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MELDUNG/765: Deutsche wollen andere Atomwaffenpolitik der Regierung (ICAN)


ICAN Deutschland e.V. - Meldung vom 14. Juni 2017

Deutsche wollen andere Atomwaffenpolitik der Regierung


Die große Mehrheit der Deutschen kritisiert die Atomwaffenpolitik der Bundesregierung. Drei von vier Bürgern möchten einer repräsentativen Meinungsumfrage zufolge, dass sich die Bundesrepublik an den internationalen Verhandlungen über ein Verbot der Massenvernichtungswaffen beteiligt. Bislang boykottiert die Regierung diese Gespräche auf UN-Ebene. Die Umfrage wurde von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) bei YouGov Deutschland in Auftrag gegeben. Befragt wurden 2072 Personen, die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung über 18 Jahren.

75 Prozent fordern die Teilnahme an den Verhandlungen, nur 12 Prozent sind dagegen, der Rest machte keine Angaben. Dabei überwiegt die Forderung unter Anhängern aller Parteien. Von den Unions-Wählern bei der vergangenen Bundestagswahl sind 77 Prozent für die Beteiligung, von den SPD-Wählern 83 Prozent. Bei Linkspartei, Grünen und FDP sind die Zustimmungswerte noch höher. Lediglich unter den AfD-Wählern gibt es tendenziell weniger Unterstützer.

Sascha Hach von ICAN Deutschland kommentiert die Umfrage-Ergebnisse: "Die Bundesregierung handelt mit ihrer Blockadehaltung gegen den Willen der Bevölkerung. Gerade im Wahlkampf dürfen die Volksparteien den Kontakt mit der Mehrheitsmeinung und dem Common Sense nicht verlieren. Die Opposition im Bundestag fordert bereits die Teilnahme der Bundesregierung an den Gesprächen."

Mehrere Nichtregierungsorganisationen haben außerdem einen offenen Brief an Außenminister Sigmar Gabriel veröffentlicht. "Um der außenpolitischen Verantwortung Deutschlands und dem Ziel einer friedlichen und gerechten Weltordnung nachzukommen, darf die Bundesregierung die Teilnahme an multilateralen Abrüstungsverhandlungen nicht scheuen", heißt es darin. "Wer nicht am Tisch sitzt, bestimmt auch nicht mit", schlussfolgern die Unterzeichner. "Durch die Teilnahme an den Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot könnte Deutschland ein Zeichen gegen die weltweiten nuklearen Aufrüstungstendenzen und das gefährliche geopolitische Konkurrenzgebaren der Großmächte setzen." Es sei gerade heute "unverantwortlich, sich darauf zu verlassen, dass es einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Waffen geben kann, der die Welt, die Allianz oder das eigene Land tatsächlich sicherer macht".

Unterzeichnet ist der Brief von den Friedensorganisationen DFG-VK, ICAN, IPPNW, Ohne Rüstung Leben und Pax Christi, den Entwicklungsorganisationen Medico International und Oxfam, sowie der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald. Unterstützt wird der Brief von den Friedensforschern Harald Müller, Corinna Hauswedell und Thomas Nielebock.

Die Umfrage wurde zwischen dem 29. und 31. Mai 2017 durchgeführt. Die gesamten Ergebnisse finden sich unter:
http://www.icanw.de/wp-content/uploads/2017/06/YouGov-Ergebnis.pdf

Mehr Informationen zu den Verbotsverhandlungen:
www.nuclearban.de

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Deutschlands Beteiligung an Verhandlungen über ein
Atomwaffenverbot - Zweite Verhandlungsrunde

Berlin, 28.Mai 2017

Sehr geehrter Herr Minister Gabriel,

vom 27. bis 31. März fand bei den Vereinten Nationen in New York die erste Verhandlungsrunde über ein Atomwaffenverbot statt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich die Bundesregierung geweigert, an multilateralen Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen und blieb der Konferenz fern. Obwohl sich rund 130 Staaten an den historischen Verhandlungen beteiligten, hat sich die Bundesregierung entschlossen, diesen Fortschritt in Richtung Ächtung gemeinsam mit den neun Atomwaffenstaaten zu boykottieren. Bereits am 23. Dezember 2016 stimmte Deutschland bei der Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Annahme der Resolution L.41, welche die Verhandlungen zu einem Verbot von Atomwaffen mandatierte.

Atomwaffen sind die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch nicht völkerrechtlich verboten sind, obgleich der Internationale Gerichtshof ihnen in seinem historischen Gutachten von 1996 bescheinigt hat, sämtliche Attribute inhumaner Kriegsführung zu verkörpern. Ihre Ächtung wäre ein wichtiger Schritt, um die nukleare Abrüstung voranzutreiben, eine weitere Barriere gegen die Weiterverbreitung der Kernwaffen zu errichten und sich dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu nähern. Dieses positive Urteil gilt - wie für alle internationalen Verträge - auch, wenn nicht alle Staaten diesen Schritt von Anfang an mitgehen.

