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PREIS/018: Laudatio zur Verleihung des Aachener Friedenspreises 2011 (Rolf Gössner)


Laudatio zur Verleihung des Aachener Friedenspreises
am 1. September 2011 in der Aula Carolina, Aachen

von Dr. Rolf Gössner
Rechtsanwalt/Publizist, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte


Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Aachener Friedenspreises, und besonders:
liebe Preisträgerinnen und Preisträger!

Heute ist Antikriegstag. Wie jedes Jahr werden wir an den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnert, der mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 begonnen hatte. Seit über fünf Jahrzehnten - genauer: seit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands 1956 - gehört dieses Datum unter dem Motto "Nie wieder Krieg" zum festen Bestandteil des Friedenskalenders.

Es ist sinnvoll und gut, dass der Aachener Friedenspreis an diesem symbolträchtigen Tag verliehen wird. Und es ist überaus bedeutsam und zudem hochaktuell, dass dieses Jahr herausragende Rüstungsgegner und Friedensaktivisten diesen renommierten Friedenspreis erhalten. Gerade in einer Zeit, in der wir eine fortschreitende Militarisierung der Außen- und Innenpolitik zu beklagen haben, gerade in einer Zeit, in der der deutsche Waffenhandel ungebremst floriert, soll von dieser Verleihung hier in Aachen ein starkes Signal ausgehen - gegen Militarisierung, gegen Rüstungsexporte und Krieg, für Frieden, Menschenrechte und Demokratie.

Hier sind sie nun, unsere diesjährigen Aachener Friedenspreisträger, die in besonderem Maße für eine solche Haltung, für eine solche Politik stehen und sich dabei große Verdienste erworben haben:

• Erstens: Jürgen Grässlin aus Freiburg und

• zum zweiten: die Informationsstelle Militarisierung e.V. aus Tübingen

I. Lassen Sie mich mit Jürgen Grässlin beginnen, der sich an ein Erlebnis besonders gut erinnert: Bei der Bundeswehr sollte er während seiner Grundausbildung zwischen die Augen von Pappkameraden zielen, die, wie ihm auffiel, aussahen wie Chinesen. Er verweigerte sich und wurde Rüstungsgegner. Wir lernen daraus: Im Einzelfall kann selbst die Bundeswehr auf junge Menschen segensreich wirken. Jürgen Grässlin ist seit 1982 Realschullehrer im Freiburger Schuldienst und unterrichtet Deutsch, Geografie und Kunst. Er ist verheiratet mit Eva, seiner "besten Freundin", wie er betont, die ihn in seinem friedenspolitischen Engagement stützt und bestärkt; und er ist Vater zweier erwachsener Kinder. Seit den 1980er Jahren arbeitet er neben seinem vollen Deputat, ich zitiere aus der Verleihungsbegründung, "mit beeindruckender Energie und Unermüdlichkeit für den Frieden, vor allem für Verbote von Rüstungsproduktion und -exporten".

Warum dies gerade hierzulande von höchster Bedeutung ist, zeigt das "Ranking" auf dem internationalen Militärmarkt: Deutschland ist der größte Rüstungsexporteur Europas und der drittgrößte weltweit, hinter den USA und Russland und vor Großbritannien, Frankreich und China. Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern haben sich seit 2005 sogar verdoppelt. Zu den Empfängern zählen auch Staaten in Konflikt- und Kriegsregionen des Nahen und Mittleren Ostens sowie diktatorische Regime etwa in Afrika, Asien und Lateinamerika. Die skandalösen Genehmigungen durch den Bundessicherheitsrat, die den eigenen menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen zuwiderlaufen, zeigen, wie überaus aktuell, wie brisant diese Problematik ist - aber auch wie existentiell für die Betroffenen, wie verhängnisvoll für Oppositionelle, für Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen in den jeweiligen Zielländern.

