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STANDPUNKT/121: Daniela Dahn - Zehn Forderungen an eine neue Weltordnung (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 1/2009

Haben Sie Nachsicht mit uns Utopisten!
Zehn Forderungen an eine neue Weltordnung

Von Daniela Dahn


"Eine Kultur des Friedens erfordert unseres Erachtens die Globalisierung der Erkenntnis, dass alle auf alle anderen in dieser Welt angewiesen sind, dass es also nur eine gemeinsame Sicherheit geben kann", hieß es im Geleitwort des Verhaltensforschers und Psychologen Horst-Eberhard Richter an den IPPNW-Kongress vom Wochenende in Berlin. Vor diesem Zusammenschluss der Internationalen Ärzte für die Verhütung eines Atomkrieges hat Daniela Dahn um "Nachsicht für Utopisten gebeten" und ihre zehn Forderungen an eine Neue Weltordnung formuliert, die wir vollständig dokumentieren.


I
Aus gegebenem Anlass gehört eine Kopie des Guernica-Bildes zur obligatorischen Ausstattung aller öffentlichen Räume, in denen Verhandlungen über Krieg und Frieden stattfinden. Wer Glauben machen will, Picasso habe sich mit seiner anklagenden Mahnung nicht auch an ihn gewandt, irrt. Krieg muss immer wieder neu geächtet werden.


II
Krieg ist die exzessivste Form von Terrorismus. Er verschlimmert alles und löst nichts. Militarisierung der Außenpolitik muss und kann abgewählt werden. Stell dir vor, es ist Wahl und keiner wählt Krieg. Keiner wählt Raketenstationierung und Einkesselung einer neu oder erneut zum Feind erkorenen Macht. Eine kritische Öffentlichkeit hinterfragt durchsichtige Kampagnen, die Feinde, Schurken und Diktatoren installieren, um dann selbst gewaltsam draufschlagen zu können. Verteidigungsbündnisse, die zu Angriffsbündnissen mutieren, gehören abgeschafft.

Misstrauen gebührt kriegerischen Überfällen, die "humanitäre Katastrophen" verhindern wollen. Humanitäre, also menschenfreundliche, wohltätige Katastrophen gibt es nicht. Es gibt nur humanitäre Politiker und Politiker, die Katastrophen sind. Diese sind abwählbar.

Misstrauen gebührt auch kriegerischen Überfällen, die sich friedenschaffendes Mandat nennen. Die Mandatshoheit liegt bei der UNO. Ansonsten sieht man sich in Den Haag. Ein Staat, der sich diesem Gericht nicht unterwirft, verliert den Ehrentitel Rechtsstaat. Ohne globale Rechtsordnung wird sich eine globale Unrechtsordnung verfestigen. Das Moralische muss den Maßgaben des Juristischen untergeordnet werden. Denn die Moral ist ein Ding, das per Definitionshoheit immer auf der eigenen Seite ist. Ausnahmslos alle Kriege haben mit einer moralischen Argumentation begonnen. Und dieser voraus ging immer eine propagandistische Aufrüstung: die publikumswirksame Installation eines Sündenbocks.

Individuelle Verantwortlichkeit von Politikern funktioniert nur, wenn sich alle dem Völkerrecht beugen. Den selbst ernannten Vorzeigedemokraten wird nicht gestattet, auch noch die Gerichte zu dominieren, denen sie selbst sich entziehen. Niemand darf die Macht haben, neben dem Recht zu leben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können.


III
Fundamentalisten, die vorgeben, in Gottes Auftrag zu handeln, müssen verraten, welchem Gott sie zu Diensten sind. Und den Auftrag vorweisen. Aus keiner Schrift abzuleitender, religiöser Fundamentalismus ist genauso wenig sakrosankt, wie der Über-Vater des Kapitals. IN MONEY WE TRUST wird als Weltreligion nicht akzeptiert. Weil von der vorgeblichen Weltbeglückung doch meist nur die Kapitalbeglückung übrig bleibt. Beispiele sind im Bewusstsein zu halten. Etwa wie sich 1951 im Iran aus eigenen Kräften Parteien und eine plurale Presse herausbildeten und - erstmalig in der Geschichte des Landes - eine demokratisch gewählte Regierung. Präsident Mohammed Mossadegh nahm sich die Freiheit, die bis dahin von Großbritannien beherrschte Ölindustrie nationalisieren zu wollen. Nach zwei Jahren war er von einer angloamerikanischen Allianz nach CIA-Konzept gestürzt, der vom Volk gehasste Schah wurde an seine Stelle gesetzt und die begonnene Demokratisierung der Region für Jahrzehnte zurückgeworfen.

Oder wie heute drei Viertel der einst jugoslawischen Zeitungen der W.A.Z.-Gruppe gehören. Darin seitenweise Privatisierungsanzeigen. Siemens wirbt ganzseitig auf Deutsch, Übersetzung für die Eingeborenen nicht mehr nötig.

