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MUMIA/831: Zwei Parteien mit einem Interesse (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne 863
Zwei Parteien mit einem Interesse

Die vielbeschworene »Überparteilichkeit zum Wohle des Landes« ist eine reine Fata Morgana, da jede der beiden staatstragenden Parteien in den USA um die absolute Macht kämpft

von Mumia Abu-Jamal, Juli 2017


Seit den jüngsten Präsidentschaftswahlen in den USA sind die verschiedenen Interessengruppen der Wählerinnen und Wähler weiter auseinandergedriftet. Grob betrachtet, weigert sich die eine Seite, den seit dem 20. Januar amtierenden Republikaner Donald Trump als legitimen US-Präsidenten anzuerkennen. Und die andere Seite betrachtet jene, die bei der Wahl gegen »ihren« Präsidenten gestimmt haben, im Grunde genommen als Abtrünnige.

In diesen Differenzen zeigt sich eine wachsende Kluft zwischen den sehr unterschiedlichen Ansichten über die Frage, in welche Richtung sich das Land entwickeln soll. Dies ist allerdings kein wirklich »neues« Phänomen. Alexis de Tocqueville, der brillante französische Politikwissenschaftler und Historiker, dessen klassisches Werk »Über die Demokratie in Amerika« 1835 veröffentlicht wurde, war anlässlich seines in den Jahren vor Abfassen seines Buches erfolgten Besuchs in den Vereinigten Staaten erstaunt über die Gegnerschaft der dortigen politischen Parteien. De Tocqueville schrieb, dass die Politik »der Parteien, durch die die Union bedroht ist, nicht auf abstrakten Prinzipien«, sondern »auf zeitlich begrenzten Interessen« beruhe. Durch die Verfolgung dieser Interessen, die sich in den Teilprovinzen »eines so großen Reiches« ausbreiteten, konstituierten sich seiner Meinung nach »eher konkurrierende Nationen« denn politische Parteien.

Als Alexis de Tocqueville diese Beobachtungen in den frühen 1830er Jahren niederschrieb, sah er in dieser gesellschaftlichen Entwicklung bereits die Vorboten des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-65), noch bevor die Truppen der Konföderierten Staaten von Amerika 30 Jahre später den ersten Schuss auf Fort Sumter in Charleston in South Carolina abgaben, um sich von der Union der Sklavereigegner abzuspalten.

Die bis heute fortbestehenden Parteien der Demokraten und Republikaner vertreten in der Gegenwart die Interessen desselben Systems, stehen jedoch weiterhin im Widerstreit miteinander. Die vielbeschworene »Überparteilichkeit zum Wohle des Landes« ist eine reine Fata Morgana, da jede Seite um die absolute Vorherrschaft ihrer Partei kämpft, also letztlich um die Macht. Von Mao Zedong, dem Gründungsvater des modernen China, stammt das Zitat »Politik ist Krieg ohne Blutvergießen; Krieg ist Politik mit Blutvergießen«. Die jüngsten Entwicklungen und Ereignisse in Washington sollten uns dazu veranlassen, über diese Worte noch einmal gründlich nachzudenken.


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 150 vom 3. Juli 2017

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2017

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