"Rüstungsexporte sind wegen ihrer riesigen Opferzahlen der schlimmste Auswuchs deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik. Wir laden massiv Schuld auf uns. Das lässt sich in einer Gesellschaft mit unseren Werten nicht rechtfertigen", so mahnt Jürgen Grässlin, den die "Die Zeit" als "Deutschlands bekanntesten Rüstungsgegner" bezeichnet. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher über Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik und hat sich dabei auch intensiv mit dem Daimler-Konzern beschäftigt und angelegt, der über seine Beteiligung an der multinationalen Waffenschmiede EADS auch an Rüstungsproduktion und -handel maßgeblich beteiligt ist.

Jürgen Grässlin sitzt aber nicht nur am heimischen Schreibtisch in Freiburg, schreibt Bücher oder referiert in geschützten Räumen über seine Erkenntnisse. Nein, er geht auch vor Ort in ferne Länder, dorthin, wo deutsche Waffen ungeheueres Unheil stiften, dorthin, wo Menschen zu Opfern deutscher Kleinwaffen werden, dorthin, wo Verletzte, Tote und ihre Hinterbliebenen zu finden sind - so in die Türkei nach Türkisch-Kurdistan, wo Waffen aus Deutschland gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt werden, oder nach Somalia, wo mit dem G3-Gewehr schlimmste Massaker angerichtet wurden. In Somalia besuchte Jürgen Grässlin Flüchtlingslager, Krankenhäuser und Behindertenanstalten, dort ging er auch voller Entsetzen über Massengräber, aus denen Knochen und Schädel ragten. Er hat beklemmende Interviews geführt mit mehr als 220 Überlebenden des Einsatzes von "Kleinwaffen" made in Germany - den "Massenvernichtungswaffen unserer Zeit", wie Jürgen Grässlin Mörser, Maschinenpistolen und -Gewehre nennt. Denn "zwei von drei Opfern sterben in Kriegen und Bürgerkriegen durch den Einsatz von Gewehren". Fast alle Überlebenden, mit denen er sprach, seien schwer traumatisiert, viele verstümmelt und vertrieben, haben Mütter und Väter, Geschwister und Kinder verloren. Aus diesen entsetzlichen Einblicken, die ihn selbst verändert haben, entstand sein Buch "Versteck Dich, wenn sie schießen" - sein "Herzensbuch", wie er sagt, das den namenlosen Opfern deutscher Waffenpräzision Gesicht und Stimme geben soll. Fast unwillkürlich fühlt man sich dabei an Paul Celans "Todesfuge" erinnert: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland..."

Und kehrt Jürgen Grässlin von solchen Erkundungsreisen zurück nach Deutschland, dann nennt er die Verantwortlichen für Waffenproduktion und Rüstungsexporte offen mit Namen und Adresse: so etwa die Heckler & Koch GmbH - "Deutschlands tödlichstes Unternehmen", wie Jürgen Grässlin die Waffenschmiede im schwäbischen Oberndorf am Neckar bezeichnet, wo zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, also "weit ab vom Schuss", ein Großteil jener rund zehn Millionen Waffen produziert wurde, die bis heute nach Grässlins Berechnungen mehr als anderthalb Millionen Menschen getötet und weit mehr noch verstümmelt haben.

Diese Schreckensbilanz einer zerstörerischen Wachstumsbranche ist mit dem wohlfeilen Arbeitsplatzargument keineswegs zu rechtfertigen - denn auf jeden Arbeitsplatz in diesem Unternehmen kommen über die Jahre viele Tote und weit mehr Verstümmelte - lauter "Weichziele", wie die menschlichen Waffenopfer in der hauseigenen Werbung heißen.

Nicht allein die Produzenten und Händler des Todes, so Jürgen Grässlin, auch die Bundesregierung mit ihrer Export-Genehmigungspraxis trägt ungeheure Mitschuld an den verheerenden Folgen - daran, dass auch Folterstaaten ganz legal mit deutschen Waffen versorgt werden. Mit ihren keiner demokratischen Kontrolle unterliegenden Genehmigungen von Waffentransfers an Diktaturen, an korrupte Regime oder lupenreine Scheindemokraten schürten alle Bundesregierungen - gleich welcher Couleur - Gewalteskalationen in Kriegs- und Krisenregionen weltweit und nehmen dabei Vertreibung, Elend und Tod billigend in Kauf - aus geostrategischen Erwägungen, im Namen von "Sicherheit und Stabilität", zur Sicherung von Rohstoffen und zur Flüchtlingsabwehr. Im Klartext muss die Anklage lauten: Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, zu Massen- und Völkermord.

