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BERICHT/189: Mit Recht gegen Hunger (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Mit Recht gegen Hunger
Afrika braucht engagierte JuristInnen im Kampf gegen den Hunger

Von Ute Hausmann


Wer auf der Suche ist nach bahnbrechenden Gerichtsentscheidungen zum Menschenrecht auf Nahrung auf dem afrikanischen Kontinent, der wird enttäuscht werden. Dabei bieten Konflikte zwischen traditionellem und modernem Recht oder die Auseinandersetzung um den Einsatz begrenzter Finanzmittel ein weites Feld, auf dem sich engagierte JuristInnen für das Menschenrecht auf Nahrung stark machen können.


Das afrikanische Menschenrechtssystem hat sich seit 1981 stetig weiter entwickelt. Deshalb überrascht es, dass das Menschenrecht auf Nahrung bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt. Nur eine einzige Entscheidung der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker (ACHPR) hat sich mit diesem Recht beschäftigt. Bei dieser Klage ging es um Menschenrechtsverletzungen an den Ogoni im Nigerdelta im Zusammenhang mit der Ölförderung durch Shell. Seitdem hat sich die Kommission nicht mehr zum Menschenrecht auf Nahrung geäußert, obwohl sie im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe zur Nahrungsmittelkrise eingesetzt hat. Nun könnte es sein, dass die nächste Entscheidung eines regionalen Gremiums zum Recht auf Nahrung nicht von der ACHPR kommt, sondern vom Tribunal der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC).


Landrechte für Frauen

Als im Sommer 2004 die Regierungen über die FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung verhandelten, weigerten sich die Vertreter der afrikanischen Staaten lange, das Recht von Frauen, zu erben und Land zu besitzen, als Leitlinie aufzunehmen. Viele sahen ein solches Recht im Konflikt mit traditionellem Recht, das in den meisten Ländern den Landbesitz regelt.Das Verhältnis von traditionellem zu "modernem" Recht beschäftigt auch die Gerichte. So kam 1999 das höchste Gericht in Zimbabwe zu der Entscheidung, dass Frauen aufgrund der "Natur der afrikanischen Gesellschaft" nicht als gleichberechtigt anzusehen seien und deshalb das Land den Männern überlassen müssen. Geklagt hatte Venia Magaya, eine 58-jährige Frau. Ihr Bruder hatte sie aus dem Haus getrieben, nachdem der gemeinsame Vater gestorben war. Um solche Gerichtsentscheidungen zu verhindern, müssen Gesetze erlassen werden, die dasRecht von Frauen, Land zu besitzen, über das traditionelle Recht stellen. Ein Beispiel hierfür ist das tansanische Landgesetz und das Dorfgesetz, beide von1999. Diese Gesetze sehen neben derVorrangigkeit von Frauenrechten über traditionellem Recht vor, dass Frauen in den Entscheidungsgremien vertreten sein müssen, in denen Landkonflikte beigelegt werden. Diesen Ansatz haben Frauenrechtsorganisationen inzwischen auch auf der regionalen Ebene durchgesetzt. 2008 verabschiedeten die inder SADC zusammen geschlossenen Staaten das SADC Protokoll zu Gender und Entwicklung. In Artikel 18 ist festgelegt, dass alle SADC Staaten bis 2015 alle Gesetze und Politiken überarbeiten sollen, die den Zugang und die Kontrolle von Frauen über produktive Ressourcen beeinflussen. Ziel ist es sicherzustellen, dass damit die Diskriminierung vonFrauen und Mädchen in Bezug auf Wasser- und Landrechte beendet wird.Was äußerst bedeutend ist: dieses Protokoll gilt rechtsverbindlich für alle SADC Staaten und ist vor dem SADC Tribunalin Windhoek einklagbar.


