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BERICHT/157: Interview - Ergebnisse des Ernährungsgipfels enttäuschend (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

"Die Ergebnisse des Ernährungsgipfels sind enttäuschend

Von Armin Paasch


Im Mai hat der belgische Völkerrechtsprofessor Olivier De Schutter das Amt des UN-Sonderberichterstatters übernommen. Im Interview mit FOODFirst zieht er eine negative Bilanz des Ernährungsgipfels in Rom und legt dar, welche Akzente er in seiner Amtszeit legen will.

FOODFIRST MAGAZIN: Seit den Hungerprotesten in Haiti und anderen Ländern sprechen manche Medien von einer 'Rückkehr des Hungers'. Worin liegt die neue Qualität der aktuellen Krise?

OLIVIER DE SCHUTTER: Wir erleben derzeit einen Paradigmenwechsel. Bislang wurde Hunger vor allem als ein Problem von gerechter Verteilung und Kaufkraft betrachtet. Jetzt wird uns plötzlich bewusst, dass unser Planet vielleicht nicht fähig ist, seine wachsende Bevölkerung zu ernähren. Zum Beispiel wird gesagt, dass wir vor 2030 die landwirtschaftliche Produktion um 50 Prozent erhöhen und bis 2050 verdoppeln müssen. Dies ist zum Teil eine Chance, weil endlich die Notwendigkeit von Investitionen in die Landwirtschaft erkannt wird. Das Risiko besteht darin, dass bei der Produktionssteigerung die soziale und ökologische Dimension vergessen und die Aspekte der Macht und Verteilung ausgeblendet werden. Diese Aspekte müssen meiner Ansicht nach aber im Mittelpunkt der internationalen Diskussionen bleiben.

FOODFIRST MAGAZIN: Anfang Juni haben die Regierungen auf einem Ernährungsgipfel in Rom über Maßnahmen gegen die Hungerkrise beraten. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?

OLIVIER DE SCHUTTER: Die Schlussfolgerungen der High Level Conference sind enttäuschend. Trotz zahlreicher Studien zur Bioenergie wurde zu diesem Thema kein Ergebnis erzielt - nur eine Aufforderung zu weiteren Studien und einem internationalen Dialog. Noch wichtiger ist: Obwohl die Notwendigkeit zur Unterstützung von Kleinbauern betont wurde, gibt es keine konkreten Maßnahmen um sicherzustellen, dass Kleinbauern in der Hast der Grünen Revolution im subsaharischen Afrika nicht an den Rand gedrängt werden und das Agrobusiness bevorzugt wird. Auch die Spekulation auf den Terminmärkten sowie die unausgewogenen Machtverhältnisse in der Nahrungsmittelerzeugung und den Angebotsketten wurden einfach ignoriert. Und schließlich wurde trotz der deutlichen Botschaft des UN-Menschenrechtsrats vom 22. Mai kein Bezug zur Notwendigkeit nationaler Strategien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung aufgenommen. Was in der Abschlusserklärung von Rom auffällt, sind die Leerstellen.

FOODFIRST MAGAZIN: Sehen Sie in der Preissteigerung in der Landwirtschaft auch eine Chance für Kleinbauern, den Hunger zu überwinden?

OLIVIER DE SCHUTTER: Einigen Kleinbauern wird diese Preissteigerung zugute kommen: denjenigen, die Zugang zu Krediten, Infrastruktur und Märkten haben. Diese können investieren, ihre Produktivität steigern und auf die steigende Nachfrage reagieren. Aber für viele Kleinbauern zum Beispiel in Afrika sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Die Landwirtschaft wurde in öffentlichen Programmen und in der "Entwicklungszusammenart derart vernachlässigt, dass viele Bauern Subsistenzwirtschaft betreiben und häufig Lebensmittel dazukaufen müssen. Ein weiteres Problem ist schwache Verhandlungsposition von Kleinbauern in der gesamten Angebotskette. Diese müssen wir stärken, damit die gestiegenen Preise auf den internationalen Märkten nicht nur den Agrounternehmen, sondern auch den Kleinbauern zugute kommen.

FOODFIRST MAGAZIN: Für welche Ziele wollen Sie sich in ihrer neuen Funktion als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung besonders stark machen?

OLIVIER DE SCHUTTER: Die Ernährungsdebatte wird derzeit sehrpolarisiert geführt. Die Liberalisierungsagenda einiger Regierungen steht dem Pochen anderer Regierungen auf Selbstversorgung oder zumindest Ernährungssouveränität gegenüber. Aufgrund der Schäden der Grünen Revolution der 1960er und 1970er betrachten viele die Pläne zu einer 'Neuen Grünen Revolution' in Afrika mit ähnlicher Skepsis. Ich hoffe, dass ich Empfehlungen machen kann, die alle Meinungen berücksichtigen und die zum Überdenken dieser widersprüchlichen Paradigmen anregen. Letztendlich geht es mir darum, dass der Vorrang des Rechts auf Nahrung anerkannt wird. Handelsliberalisierung oder neue Technologien können allenfalls Instrumente sein, nicht jedoch Ziele um ihrer selbst Willen.

Das Interview führte Armin Paasch.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 3
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2008