Doch Jürgen Grässlin gibt sich mit Aufklärung und Anprangern längst nicht mehr zufrieden: Seit vielen Jahren setzt er sich zusammen mit anderen aktiv für konkrete Schritte zur Abrüstung ein - so als Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, als Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler, als Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes "Kleinwaffen stoppen", das den Opfern in aller Welt Stimme und Gesicht geben will. Denn, so unser Preisträger: "Wer Rüstungsexporte mit den Augen der Opfer sieht, wird sich für eine andere Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik einsetzen".

Jürgen Grässlin möchte in der Waffenschmiede Deutschland etwas bewegen und verändern; dafür initiiert er auch phantasievolle Protestaktionen vor und in Rüstungsbetrieben, organisiert Hilfsprojekte für Waffenopfer, zuletzt die Kampagne "Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel!". Jürgen Grässlin ist also im besten Sinne auch Friedensaktivist. Als kritischer Aktionär der Daimler AG brandmarkt er während der jährlichen Hauptversammlungen die Exporte ganzer Waffensysteme an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten - zumeist mit beachtlichem Medienecho. Legendär seine Worte in der vollbesetzten Schleyerhalle in Stuttgart, die er dem ehemaligen Daimler-Vorstandsvorsitzenden entgegen schleuderte: "Herr Schrempp, an Ihren Händen klebt das Blut unzähliger Toter".

Doch sein mutiges Engagement ist auch mit einem hohen Preis verbunden: Wer sich mit Waffenkonzernen anlegt, wird hierzulande zwar nicht erschossen, muss aber gehörige Einschüchterungen gewärtigen: So jedenfalls ist der nervenzehrende Versuch der Daimler AG und ihrer Vorsitzenden Zetsche und Schrempp zu werten, Grässlin mit juristischen Mitteln einen Maulkorb zu verpassen, ihn also mundtot zu machen und finanziell zu ruinieren. Dieser Versuch ist glücklicherweise auf ganzer Linie gescheitert, weil der Bundesgerichtshof 2009 der Meinungsfreiheit doch noch zum Sieg verhalf. Jürgen Grässlin ist trotz solcher Risiken und Gefahren diesen beschwerlichen Weg gegangen. Wünschen wir ihm weiterhin viel Kraft und Energie und vor allem Erfolg. Herzlichen Glückwunsch.


II. Ich komme zur Informationsstelle Militarisierung e.V., dem zweiten Preisträger. Wenn ich im Folgenden nur noch von IMI rede, dann meine ich diese kritische Institution aus Tübingen mit ihren Protagonisten, dem Politologen Michael Haid, der Religionswissenschaftlerin und Soziologin Claudia Haydt, Vorstandsmitglied Christoph Marischka, dem langjährigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Tobias Pflüger, sowie Dr. Andreas Seifert und dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied Jürgen Wagner.

IMI wurde 1996 von mehreren Personen der Friedensbewegung initiiert - und hat sich seitdem zu einer ehrenamtlich arbeitenden antimilitaristischen Denkfabrik entwickelt; sie verfolgt laut Satzung den Zweck, "aktive Beiträge zur Verbreitung des Gedankens der Völkerverständigung zu leisten und friedliche Konfliktmöglichkeiten zu fördern". Die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins verstehen sich als Mittler zwischen kritischer Friedensforschung und Friedensbewegung. IMI liefert fundierte Hintergrund-Informationen, wissenschaftliche Analysen und Einschätzungen, die für die Friedensbewegung wichtig und nutzbar sind. Zu dem Themenspektrum ihrer Informations- und Bildungsarbeit sowie ihrer jährlichen Kongresse in Tübingen gehören u.a.: Friedens- und Konfliktforschung, Rüstung und Rüstungsexporte, Umstrukturierung der Bundeswehr, Militarisierung der Bundesrepublik und in Europa, Nato und Flüchtlingspolitik - oder besser: Flüchtlingsabwehrpolitik der "Festung Europa", die jedes Jahr zahlreiche Tote fordert. Bei aller Wissenschaftlichkeit nimmt IMI eine wohltuend klare, kritisch-ablehnende Haltung ein zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes.