Zu erinnern wäre hartnäckig auch an die offenbar unergründliche Frage, warum in der Woche vor dem 11. September der Umsatz mit Aktien von Finanzinstituten aus 22 Stockwerken des World Trade Center und der beiden betroffenen Fluggesellschaften um 1.200 Prozent stieg? Inspektoren in die Börse!


IV
Kriegsbereitschaft darf keine Ware sein, die man auf dem Basar kaufen kann. Um dieser Gefahr nicht ohnmünzig ausgesetzt zu sein, darf nicht länger hingenommen werden, dass die Hälfte der Menschheit in Armut lebt. Das Weltgewissen - eine noch zu entwickelnde Instanz - findet sich nicht länger mit dem neokolonialen Sinn für Gerechtigkeit ab, der die ärmsten Länder die Summe der erhaltenen Entwicklungshilfe jährlich sechsfach durch Zinsen und Schuldentilgung zurückzahlen lässt.

Eine neue Weltordnung lässt nicht zu, dass jährlich 50 Millionen Menschen an Unterernährung, Seuchen und heilbaren Krankheiten sterben. Während ein Zwanzigstel der Rüstungsausgaben ausreichen würde, um die schlimmste Armut zu beseitigen. Sie lässt nicht zu, dass dieser Frieden die Menschheit jedes Jahr soviel Opfer kostet, wie der Zweite Weltkrieg in sechs Jahren. Dass in einer Welt von so gottloser Ungerechtigkeit die Wut wächst, ist nicht verwunderlich. Terrorismus ist ein Schrei, der gehört werden will. Eine neue Weltordnung muss die Armut und Demütigung bekämpfen, die den Terrorismus gebiert.


V
Ein ziemlich sicheres Mittel, Massenvernichtungswaffen nicht in Terroristenhände gelangen zu lassen, ist, sie ihnen nicht zu verkaufen. Ein sehr sicheres Mittel, Massenvernichtungswaffen nicht in Terroristenhände gelangen zu lassen, wäre, wenn sich alle 138 Vertragsstaaten, darunter die USA, an die unterzeichneten Abkommen über das generelle Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer und chemischer Waffen halten würden. Glasnost in die Waffenproduktion! Uran zur Hölle! Rüstung ist Energieverschwendung und Energieverschwendung heizt das Klima auf.

Wer es wagt, mit dem möglichen Einsatz von Atombomben zu drohen, wird gezwungen, öffentlich die UN-Resolution 1653 zu verlesen, in der es heißt, "dass jeder Staat, der nukleare Waffen einsetzt, ... ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zivilisation begeht".

Die himmelschreiende Ungerechtigkeit, wonach der Profit aus dem internationalen Waffenhandel so hoch ist wie das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung, wird nicht länger hingenommen. Eine UNO-Genehmigungspflicht ist die Vorstufe zu einem Verbot aller Waffenexporte. Zur Überprüfung sind Waffen vor dem Verkauf ab sofort satellitenkenntlich zu markieren, damit ihre Herkunft und ihr Verbleib jederzeit ersichtlich sind.


VI
Westliche Werte verteidigt man am besten, indem man sie selbst einhält. Wer sich unter Verzicht auf den Kern des Völkerrechts an die Weltherrschaft bomben will, darf sich über die Wiederbelebung des Begriffs Imperialismus nicht allzu sehr wundern. Auch das Schüren einen Kalten Krieges ist ein Kriegsverbrechen. Die Weltöffentlichkeit sieht nicht zu, wie Konflikte aufgerüstet werden, um sie dann militärisch einzubrennen. Zum diplomatischen Verhandeln gibt es keine Alternative. Auch nicht die der diplomatischen Erpressung à la Rambouillet, wie 1999 kurz vor dem Kosovo-Krieg.

Konfliktverhütung ist die sinnvollste Investition. Sie ist billiger als friedenserhaltende Maßnahmen und diese sind wiederum preiswerter als Krieg. Doch, wie Brecht warnte: Krieg wird sein, solange auch nur ein Mensch am Krieg verdient. Am Krieg und am Frieden verdienen nicht die selben. Deshalb ist es eine politische Aufgabe dafür zu sorgen, dass Frieden ein besseres Geschäft ist als Krieg.

Für das Geld, was der Jugoslawienkrieg gekostet hat, hätte man jeder Familie im Kosovo ein Haus mit Swimmingpool bauen können. Das wäre ein tauglicheres Mittel gewesen gegen Separierungswünsche und gegen so genannte ethnische Konflikte, die meist religiöse sind. Die Büchse der Pandora ist im Kosovo ausgegraben und geöffnet worden. Im Widerspruch zur UN-Resolution 1244, die nach wie vor gilt und die territoriale Integrität Serbiens festschreibt. Die Büchse zu schließen, könnte der Zerstückelung der Welt vorbeugen.


