrung produziert und höhere Einkommen für die BäuerInnen bedeutet, gibt es eigentlich keinen Grund, dies nicht als nationale Politik in Indien umzusetzen und so der Agrarkrise entgegenzuwirken, die das Leben der KleinbäuerInnen bedroht, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen.

Trotzdem wird weltweit ein System gefördert, das sowohl bezüglich der Produktivität als auch der Einkommen negative Auswirkungen auf die KleinbäuerInnen Asiens und Afrikas hat. Unter dem Motto der Grünen Revolution sorgen teures, nicht reproduzierbares Saatgut und Chemikalien dafür, dass die BäuerInnen mehr für Inputs ausgeben müssen als sie am Ende produzieren können. Diese Entwicklung wird verschärft durch den globalisierten, freien Handel und das Dumping hochsubventionierter Produkte auf die Märkte des Südens. Dort sinken die Preise immer weiter und die BäuerInnen werden so ihres Einkommens beraubt. Verschuldung und Selbstmorde der Bauern haben ihre Wurzeln in der Krise der sinkenden Einkommen, welche aufgrund der steigenden Kosten und der fallenden Preise entstehen.

Die Lösung für Hunger und Armut ist der diversifizierte ökologische Anbau von Nahrungsmitteln basierend auf einheimischen, lokal angepassten Sorten und einem gemeinschaftlichen Erhalt sowie der Züchtung von Sorten. Statt der chemisch-intensiven Landwirtschaft, wie es das Modell der Grünen Revolution vorschreibt, müssen wir die biologische Vielfalt in der Landwirtschaft fördern. Die wahre Grüne Revolution basiert auf diversifizierten, ökologischem Anbau und wird auf den Feldern von KleinbäuerInnen bereits angewendet. Initiativen, die sich auf KleinbäuerInnen konzentrieren und ökologisch nachhaltig sind, müssen ausgeweitet werden, um die Umwelt, das Land und das Leben der kleinbäuerlichen Betriebe zu schützen und um mehr Nahrung zu produzieren.

Ökologische Landwirtschaft produziert nicht nur mehr Nahrung auf einer niedrigeren finanziellen Basis und zu niedrigeren ökologischen Kosten, sie produziert auch gesündere, nahrhaftere Nahrung von besserer Qualität.


Dr. Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises (1993), ist eine der Vorsitzenden des International Forum on Globalizationist, Mitglied des Club of Rome und des Exekutivkomitees des Weltzukunftsrates.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2010, März 2010, S. 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010