Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/167: Beobachtungen am Hindukusch 2013 (Matin Baraki)


Beobachtungen am Hindukusch 2013

Von Matin Baraki im Februar/März



Inhalt
  • Ein Dach und zwei Wetter
  • Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Administration
  • Unerträgliche Pressionen der USA auf Pakistan
  • Verträge der Kabuler Administration mit der NATO stark umstritten
  • Der Kampf um den Kopf des toten Kalbes - der Präsidentschaftswahlkampf läuft an
  • Handverlesene Präsidentschaftskandidaten
  • Übergabe des Foltergefängnisses Bagram
  • Hamid Karsei, der US-Pudel, wettert gegen seinen Herrn
  • Im Schulwesen liegt noch vieles im Argen, trotz gegenteiliger Propaganda
  • Ausplünderung der Kabul-Bank durch ihre Manager
  • Der internationale Frauentag wurde von Männern begangen
  • Eine Begegnung und ein Gespräch über das frühere Kabul
  • US-gelenkte Söldner üben in den Provinzen und Dörfern Terror aus
  • Bereicherung und Armut, Elend, Schikane und Lebensgefahr
  • Besatzung auf unabsehbare Zeit



"Es ist immer wieder erstaunlich,
wie schnell sich eine miserable Gegenwart
in eine gute alte Zeit verwandelt." Gustav Knuth.


Ein Dach und zwei Wetter ...

Ein Dach und zwei Wetter, besagt ein afghanisches Sprichwort. Ein Islam und zwei Interpretationen, nennen es kritische Beobachter in AfPak. Für Ende März war ein Treffen der höchsten afghanischen und pakistanischen Geistlichen vorgesehen. Daraus wurde jedoch nichts. Die afghanischen sollten die pakistanischen religiösen Führer davon überzeugen, Selbstmordattentate als unislamisch zu verurteilen. Jedoch die pakistanischen Geistlichen, die den Kampf der Taleban als Djehad (Heiligen Krieg) gegen fremde Besatzer ansehen, waren nicht bereit, den afghanischen Vorstellungen zu folgen.

Der Präsident des islamischen Rates Pakistans, Taher Mohammad Aschrafi, hatte schon am 1. März 2013 in einem Fernseh-Interview bekräftigt, dass seine Organisation eine Verurteilung von Attentaten ablehne. Die Afghanen behaupteten, diese Haltung stimme mit der Position des pakistanischen Geheimdienstes Interservice Intelligence (ISI) überein.

Sowohl die Karsei-Administration als auch die NATO-Führung spielten Aschrafis Aussage so hoch, dass am 4. März Karsei und der NATO-Generalsekretär Rasmussen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kabul dazu aufriefen, Aschrafi auf die Terrorliste der "internationalen Gemeinschaft" zu setzen. Interessanterweise vertrat auch der Sprecher der "Afghanischen Zivilgesellschaft", Saied Ismael Sokhanwar, vor der Presse in Kabul exakt die gleiche Position wie Karsei und Rasmussen. Zivilgesellschaft und NATO, das sei doch wie Feuer und Wasser, bemerkten kritische Kommentatoren in Kabul. Es könne zwischen beiden keine übereinstimmenden Positionen geben, das Verhalten der Nicht-Regierungsorganisation "Afghanischen Zivilgesellschaft" untergrabe die Autorität der Zivilgesellschaft. Da die Organisation "Afghanische Zivilgesellschaft" ohnehin im Verdacht stehe, nur als Aushängeschild für die Besatzer und die Kabuler Administration zu fungieren, wäre ihr anzuraten, sich nicht zu sehr anzubiedern. Die pakistanischen Geistlichen vermuteten hinter der ganzen Sache sowieso die Karsei-Clique und ihre Schutzmacht USA.


Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Administration

Die gegenseitige Polemik zwischen den afghanischen und pakistanischen Administrationen verschärft die bestehenden Spannungen noch mehr. Die Karsei-Administration wirft Pakistan vor, nicht genügend gegen den Zufluss der Taleban nach Afghanistan zu unternehmen. Darüber hinaus hat die afghanische Polizei pakistanische Staatsbürger, die in Afghanistan auf der Suche nach einer Tätigkeit sind, festgenommen, verprügelt, ihre Pässe zerrissen und sie des Landes verwiesen. Daraufhin hat Pakistan seit kurzem für afghanische Staatsbürger, die nach Pakistan reisen möchten, die Visapflicht eingeführt. Das hat zu einem riesigen bürokratischen Problem für alle Seiten geführt. Zuerst müssen die Afghanen sich Pässe besorgen. Das kostet nicht nur Gebühren, sondern ist selbstverständlich auch noch mit Bakschisch verbunden. Dann müssen sie vor den pakistanischen Konsulaten stundenlang Schlange stehen, zunächst um den Visaantrag einzureichen. Erst nach etwa einer Woche bekommen sie die Einreisevisa. Doch das ist noch nicht einmal das Ende der Qual. An der afghanisch-pakistanischen Grenze bildet sich wegen der strengeren Kontrolle nochmals eine endlose Schlange. Für die Fahrt von Kabul nach Peschawar brauchten die Reisenden zuvor knappe sechs Stunden. Nun müssen sie über acht Stunden Zeit in Kauf nehmen. Darunter leiden am meisten Kinder, ältere Menschen und besonders Kranke, die wegen schwerer gesundheitlicher Probleme zur Behandlung nach Pakistan reisen müssen.

Quelle: Wikimedia Commons, als Werk des US-Militärs gemeinfrei

Afghanischer Grenzpolizist auf einem neuen Kontrollpunkt nahe der afghanisch-pakistanischen Grenze im Spin Boldak-Distrikt / Provinz Kandahar, Afghanistan, 1. April 2013. Der Kontrollpunkt wurde gebaut, um eine Route zu blockieren, auf der Aufständische eindringen.
Quelle: Wikimedia Commons, als Werk des US-Militärs gemeinfrei

Maulawi Faqir Mohammad, Stellvertreter des Vorsitzenden der pakistanischen Taleban "Tahrike Taleban", der in Kabul inhaftiert ist, sollte an Pakistan ausgeliefert werden. Im Gegenzug verlangt die Kabuler Administration die Freilassung von Mullah Beradar. Dieser hatte im letzten Frühjahr Verhandlungen der Taleban mit der Administration am Hindukusch über eine politische Lösung des inner-afghanischen Konfliktes angekündigt. Daraufhin wurde er von der pakistanischen Regierung verhaftet. Pakistan fühlte sich durch Beradars Alleingang hintergangen. Da die pakistanische Regierung an einer künftigen politischen Lösung am Hindukusch beteiligt werden und ihre Interessen dort berücksichtigt haben möchte, wird sie separate Verhandlungen nicht dulden. Der Kabuler Administration fällt es schwer, dies zu verstehen, geschweige denn, zu akzeptieren. Fakt ist jedoch, dass ohne Beteiligung Pakistans, keine tragbare Lösung des Afghanistans-Konfliktes mit nachhaltiger Wirkung denkbar ist.


Unerträgliche Pressionen der USA auf Pakistan

Die Vereinigten Staaten verstoßen seit Jahren regelmäßig durch ihre Drohneneinsätze gegen die Souveränität unseres Staates, stellten übereinstimmend Pakistanis aller Schattierungen fest. Selbst von einem Beschluss des Pakistanischen Parlamentes lässt sich die Obama-Administration nicht beeindrucken. Dabei nehmen die USA für den Tod eines einzigen mutmaßlichen Widerständlers, die sie pauschal als Taleban bezeichnen, wie jüngst z. B. 18 zivile Opfer in Kauf. Nach offiziellen US-Angaben sind über 3000 Menschen getötet worden. Die Pakistaner gehen von der 2- bis 3fachen Opferzahl aus. Deswegen sind die USA in Pakistan so verhasst, das die islamischen Würdenträger des Landes einer Maßnahme, die zur Isolierung der Taleban beitragen könnte, auf keinen Fall zustimmen werden, wenn sie ihr Ansehen in der Bevölkerung nicht beschädigen wollen.

Foto: 30.11.2010, Sgt. Justin P. Morelli, The U.S. Army, CC BY 2.0,Quelle: Wikimedia Commons

Ein Soldat einer US-Spezialeinheit, der Special Operations Task Force-East, überwacht afghanische Soldaten vom 2. Kommando Kandak während der Patrouille in einem Dorf im Dand Patan-Bezirk im Rahmen einer dreitägigen Operation. Die Operation soll die Präsenz der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan in abgelegenen Dörfern entlang der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan in der Provinz Paktia stärken.
Foto: 30.11.2010, Sgt. Justin P. Morelli, The U.S. Army, CC BY 2.0,Quelle: Wikimedia Commons