VII
Geheimdienste haben sich ebenso an Straf- und Menschenrechte zu halten wie Wirtschaftsunternehmen. Nicht nur weil später bekämpfte Diktatoren von Sicherheitsapparaten wie KGB, CIA und BND ausgebildet wurden, stellt sich immer wieder die Frage nach der Legitimität dieser Dienste.

Westliche Geheimdienste haben 2004 die "gesicherte Erwartung" bekundet, dass der nächste Anschlag des Al-Qaida-Netzwerkes mit nuklearen Mitteln geführt wird. Beweise zu erbringen, ist nicht üblich. Doch eigene Urteilskraft ist die Basis der Demokratie. So viel ist bekannt: Die neue Runde atomaren Wettrüstens geht eher nicht von Al-Qaida aus.

Dem Islam wurde vom Westen nachgesagt, er sei im Mittelalter stehen geblieben und habe die Aufklärung noch vor sich. Doch die im Irak bewiesene Gewalttätigkeit der Achse des Guten fällt noch zurück hinter das Alte Testament, das mit seinem Auge um Auge und Zahn um Zahn immerhin ein Maß setzte, das nicht überschritten werden durfte.

Gegen die Waffe Selbstmordattentäter gibt es keinen militärischen Schutz. Jede Bombe rekrutiert hundert neue Attentäter. Da hilft nur, was die Mächtigen am wenigsten mögen: ein politisches, soziales und kulturelles Entgegenkommen. Zum Dialog der Kulturen gibt es keine Alternative.

Unsere Waffe ist die friedliche Demokratie. Einen anderen Schutz vor Terrorismus gibt es nicht. Wir sind auf dieser Erde verdammt, uns zu vertragen. Und das geschieht uns recht.


VIII
Das Jüngste Gericht der Weltöffentlichkeit, in dem wir alle einen Sitz haben, darf sich nicht an die Lüge gewöhnen. Die gefährlichste, bereits im Einsatz befindliche Massenvernichtungswaffe ist die der Desinformation. Wenn eine irrationale Massenpsychose um sich greift, welche Akzeptanz hat dann noch Völkerrecht? Mit Gasmaske hinter verklebten Fenstern auf Impfstoff hoffend - dieses Thriller-Szenario ist nicht das Leben, auf das zu hoffen sich lohnt. Auch geistige Mobilmachung, also bewusste Manipulationen und Fälschungen, die den Ausbruch eines Krieges legitimieren helfen, müssen zu Straftatbeständen werden. Mindeststrafe ist die öffentliche Verleihung der Orwell-Medaille mit der Inschrift, die an die Front des Wahrheitsministeriums gemeißelt ist:

KRIEG BEDEUTET FRIEDEN
FREIHEIT IST SKLAVEREI
UNWISSENHEIT IST STÄRKE

Wer die Verblödungsapparate satt hat, unterstützt den Ruf: Fernsehgedemütigte aller Länder vereinigt Euch! Desinformation, Propaganda, Verdunklung und Bestechlichkeit müssen ans Tageslicht. Gründet einen linken Weltsender, ein CNN von unten! Kennwort: Eine andere Welt ist möglich.


IX
Was kann der kleine Bürger für den großen Frieden tun? Regierungen, die den Mut aufbringen, sich völkerrechtskonform zu verhalten, indem sie sich nicht an einem Angriffskrieg beteiligen, verdienen Respekt. Reicht ihr Männer- und Frauenstolz vor Königsthronen nicht bis zur letzten Konsequenz, unterstützt die couragierte Bevölkerung das gemeinsame Ziel durch Protestdemonstrationen, durch Sitzblockaden an Militärbasen, durch Streiks des Hilfspersonals, durch Kriegsdienstverweigerung und Desertion.

Aber auch mit konstruktiven Vorschlägen zu einer Kultur des Friedens über Appelle und Kongresse, über Internet-Netzwerke und Selbstorganisation im open space. Diese Kultur des Friedens kann jeder im Kleinen mitprägen und fürs Große Mitsprache verlangen.

Demokratie darf sich künftig nur das System nennen, das dem herrschenden Volk in der Frage aller Fragen, in der Frage über Leben und Tod, über Krieg und Frieden, ein Vetorecht einräumt.


X
Utopisten werden mit Nachsicht behandelt.


Daniela Dahn ist Schriftstellerin und Mitherausgeberin der Wochenzeitung FREITAG.

Erstabdruck im FREITAG 38/2008
http://www.freitag.de/2008/38/08381001.php


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Quelle:
Wir Frauen, 28. Jahrgang, Frühjahr 1/2009, Seite 7-9
Herausgeberin: Wir Frauen - Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
Rochusstraße 43, 40479 Düsseldorf,
info@wirfrauen.de
www.wirfrauen.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009