Deutschland hat der Devise "Nie wieder Krieg!" bekanntlich längst schon abgeschworen und sich selbst an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt - direkt, wie gegen Jugoslawien und Afghanistan, oder aber indirekt. Die Bundeswehr mutiert zur global agierenden Interventionsarmee - obwohl ein solches Mandat mit dem Verteidigungsbegriff des Artikels 87a Grundgesetz nicht vereinbar ist. Dort heißt es immer noch unmissverständlich: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf". Doch auch jene Bundesregierungen, die die Beteiligung an einer "Koalition der Willigen" ablehnten - sei es im Irak oder jüngst in Libyen - zeigen sich gegenüber der Nato und den USA dennoch willfährig: Mit Waffenlieferungen, Überflugrechten, Aufklärungsflügen und Logistikhilfe leisten sie tatkräftige Unterstützung und Beihilfe zu völkerrechtswidrigen Kriegen mit ihren verheerenden Folgen. Doch: Völkerrechtswidrig handelt auch jener Staat, der den militärischen Aggressor in seinem völkerrechtswidrigen Tun unterstützt.

Man kann es nicht kürzer und treffender ausdrücken: Krieg ist Terror. Auch Antiterrorkriege sind Terror - auch wenn sie zu "friedensstabilisierenden" oder "humanitären Interventionen" verklärt, im Namen der Sicherheit und Freiheit geführt, zur Rettung der Menschenrechte hochstilisiert werden. Sie produzieren letztlich das, was sie bekämpfen sollen, nämlich Krieg und weiteren Terror. Sie töten, verletzen und schänden unschuldige Zivilisten, stehen in krassem Widerspruch zu Menschenrechten und Gerechtigkeit, die sich genauso wenig herbeibomben lassen wie Freiheit und Demokratie.

"Der Krieg beginnt hier - also lasst ihn uns hier stoppen!" Nach diesem Motto setzt sich IMI - über reine Aufklärung hinaus - zum Ziel, auch die zivilgesellschaftliche Gegenwehr, den Widerstand gegen die Militarisierung von Außen- und Innenpolitik, von Staat und Gesellschaft, mit Informationen und eigenen Analysen zu unterfüttern und damit zu unterstützen. Der Verein beteiligt sich folgerichtig an bundesweiten Bündnissen und Kampagnen - so gegen Indoktrinierungs- und Rekrutierungsversuche der Bundeswehr an Schulen und Universitäten sowie gegen Militär- und Rüstungsforschung an Hochschulen; und der Verein beteiligt sich auch an gewaltfreien Protesten, so etwa gegen die jährliche Nato-Sicherheitskonferenz in München.

Dass diese gebrauchsorientierte Aufklärungsarbeit überaus notwendig ist und auch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird, erfahren die IMI-Mitarbeiter fast täglich. Aber sie mussten auch erfahren, dass dies von anderer Seite offenbar nicht so gern gesehen und geduldet wird. Wiederholt kam es gegen IMI und einzelne ihrer Mitarbeiter zu mehr oder weniger offenen Repressionsmaßnahmen. So sah sich etwa IMI-Vorstandsmitglied Tobias Pflüger einem Strafprozess wegen Aufrufs zur Desertion ausgesetzt, weil er deutsche Soldaten dazu aufgefordert hatte, ihre Beteiligung am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu verweigern. Und das Finanzamt Tübingen drohte dem Verein - wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue - mit der rückwirkenden Aberkennung der Gemeinnützigkeit, was den Ruin des Vereins bedeutet hätte. Dank einer Flut von Solidaritätsadressen konnte diese existenzbedrohende Repressalie gegen die unbequemen Kriegsgegner doch noch abgewendet werden. Wer aber hat IMI die Zweifel an der Verfassungstreue eingebrockt? Es war unser skandalträchtiger Inlandsgeheimdienst, der auf den euphemistischen Tarnnamen "Verfassungsschutz" hört - obwohl es sich genau genommen um einen Fremdkörper in der Demokratie handelt, der weder transparent noch wirklich kontrollierbar ist.

