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BERICHT/182: Alles in der Krise, nur die Landbörse boomt (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Alles in der Krise, nur die Landbörse boomt
Herausforderungen für die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung

Von Roman Herre


Die Landfrage ist eine seit je her ein Dreh- und Angelpunkt in der Debatte um ländliche Armuts- und Hungerbekämpfung. Soziale Bewegungen, Bauern- und Landlosenorganisationen fordern in vielen Ländern der Welt eine gerechtere Verteilung von Land. Für sie ist das eigene Stück Land oft die einzige Chance, ihre Familien zu ernähren. Weder in den Städten noch auf den Großplantagen wartet Arbeit auf sie oder gar eine Arbeit in Würde.


Aber genau so bedeutend wie die Landfrage ist, so stark polarisiert sie auch. So wie viele ländliche Arme in den eigenen Acker alle Hoffnung flur sich und die Zukunft ihrer Familie stecken, sehen Andere das Thema Agrarreformen als Vorboten einer kommunistischen Planwirtschaft gleichbedeutend mit der Abschaffung jeglichen Privateigentums.


Hunger nach Land

Die strukturellen Zusammenhänge zwischen Hunger und der Frage des Zugangs. zu Land sind bekannt: Etwa 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Land. Ihr Hauptproblem ist der fehlende Zugang zu produktiven Ressourcen, insbesondere zu Land und Wasser. Zur Hungerbekämpfung und Durchsetzung des Rechts auf Nahrung muss deren Zugang zu Land verbessert werden (staatliche Gewährleistungspflicht). Dies unterstreichen FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung. In Ländern mit hoher Landkonzentration in den Händen weniger sind daher umfassende Agrarreformen, die das Mittel der rechtstaatlichen Enteignung einschließen, ein zentrales Instrument zur Hungerbekämpfung. Wichtig für eine nachhaltige Hungerbekämpfung sind flankierende Maßnahmen zur Unterstützung von Agrarreformbegünstigten: Beratung und Schulung, Zugang zu Krediten und Saatgut, Stärkung lokaler und regionaler Märkte. Die 1999 von FIAN und dem Kleinbauernnetzwerk La Via Campesina ins Leben gerufene globale Agrarreform-Kampagne kämpft für eine verstärkte Umsetzung von solchen armutsorientierten Agrarreformen.


Land ist 'In'

Schon Anfang 2007 wurde vor einer neuen Welle von Landkonflikten und der Verschärfung der Landkonzentration durch den Agrartreibstoff-Boom gewarnt. Als ewige Nörgler und Schwarzseher wurde man abgetan angesichts der unendlichen Möglichkeiten und Chancen, die sich für alle aus dieser Entwicklung ergäben. Nun, weiter verschärft durch die Finanz- und Nahrungsmittelkrise, bewahrheiten sich viele der düsteren Prognosen: Der Druck auf fruchtbaren Boden ist stärker denn je und nimmt bis dato unbekannte Formen an: "Offshore Farming" wird die neue Art der Landnahme genannt, in der sich reiche Länder im Ausland riesige Flächen für die heimische Nahrungsmittel- oder Agrartreibstoffproduktion sichern. Aber auch Finanzinvestoren setzen verstärkt auf die Ressource Boden, die ihren Analysten zu Folge in einigen Ländern 'unter Wert' zu haben ist.

Aber woher kommt das viele Land? Gibt es tatsächlich so viel fruchtbaren, ungenutzten und unbesiedelten Boden? Natürlich nicht. Langjährige Leasingverträge, Landkäufe und andere Nutzungsvereinbarungen werden über die Köpfe der lokalen Bevölkerung hinweg beschlossen. Eine selbstbestimmte Entwicklung wird unmöglich. Ihnen wird bestenfalls eine rosige Zukunft als Teil der industrialisierten Exportlandwirtschaft versprochen - ein oft gemachtes und gebrochenes Versprechen.

Nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch die nationale Nahrungsmittelversorgung leidet unter solchen Deals. Kaum vorstellbar aber wahr ist, dass Länder wie der Sudan, der 2008 der größte Empfänger von Nahrungsmittelhilfe des Welternährungsprogramms war, riesige Flächen besten Bodens für die Nahrungsmittelproduktion anderer Länder veräußern.