Ausgerechnet in so einer spannungsgeladenen Situation drohte die US-Administration der pakistanischen Regierung mit Wirtschaftssanktionen, sollte sie das vereinbarte Gas-Pipeline-Projekt zwischen Iran und Pakistan, das während der Reise des pakistanischen Präsidenten Ali Asif Sardari Ende Februar 2013 in Teheran vereinbart wurde, umsetzen wollen. Pakistan ließ sich dadurch nicht beirren. In Anwesenheit der Präsidenten Irans und Pakistans begann am 12. März 2013 feierlich die Verlegung der Rohre Richtung Pakistan mit traditionellen Tänzen und Musik. Durch die ständige Zunahme der Bevölkerung und den wachsenden Bedarf der pakistanischen Industrie an Energie, ist das Land darauf angewiesen, Energie aus dem Ausland zu importieren. Da das UNOCAL-Projekt von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan vorläufig gescheitert zu sein scheint, muss Pakistan diesbezüglich andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Um Iran wirtschaftlich zu schädigen, nehmen die USA keinerlei Rücksicht auf die explosive innenpolitische Lage ihres wichtigen strategischen Verbündeten im südasiatischen Raum. Die Verhinderung dieses Projektes durch ein US-Veto wäre eine solche Blamage für die politische Klasse in Islamabad, dass dadurch das Land innen- und außenpolitisch schwer beschädigt werden würde. Wer seine Nase beschädigt, beschädigt sein Gesicht, lautet ein flämisches Sprichwort. Aber bekanntlich versteht man ja in Washington kein Flämisch.


Verträge der Kabuler Administration mit der NATO stark umstritten

Der Rat der afghanischen Geistlichen hat sich noch einmal im Zusammenhang mit der Übergabe der Haftanstalt Bagram an die Kabuler Administration und mit den Verträgen mit der NATO, insbesondere mit der US-Armee, im Sinne der Karsei-Administration ausgesprochen. Dies wurde am 23. März sowohl von der Opposition als auch von zahlreichen Parlamentariern kritisiert. Der Rat sei zum Instrument des Präsidenten Karsei verkommen.

Foto: Weißes Haus, Public Domain,Quelle: Wikimedia Commons

US-Präsident Barack Obama und der afghanische Präsident Hamid Karzai beim Austausch von Dokumenten nach der Unterzeichnung des Abkommens über eine dauerhafte strategische Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Islamischen Republik Afghanistan im Präsidentenpalast in Kabul, Afghanistan am 2. Mai 2012. Focus schreibt dazu: "Unter dem Eindruck angeblicher Einmischungen aus Pakistan und Iran hat das afghanische Parlament eine Abkommen über eine strategische Partnerschaft mit den USA gebilligt. Demnach sollen auch nach Ende des Truppenabzugs US-Soldaten in Afghanistan bleiben. Das Bündnis stieß im Parlament allerdings nicht nur auf Zustimmung." (26.5.2012) Ein Abgeordneter nannte das Dokument "mysteriös und mehrdeutig". Von den 249 Abgeordneten im afghanischen Parlament nahmen nur 180 an der Sitzung teil, auf der über das Abkommen abgestimmt wurde. Von diesen verließen dann noch einige die Sitzung oder enthielten sich.
Foto: Weißes Haus, Public Domain,Quelle: Wikimedia Commons

Mit der Übergabe eines Gefängnisses werde Afghanistan nicht souverän, wenn Dutzende weitere immer noch von der US-Armee kontrolliert würden, bemängelte der Abgeordnete Ramazan Baschardost.

Warlord Ismael Khan, Minister für Energie und Wasser, plädierte auf einer Veranstaltung in der westlichen Stadt Herat ebenfalls für die Verhinderung der Militär-Verträge mit den NATO-Ländern, insbesondere mit den Vereinigten Staaten. Schon im März 2012 hatte Ismael Khan dem Kabuler Präsidenten die Legitimation abgesprochen, solche Verträge zu unterschreiben. Er befürwortete diesbezüglich eine Volksbefragung. Darüber hatte ich schon während meines Aufenthaltes vor zwei Jahren vor Ort berichtet.(1)

In letzter Zeit herrscht ohnehin Verstimmung zwischen der Kabuler Administration und der NATO. Die Besatzer wollen ihre militärische Infrastruktur nach dem Abzug der Kampftruppen im Jahre 2014 zerstören. Die Kabuler Administration möchte sie gerne unversehrt übernehmen. General Mohammad Zaher Azimi, Sprecher des Verteidigungsministeriums, teilte Mitte März mit, dass fremde Mächte nicht das Recht hätten, Gebäude auf afghanischem Boden zu zerstören. Ob die NATO sich davon beeindrucken lässt, muss noch abgewartet werden.