Ungleiche Machtverhältnisse

Konflikte um Land entspannen sich nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch dort, wo Wirtschaftsinteressen über die Bedürfnisse von ländlichen Gemeinden gestellt werden. Die Zwangsumsiedlungen für den Goldabbau in Ghana und die Vertreibung derBenet für einen Nationalpark in Uganda sind Beispiele dafür, wie Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen werden, um Investoren und Touristen anzulocken. Dazu kommt, dass die von der Weltbank und anderen Geldgebern aktuell forcierte Steigerung ausländischer Investitionen in die Landwirtschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verdrängung von Kleinbauernfamilien von ihrem Land führen wird. Die Strategie der Weltbank ist, die Bauern über Vertragsverhältnisse mit ausländischen Unternehmen in die globale Wertschöpfungskette zu integrieren. Doch solche Verträge stellen ein Risiko für die Bauern dar. Sie müssen nicht nur sehr hohe Qualitätsstandards erfüllen, sondern sind auch an diese Unternehmen gebunden, da diese ihnen das Saatgut und die Chemikalien zur Verfügung stellen. Der Staat ist in der Pflicht, in einem solchen ungleichen Machtverhältnis die Rechte der Bäuerinnen und Bauern zu schützen. Doch die rechtliche Auseinandersetzung mit transnationalen Unternehmen wird auf nationaler Ebene immer schwerer, da Investitionsabkommen zwischen Unternehmen und Regierungen die nationalen Gerichte als nicht zuständig erklären und Konfliktfälle zwischen Unternehmen und Regierungen zu internationalen Schiedsgerichten verlegen. Umso wichtiger ist es, dass RechtsexpertInnen Investitionsabkommen daraufhin untersuchen, ob damit potentiell das Recht auf Nahrung verletzt oder Rechtswege verschlossen werden.


Ein Recht auf Grundeinkommen?

Neben dem Schutz der Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen mehr öffentliche Gelder bereit gestellt werden, die der kleinbäuerlichen Landwirtschaft direkt zugute kommen. Laut Rechtsauslegung des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte müssen die Staaten das Maximum der verfügbaren Ressourcen einsetzen, um das Menschenrecht auf Nahrung zu gewährleisten. Hier wäre ein wichtiger Beitrag von afrikanischen JuristInnen zu leisten, was denn in einzelnen Fällen das "Maximum der verfügbaren Ressourcen" bedeutet und in welchen Fällen die fehlende Bereitstellung von Geldern eine Verletzung von Staatenpflichten darstellt. Dass viele JuristInnen bei dieser Frage sehr zurückhalten sind, zeigt das Beispiel der Wasserversorgung in Johannesburg. Dort hat das Gericht festgestellt, dass jeder Mensch das Recht auf 42 Liter Wasser am Tag hat. Gleichzeitig hat das Gericht es versäumt, die Stadt darauf zu verpflichten, das Wasser auch zur Verfügung zu stellen. Eine spannende Frage ist, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eine menschenrechtliche Verpflichtung darstellt. Ein Pilotprojekt in Namibia zeigt, wie effektiv solch ein Ansatz sein kann. Seit November 2007 erhält in einem Ortsteil der Stadt Orjivero jede/r EinwohnerIn im Monat 100 Namibische Dollar, das entspricht 8,70 Euro. Bis Dezember 2008 ist die Zahl der unterernährten Kinder von 42 Prozent auf zehn Prozent gesunken. Auch die Erwachsenen klagen weniger über Hunger, und zudem hat sich ein Wirtschaftsleben entwickelt. Die Ausdehnung des bedingungslosen Grundeinkommens auf die gesamte Bevölkerung würde 2,2 bis 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Namibia ausmachen. Unterschiedliche Steuermodelle zur Finanzierung liegen bereits vor. Nun ist es nicht die Aufgabe eines Gerichts, einem Staat ein Grundeinkommensprogramm zu verordnen. Aber es kann zu der Feststellung kommen, dass der Staat nicht das Maximum seiner verfügbaren Ressourcen eingesetzt hat, um einen effektiven Beitrag zur Gewährleistung des Rechts auf Nahrung zu leisten.


Verpflichtung zu internationaler Kooperation

Letztlich geht es darum, die rechtlichen Ansprüche jedes einzelnen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent zu formulieren, der heute an Hunger leidet oderdavon bedroht ist. Je nach Lebenslage kann dieser Anspruch unterschiedlich ausgestaltet sein. Eine Familie auf der Flucht ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, andere wiederum sind darauf angewiesen, dass ihre kleinbäuerliche Produktion vor Billigimporten geschützt wird.Frauen brauchen den Schutz ihrer Landrechte, und Kinder aus armen Familien können nur lernen, wenn sie an einemSchulspeisungsprogramm teilnehmen. Inall diesen Bereichen spielen internationale Geldgeber eine so bedeutende Rolle,dass sie in einer menschenrechtlichen Bewertung der Politik afrikanischer Staaten nicht außen vor bleiben können. So könnte ein Gericht durchaus zu der Auffassung kommen, dass ein Handelsabkommen menschenrechtswidrig ist. Oder es könnte dieRegierung auffordern, andere Regierungen um die finanzielle Unterstützung bestimmter Programme anzufragen, damit die Regierung ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen kann. Es wäre interessant zu sehen, wie die europäischen Regierungen auf eine solche Anfrage reagieren würden.

Ute Hausmann ist Geschäftsführerin von FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2009, Juni 2009, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2009