Chancen in Zeiten der Krise

Aber diese neue Brisanz birgt auch Chancen. Land ist wieder auf der internationalen Agenda. War es vor zwei Jahren noch schwierig, das Thema bei der Welternährungsorganisation FAO anzusprechen, wurde nun eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung von Leitlinien zum Thema Land eingerichtet. Ziel ist es, einen international akzeptierten Rahmen zum Umgang mit Land und anderen natürlichen Ressourcen zu erstellen. Auch die EU-Arbeitsgruppe zum Thema Land, die seit 2004 nicht mehr aktiv war, wurde wieder ins Leben gerufen. Noch offen ist, wieweit die neuen landhungrigen Akteure Einfluss auf diese Prozesse nehmen und wie eine echte Partizipation der direkt Betroffenen, also der ländlichen Armuts- und Hungergruppen, umgesetzt wird. Im FAO-Prozess ist derzeit ein breiter Dialog mit regionalen Workshops vorgesehen, der auch diese Gruppen im Blick hat. Grundlage echter armutsorientierter Leitlinien müssen die Menschenrechte und besonders das Recht auf Nahrung sein.

Ein weiterer interessanter Vorstoß ist die Initiative von La Via Campesina für eine Bauernrechte-Konvention in Anlehnung an die UN-Konvention zu den Rechten von Indigenen [1]. Durch die bindende Form einer solchen Konvention erhoffen sich die KleinbäuerInnen und Landlosen insbesondere einen besseren Schutz vor Zugriffen auf ihr Land.

Insgesamt gilt es aber, bestehendes Recht und Instrumente zum Schutz vor Vertreibungen und Verbesserung des Zugangs zu Land stärker umzusetzen. Dies sind unter anderem die FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung (Leitlinie 8 behandelt explizit den Zugang zu Land), die Konvention zur Abschaffung jeglicher Diskriminierung von Frauen und die ILO-Konvention 196 zu den Rechten von Indigenen. [2] Neue Instrumente können einen Beitrag dazu leisten, dürfen aber nicht von der Umsetzung abhalten.


Dringender Handlungsbedarf: Vertreibung

Der einzelne Staat und die internationale Gemeinschaft müssen den Schutz vor Vertreibungen stark verbessern. Sie sind völkerrechtlich verpflichtet, dies zu tun. Das bedeutet auch, bestehenden Zugang zu Land nicht selbst durch dubiose Verträge zu gefährden. Und da eine partizipative Flächennutzungsplanung in den meisten Ländern nicht in Sicht ist, ist es umso dringender, starke Kontroll- und Beschwerdemechanismen bei Vertreibungen zu installieren. Mit den so genannten Kothari-Leitlinien [3] steht ein wichtiges und bis dato kaum genutztes Instrument zur Verfügung, welches einen Maßnahmenkatalog zum besseren Schutz vor Vertreibung beinhaltet. Die Umsetzung dieser Leitlinien sollte ganz oben auf der Prioritätenliste der einzelnen Staaten und auch der Geberländer stehen, um lokale Gruppen besser vor der globalen Jagd auf Land zu schützen.


Agrarreformen fördern - alte Fehler vermeiden

Bei aller Dringlichkeit zur Durchsetzung der Schutz- und Respektpflichten dürfen jene nicht vergessen werden, denen es schon heute an Land mangelt. Das bedeutet auch, umfassende Agrarreform stärker zu fördern und sie nicht, wie beispielsweise in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, unter den Tisch fallen zu lassen. Ein deutsches Engagement in Paraguay in diesem Bereich wäre sicherlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dabei lehrt uns die jüngste Entwicklung noch anderes: die Idee der Privatisierung von Land und Liberalisierung der Landmärkte, die seit Mitte der 1990er Jahre massiv von der Weltbank beworben wird, lädt die neuen Jäger nach Land geradezu ein, sich zu nehmen, was sie begehren. Daher sollten kollektive Landnutzungsrechte und Beschränkungen bei dem Verkauf von Land in der Landpolitik viel stärker mitgedacht werden als dies aktuell der Fall ist. Sie können ein wirksamer Schutzmechanismus für marginalisierte ländliche Gruppen sein.


Der Autor ist Referent für Agrarreform bei FIAN-Deutschland.


Anmerkungen:
[1] Siehe http://www.viacampesina.org/main_en/images/stories/pdf/peasant-rights-en.pdf

[2] Einen Zusammenstellung der wichtigsten internationalen Abkommen zum Thema Land unter:
http://www.fian.org/resources/documents/others/access-to-land-and-productive-resources/pdf

[3] Basic principles and guidelines on development-based evictions and displacement:
(http://www2.ohchr.org/english/issues/housing/docs/guidelines_en.pdf).
Benannt nach dem ehem. UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Wohnen, Miloon Kothari.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2009, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
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Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2009