Die Bundesregierung begründet ihre Weigerung, sich an den Verhandlungen zu beteiligen, mit der Nicht-Teilnahme der Nuklearwaffenstaaten und der Sorge, ein Nuklearwaffenverbot könne dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) schaden. Ein Verbotsvertrag wäre jedoch mit dem NVV umstandslos vereinbar, da dieser bereits die Absicht der völkerrechtlichen Ächtung von Atomwaffen enthält und auch der Wortlaut des Art. VI - der Bestimmung über Abrüstung - dem nicht widerspricht. Die erste Verhandlungsrunde hat gezeigt, dass sich die teilnehmenden Staaten darin einig sind, die Kompatibilität mit dem NVV sowie dessen Ziele im Vertragswerk zu verankern.

Die Verhandlungen stehen zudem allen Staaten offen, einschließlich derer, die Atomwaffen besitzen oder auf ihrem Territorium stationiert haben. Die Gespräche in New York drehten sich auch um die Frage, wie Atomwaffenstaaten oder Teilhabestaaten wie Deutschland in Zukunft dem Vertrag beitreten könnten und wie ein entsprechendes Verifikationsregime gestaltet werden müsste. Es ist im ureigensten Interesse Deutschlands, diese Diskussionen mitzuprägen, auch wenn die Bundesregierung nicht unmittelbar in der Lage sein wird, dem Vertrag beizutreten. Bundesregierungen - gleich welcher Zusammensetzung - haben seit langer Zeit die kernwaffenfreie Welt als nationales Ziel bezeichnet. Eine Bundesregierung wird dereinst auch das Kernwaffenverbot unterzeichnen müssen. Daher liegt es selbstverständlich im deutschen Interesse, dass das ein guter Vertrag wird.

Um der außenpolitischen Verantwortung Deutschlands und dem Ziel einer friedlichen und gerechten Weltordnung nachzukommen, darf die Bundesregierung die Teilnahme an multilateralen Abrüstungsverhandlungen nicht scheuen. Nur am Verhandlungstisch kann sich Deutschland konstruktiv und nachhaltig für die Einbettung eines Atomwaffenverbotes in die bestehende Rüstungskontrollarchitektur und die Kompatibilität mit dem NVV einsetzen - wer nicht am Tisch sitzt, bestimmt auch nicht mit.

Durch die Teilnahme an den Verhandlungen zu einem Atomwaffenverbot könnte Deutschland ein Zeichen gegen die weltweiten nuklearen Aufrüstungstendenzen und das gefährliche geopolitische Konkurrenzgebaren der Großmächte setzen. Sie könnte damit ein deutliches Signal für die friedensstiftende Kraft des Multilateralismus und des Völkerrechts und für das Ziel einer auf Kooperation ruhenden Weltordnung aussenden und Gleichgesinnte damit stärken.

Atomwaffen sind tödliche Bedrohungen für die Menschheit und unseren Planeten. Noch immer gibt es ca. 14.900 Atomwaffen, von denen rund 1.800 ständig einsatzbereit sind und binnen Minuten abgefeuert werden können. Ihre unbeherrschbare Zerstörungskraft sowie die katastrophalen humanitären und ökologischen Auswirkungen ihres Einsatzes verbieten es auch, im Rahmen einer Abschreckungspolitik mit Atomwaffen zu drohen oder die eigene Sicherheitspolitik auf Nuklearwaffenarsenale zu gründen. Es wäre gerade heute unverantwortlich, sich darauf zu verlassen, dass es einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Waffen geben kann, der die Welt, die Allianz oder das eigene Land tatsächlich sicherer macht.

Aus diesen Gründen fordern wir Sie, sehr geehrter Herr Minister, eindringlich dazu auf

• die harte und ablehnende Haltung Deutschlands gegen ein Atomwaffenverbot aufzugeben und durch Offenheit und Dialogbereitschaft zu ersetzen

• den im Juni und Juli stattfindenden Verhandlungen
teilzunehmen

• hierbei eine konstruktive Rolle einzunehmen und sich für eine mit dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag vereinbare völkerrechtliche Lösung einzusetzen.

Wir appellieren an Sie und die Bundesregierung, globale Verantwortung für die Stärkung des Multilateralismus zu übernehmen und Deutschlands wichtige Stimme für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts einzusetzen.

Für ein weiterführendes Gespräch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Roland Blach, Landesgeschäftsführer
DFG-VK Baden-Württemberg e.V.

Sascha Hach, Geschäftsführender Vorstand
ICAN Deutschland e.V.

Alex Rosen, Vorstand
IPPNW Deutschland e.V.

Thomas Gebauer, Geschäftsführer
medico international e.V.


Der offene Brief im PDF-Format findet sich unter:
http://www.icanw.de/wp-content/uploads/2017/06/2017-05-24_Brief_Gabriel_finalversion.pdf

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Quelle:
ICAN Deutschland e.V.
Puschkinallee 5, 12435 Berlin
E-Mail: office@ican.berlin
Internet: http://www.icanw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2017

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