DoD photo by Tech. Sgt. Andy Dunaway, U.S. Air Force. Public DomaineQuelle: Wikimedia Commons

Afghanistans damaliger Verteidigungsminister Mohammad Fahim Khan (links) begleitet US-Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld durch eine Ehrenwache in das Hauptquartier des Verteidigungsministeriums in Kabul, 4.12.2003. Präsident Karzai hat sich bereits in seiner ersten Amtszeit von Khan getrennt, wie von allen Ministern, die auf Seiten der Nordallianz kämpften.
DoD photo by Tech. Sgt. Andy Dunaway, U.S. Air Force. Public DomaineQuelle: Wikimedia Commons


Der Kampf um den Kopf des toten Kalbes - der Präsidentschaftswahlkampf läuft an

Der Kampf um den Kopf des toten Kalbes, nennen die Afghanen den schon begonnenen Wahlkampf um das Präsidentenamt am Hindukusch im Herbst 2014. Es geht auch jetzt wieder um Postenverteilung. Asef Mohseni, Präsident der schiitischen Hesbe Wahdat (Einheitspartei), warf am 1. März 2013 auf einer Wahlkampfveranstaltung Hamid Karsei vor, nach den letzten Wahlen seiner Partei lediglich drei bedeutungslose Ministerposten überlassen zu haben. Interessanterweise verlangen alle politischen Parteien - zumindest verbal - saubere Wahlen. Haltet den Dieb schreien alle Diebe, sagen die Afghanen, die seit 2001 viele solche Wahlen erlebt haben.

Ahmad Wali Masud, der in der letzten Amtsperiode erster Stellvertreter Karseis war und während seiner Amtszeit auf dem Dubaier Flughafen mit 50 Mio. Dollar in seinem Handgepäck festgenommen worden war, erinnerte auf derselben Wahlkampfveranstaltung am 1. März an die unrechtmäßige Entmachtung des damaligen Präsidenten Burhanuddin Rabbani auf dem Petersberg im Dezember 2001. Er verschwieg jedoch, dass gerade die drei Warlords der Nordallianz, zu deren Gruppe auch Masud selbst gehörte, nämlich Abdullah Abdullah, Mohammad Jonus Qanuni und Mohammad Qasim Fahim für die Ministerposten Außen, Innen und Verteidigung ihren eigenen Präsidenten geopfert hatten. Rabbani wurde so einfach weggefegt, wie ein gebrauchtes Taschentuch, und damit auf den Müllhaufen der Geschichte befördert. Da er vor einem Jahr von einem Selbstmordattentäter getötet wurde, versuchen die Warlords der Nordallianz Rabbani nun für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Foto: Daniel Wilkinson (U.S. Department of State) CC BY-ND 2.0,Quelle: Flickr

US-Senator John Kerry mit Abdullah Abdullah in Kabul, 20.10.2009. Abdullah, von Karzai 2006 als Außenminister entlassen, war 2009 Präsidentschaftskandidat und kandidiert jetzt wieder.
Foto: Daniel Wilkinson (U.S. Department of State) CC BY-ND 2.0,Quelle: Flickr

Mahmud Karsei, ein Bruder des jetzigen Präsidenten, verlangte am 8. März prophylaktisch, dass sich die Kandidaten für das Amt des Präsidenten per Unterschrift verpflichten sollten, die Wahlergebnisse ohne Widerspruch zu akzeptieren. So könnte dann die Familie Karsei ihren Betrügereien einen geregelten und abgesicherten Rahmen verleihen, meinen politische Beobachter in Kabul.