Die heutige Ehrung von IMI fällt just zusammen mit ihrem 15jährigen Gründungsjubiläum. Deshalb herzliche Glückwünsche zu diesem Jubiläum und zur heutigen Verleihung des Aachener Friedenspreises, der "schönsten Auszeichnung, die man sich als Kriegsgegner hierzulande wünschen kann", so IMI-Vorstandsmitglied Jürgen Wagner. Möge diese Auszeichnung alle IMI-Mitarbeiter in ihrer so wichtigen, vorbildlichen und durchaus radikalen Friedens-, Aufklärungs- und Motivationsarbeit bestärken.


III. Ich komme zum Schluss und noch einmal zurück auf Jürgen Grässlin. Es ist, wenn ich richtig gezählt habe, der zweite Preis, der ihm persönlich zugesprochen wurde. Als erste Auszeichnung, es war im Jahr 2009, erhielt er den "Preis für Zivilcourage" der Solbach-Freise-Stiftung. Lieber Jürgen Grässlin, was kann einem politisch-moralisch bewussten und aktiven Menschen Besseres widerfahren als eine Auszeichnung für zivilcouragiertes Handeln und heute ein renommierter Preis für ein Engagement, das zu Völkerverständigung und Frieden beiträgt? So, wie ich Dich neulich in Freiburg kennen gelernt habe, in einem Lokal mit dem friedlich klingenden Namen "Haus zur Lieben Hand", wirst Du Dich nicht auf solchen wohlverdienten Lorbeeren ausruhen, sondern im Gegenteil: Dich angespornt fühlen, Dein Lebensthema und Dein Lebenswerk weiterzuverfolgen, um Deiner, um unserer Vision von einer friedlichen Welt ohne Waffen, Militär und Kriege näher zu kommen. Ich denke, wir alle sollten Euch, die heutigen Preisträger, damit nicht allein lassen; es gibt viele Menschen in diesem Lande, die diese existentielle Vision nicht nur erträumen, sondern sich für ihre Erfüllung tatkräftig einsetzen wollen. Und Jürgen Grässlin, der unverbesserliche Optimist, ist jemand, der sie, der uns, der die Zivilgesellschaft sozusagen von unten motivieren kann. Wie sagte es der Preisträger selbst so schön: "Lasst uns, statt Waffen zu exportieren, Sinnvolles produzieren..." Und: "Wir können viel mehr erreichen, als uns gemeinhin zugetraut wird." Also: trauen wir uns.

Auch wenn wir uns mit Jürgen Grässlin selbstkritisch eingestehen müssen, "dass wir bestenfalls ein paar Sandkörnchen im Getriebe des militärisch-industriell-politischen Komplexes sind", so möchte ich zum Schluss dennoch an die berühmten Worte von Günther Eich erinnern, die auch zu meinem Lebensmotto wurden: "Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt." Es sind unsere heutigen Preisträger Jürgen Grässlin und die Informationsstelle Militarisierung, die im besten Sinne und unbeirrt nach dieser Devise handeln. Dafür vielen Dank.


Dr. Rolf Gössner arbeitet als Rechtsanwalt und Publizist in Bremen. Er ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (www.ilmr.de), stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft. Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren des Bundestags und von Landtagen. Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" (Fischer-TB) und als solcher ausgezeichnet mit der Theodor-Heuss-Medaille 2008. Mitglied in der Jury zur Verleihung des Negativpreises BigBrotherAward an "Datenfrevler" und "Datenkraken" in Staat, Wirtschaft und Geselllschaft. Autor zahlreicher Bücher zum Thema Innere Sicherheit und Bürgerrechte, zuletzt: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates (Knaur-TB, München 2003); Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der "Heimatfront", Hamburg 2007. Internet: www.rolf-goessner.de


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Quelle:
© 2011 by Dr. Rolf Gössner, September 2011
mit freundlicher Genehmigung des Laudators


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2011