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MUMIA/408: 2010 - ein gutes Jahr für Mumia? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 3 vom 21. Januar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

2010 - ein gutes Jahr für Mumia?
Suzanne Ross über die Kampagne für die Befreiung Mumia Abu-Jamals

Interview von Birgit Gärtner

Suzanne Ross - © Birgit Gärtner

Suzanne Ross
© Birgit Gärtner

UZ: Wie war die Stimmung in der Solidaritätsbewegung in den USA Anfang vergangenen Jahres?

SUZANNE ROSS: Das Jahr begann mit einem totalen Schock für uns. Im Jahre 2007 hatte sich das 3. Berufungsgericht in Philadelphia für die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Bewährung ausgesprochen. Dieses Urteil wurde allerdings nie rechtskräftig, da die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia Berufung beim Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, dagegen einlegte. Der verwies den Fall Mitte Januar 2010 zurück an dieselbe Kammer in Philadelphia, die 2007 für das Leben von Mumia entschieden hatte, mit der Maßgabe, die Richter möchten ihre Entscheidung noch einmal überdenken - vor dem Hintergrund des Verfahrens gegen Frank Spisak.

UZ: Wer ist Frank Spisak?

SUZANNE ROSS: Ein offensichtlich geistig verwirrter Neonazi, der Anfang der 1980er Jahre in Cleveland, Ohio, drei Menschen tötete. Vor Gericht trat er mit Hitlerbart auf, und bedauerte lediglich, dass einer der von ihm ermordeten Männer nicht wie von ihm angenommen Jude gewesen sei. Spisak ist gegen sein Todesurteil vorgegangen, weil sein Anwalt in seinem Schlussplädoyer sagte, sein Mandant sei "verrückt", außerdem wurden die Geschworenen nicht darauf hingewiesen, dass sie strafmildernde oder -erschwerende Umstände geltend machen könnten - und zwar individuell jeder für sich. Hätte sich ein Juror wegen mildernder Umstände, z. B. der offensichtlichen geistigen Verwirrung Spisaks, gegen die Todesstrafe entschieden, hätte diese nicht ausgesprochen werden können, da ein solches Urteil einstimmig gefällt werden muss.

UZ: Was hat dieser Fall mit dem Fall Mumia Abu-Jamal zu tun?

SUZANNE ROSS: Der Supreme Court meinte, Ähnlichkeiten in den beiden Fällen entdeckt zu haben, weil im Falle Mumia Abu-Jamal die Jury vom Staatsanwalt falsch informiert wurde: Ihnen wurde gesagt, sie könnten ruhig die Todesstrafe verhängen, da der Angeklagte "Berufung nach Berufung" einlegen könnte. Das sieht Mumias Anwältin Judith Ritter allerdings völlig anders, was sie bei der Anhörung im November 2010 in Philadelphia sehr nachdrücklich klarstellte.

Unterdessen sind im Falle Spisak alle Rechtsmittel erschöpft und der Hinrichtungstermin wurde für Februar 2011 festgesetzt. Das hieß für uns nicht nur, dass die Entscheidung des Supreme Court eine klare Aufforderung an die Richter in Philadelphia ist, Mumia zum Tode zu verurteilen, sondern dass der Höchste Gerichtshof auch auf eine psychologische Wirkung abzielte: Mumia auf eine Stufe zu stellen mit einem mordenden Neonazi.

UZ: Wie wurde diese Entscheidung in Philadelphia aufgenommen?

SUZANNE ROSS: In Philadelphia gab und gibt es eine massive Mobilisierung der Fraternal Order of Police (FOP), einer höchst reaktionären Polizeigilde, gegen Mumia. Sie wollen ihn unbedingt hängen sehen. Außerdem gibt es dort einen schwarzen Bürgermeister, einen schwarzen Bezirksstaatsanwalt und einen schwarzen Filmemacher, die sich für die Hinrichtung stark machen. Das Urteil war natürlich in ihrem Sinne.

