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BERICHT/199: Koalitionsvertrag - Falschverstandene Ernährungssouveränität (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Falschverstandene Ernährungssouveränität
Hungerbekämpfung im Koalitionsvertrag

Von Ute Hausmann


CDU und FDP möchten sich in der nächsten Legislatur "unter dem Gesichtspunkt der Ernährungssouveränität" für ein nachhaltiges internationales Engagement zur Stärkung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume in Entwicklungsländern einsetzen. Sollte die Bundesregierung damit das Recht aller Menschen meinen, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu definieren, so spiegelt sich dies zumindest nicht im Koalitionsvertrag wider.


Die neue Bundesregierung setzt bei der Hungerbekämpfung auf Kontinuität: "Die bisherigen Zusagen Deutschlands für die Bewahrung der biologischen Vielfalt und die Bekämpfung von Klimawandel und Hunger sollen konsequent umgesetzt und auch künftig bedarfsgerecht gestaltet werden. Die ländliche Entwicklung soll zudem einer der Schlüsselsektoren in der Entwicklungszusammenarbeit werden. Eine interessante Aufgabe also für den FDP-Generalsekretär und nun Entwicklungsminister, Dirk Niebel, dessen Partei die Abschaffung des Ministeriums forderte und der keine nennenswerte internationale Erfahrung vorweisen kann.


Weitere Marktöffnung

Es ist kaum zu erwarten, dass Niebel sich für eine Kohärenz der verschiedenen politischen Ressorts mit dem Ziel der Hungerbekämpfung. der Ernährungssouveränität oder gar des Menschenrechts auf Nahrung stark machen wird. Falls er dies überraschend doch in Angriff nimmt, müsste er Sturm laufen gegen eine Reihe von politischen Leitkonzepten der neuen Koalition. So sollen Exportsubventionen auf landwirtschaftliche Produkte nur "im internationalen Vergleich" abgebaut werden und nicht ganz abgeschafft werden, wie die FDP im Wahlkampf verkündete. Zugleich soll die Absatzförderung deutscher Agrarprodukte auf internationalen Märkten ausgebaut werden. In der internationalen Handelspolitik will die Bundesregierung jede Art von Protektionismus bekämpfen und sich nachhaltig für weitere Marktöffnungen einsetzen. Dies ist eine Politik, die dem Anliegen der Ernährungssouveränität in ihrem Grundsatz widerspricht und die Handlungsspielräume von Staaten beschneidet, ihre menschenrechtlichen Schutzpflichten erfüllen zu können.


Deutsche Wirtschaftsinteressen im Zentrum

Die Entwicklungspolitik wird in der kommenden Legislatur zunehmend den Interessen der deutschen Wirtschaft untergeordnet, die laut Koalitionsvertrag in entwicklungspolitischen Entscheidungen "angemessen berücksichtigt" werden müssen. Die Vergabe von Exportkrediten, Investitionsgarantien und ungebundenen Finanzkrediten wird zudem beschleunigt und "vorrangig an der Sicherung des Standorten Deutschland und der Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung im Inland ausgerichtet". Damit steigt das Risiko, dass Großprojekte unter Beteiligung deutscher Unternehmen im Ausland zu Landvertreibung und Mennchenrechtsverletzungen führen. Das Problem der großflächigen Landnahme (landgrabbing) in Entwicklungsländern wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Im Wahlkampf hatte die FDP sich vor allem für die Stärkung von Eigentumsrechten an Land stark gemacht und im selben Atemzug gefordert, dann die deutsche Außenpolitik entschlossen gegen die Verletzung von Eigentumsrechten vorgehen soll. Es ist also damit zu rechen, dass die Unterstützung umverteilender Agrarreformen unter einem FDP-regierten Minister endgültig zu Grabe getragen wird.


Weniger Geld für die FAO?

Ein bekanntes Gesicht am Kabinettstisch wird Landwirtschaftsministerin Aigner sein. Vom Engagement ihres Ministeriums wird abhängen, ob die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) in der internationalen Ernährungsarchitektur eine zentrale Rolle spielen kann und ob das Menschenrecht auf Nahrung zum zentralen Bezugspunkt der Antwort auf die Ernährungskrise wird. Die neue Bundesregierung möchte die multilaterale zugunsten der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit zurückfahren. Davon dürfte auch die FAO betroffen sein. Aus der Rhetorik ist das Menschenrecht auf Nahrung in der deutschen Politik fast nicht mehr wegzudenken, ein aktiver Einsatz für dieses Recht wird von FIAN und anderen in den kommenden vier Jahren wohl offensiv eingefordert werden müssen.


Ute Hausmann ist Geschäftsführerin von FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, November 2009, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2010