Es waren also furchtbar schwere Geschütze, die aufgefahren wurden, und gegen die anzukämpfen unsere Aufgabe war. Eine schier unlösbare Aufgabe, wie es uns schien.

UZ: Das klingt, als hätten Sie diesen Kampf gewonnen?

SUZANNE ROSS: Gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht, zumal wir ja nicht nur die Hinrichtung verhindern, sondern Mumias Freiheit erreichen wollen. Aber die Gegenseite hat sich selbst so unmöglich gemacht und sich bei mehreren Gelegenheiten total blamiert, während unsere Leute, z. B. Judith Ritter, die Anwältin, die Mumia bei der Anhörung Anfang November 2010 in Philadelphia vertreten hat, eine sehr gute Figur abgegeben hat. Uns ist es innerhalb dieses Jahres durch viele verschiedenen Aktivitäten und den Film "Justice on Trial", der im November 2010 erschien, und in dem das Verfahren gegen Mumia kritisch unter die Lupe genommen wird, gelungen, die Stimmung, die immer pro Hinrichtung war, etwas zu kippen. Selbst in den Medien wird vielfach "nur" noch über lebenslange Haft diskutiert. Wenn ich sage "uns", dann meine ich die Solidaritätsbewegung in den USA, aber auch die vielen Menschen in aller Welt, die Mumia und damit auch uns unterstützen. Aber wie gesagt, gewonnen ist dieser Kampf noch lange nicht. Niemand weiß, ob die Richter in Philadelphia bei ihrer Entscheidung von 2007 bleiben. Aber im Hinblick auf die derzeitige Stimmung in Philadelphia denke ich, 2010 war ein gutes Jahr für Mumia.

UZ: Was kann die Solidaritätsbewegung hierzulande konkret dazu beitragen, dass 2011 ebenfalls ein erfolgreiches Jahr für Mumia wird?

SUZANNE ROSS: Wichtig ist, immer wieder über den Fall zu informieren, und der Protest aus dem Ausland muss sicht- und hörbar sein. Damit die Herrschenden merken, dass auch im Ausland ein Augenmerk auf die Einhaltung der Menschenrechte in den USA gelenkt wird.

UZ: Verschiedene Stadträte, die Bremische Bürgerschaft sowie das Europäische Parlament haben Resolutionen zur Abschaffung der Todesstrafe weltweit verabschiedet, in denen als Beispiel u. a. Mumia genannt wird. Einige der Städte und auch einige Europa-Abgeordnete haben die zuständigen Stellen in Justiz und Politik in Philadelphia darüber informiert. Denken Sie, dass dort überhaupt Notiz davon genommen wird?

SUZANNE ROSS: Aber ja, das ist genau die Öffentlichkeit, die wir brauchen. Im April 2006 wurde im französischen Saint-Denis, einem Vorort von Paris, eine Straße nach Mumia benannt. Ein kleines Gässchen im Grunde genommen, das zum Nelson-Mandela-Stadion führt. Die FOP drehte daraufhin völlig durch und gerierte sich, als seien die Champs-Élysées umbenannt worden. Vier Parlamente, angefangen beim Stadtparlament in Philadelphia bis hin zu beiden Häusern des US-Kongresses, beschäftigten sich damit und verabschiedeten Resolutionen, in denen Saint-Denis aufgefordert wurde, die Umbenennung rückgängig zu machen. Was der Bürgermeister, ein Sozialist, allerdings verweigerte.

Daran lässt sich erkennen, dass die Herrschenden in den USA durchaus druckempfindlich sind. Und gerade in der jetzigen Phase, in der die Stimmung pro Todesstrafe zumindest ein bisschen gelockert werden konnte, sind solche Aktionen wichtiger denn je.


Die Psychologin Suzanne Ross ist im New-Yorker Free-Mumia-Abu-Jamal-Bündnis zuständig für internationale Kontakte.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 3 vom 21. Januar 2011, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2011