Handverlesene Präsidentschaftskandidaten

Nach der Verfassung darf Präsident Karsei nicht zum dritten Mal für das Amt kandidieren, trotzdem ist eine Medwedjew-Putin-Variante für die übernächste Präsidentschaftskandidatur nicht ausgeschlossen, wenn sein Bruder Abdul Qaium Karsei die Wahlen gewinnen sollte. Bis jetzt sind folgende Präsidentschaftskandidaten im Gespräch: Aschfar Ghani Ahmadzai, ein US-Bürger und erster Finanzminister Kabuls nach der Vertreibung der Taleban, z. Zt. Koordinator für den Abzug der NATO-Kampfeinheiten aus Afghanistan. Was er genau macht, weiß aber niemand. Da er sich als ehemaliger Manager der Weltbank für afghanische Verhältnisse als Kompetenter hervorgetan hatte, musste Karsei ihn irgendwie unterbringen. Abdullah Abdullah, erster Außenminister und Leiter der nach dem ermordeten Panjschiri Warlord benannten Stiftung Ahmad Schah Masud. Ramazan Baschardost, ein Franko-Afghane, der nach kurzer Tätigkeit als Planungsminister entlassen wurde und Parlamentsabgeordneter ist. Sehr wahrscheinlich hat er eine maoistische Vergangenheit und gilt als Populist. Zalmai Khalilzad, ein gebürtiger Afghane und ein NEOCONPolitiker, der in der Bush-Ära u. a. US-Botschafter in Afghanistan war. Mohammad Omar Sakhelwal, z. Z. Finanzminister und ein US-Mann, sowie Ahadi, Handels- und Gewerbeminister. Warlord, Kriegsverbrecher und Drogenboss Mohammad Atta Nur, z. Z. Gouverneur von Balkh und der US-Bürger und CIA-Mann mit Geschäftssinn, Abdul Qaium Karsei, der ältere Bruder des jetzigen Kabuler Präsidenten Hamid Karsei.

Dieser hat am 6. März nach der Winterpause die 16. Session des Parlamentes eröffnet, wobei er u. a. auf die letzten Präsidentschaftswahlen einging. Die Fälschungen bei den Wahlen seien nicht von ihm veranlasst worden, sondern durch die Interventionen der Khareji (Ausländer) im Wahlverlauf entstanden. Er wolle als ein ehrlicher Präsident in die afghanische Geschichte eingehen. Deswegen sollte die nächste Präsidentschaftswahl, bei der sein älterer Bruder als Kandidat gilt, sauber sein. Wie unverfroren muss ein Mensch sein, dass er so etwas behaupten kann, ohne rot zu werden, während er seit 2001 jeweils nur durch Drohung, Stimmenkauf und Betrug ins Amt gekommen ist.


Übergabe des Foltergefängnisses Bagram

Abdul Qaium Karsei ging im Parlament auch auf die Lage der Gefangenen in dem nördlich von Kabul liegenden US-Stützpunkt Bagram ein, wo auf Verdacht über 4000 Menschen ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden. Bagram wird am Hindukusch als afghanisches Abu Graib bzw. afghanisches Guantánamo bezeichnet. Die Foltermethoden wurden erst in Bagram praktiziert. "Wir wissen, dass dort auch unschuldige Menschen sitzen, die ich nach der Übernahme des Lagers, freilassen werde", sagte Karsei hochnäsig. Die Übergabe an die Kabuler Administration war für den 9. März vorgesehen. Daraus wurde jedoch nichts, weil die USA die Übergabe in letzter Minute gestoppt haben. Die Besatzungsmacht USA und ihre Marionette, die Karsei-Administration, konnten sich noch nicht über die Modalitäten einigen. Karsei rief am 15. März die USA ultimativ auf, bis Ende der Woche die Übergabe des Lagers zu vollziehen. Die US-Administration ließ Karseis Schau unbeeindruckt. Erst am 25. März wurde Bagram an die afghanischen Behörden übergeben. Über die Bedingungen wurde jedoch nichts bekannt. Anonyme Militärs gaben an, dass zwischen 80 und 90 Gefangene auch in Zukunft ausschließlich unter der Kontrolle der US-Militärs bleiben werden. Diese Personen dürfen weder freigelassen werden, noch einen ordentlichen Prozess erhalten, wie Karsei vollmundig angekündigt hatte. Kritische Beobachter in Kabul sprachen davon, dass die US-Armee, die ihnen unangenehmen Gefangenen schon vor der Übergabe in andere US-Gefängnisse, z. B. nach Qandahar verlegt hätten. Nun würde der Karsei-Administration eine fast leere Anstalt überlassen.


Hamid Karsei, der US-Pudel, wettert gegen seinen Herrn

Da Hamid Karsei den Afghanen nichts anzubieten hat und als US-Pudel verschrieen ist, versucht er nun am Ende seiner letzten Amtszeit, sein völlig ramponiertes Ansehen aufzupolieren. Er wolle mit einer sauberen Weste in den Ruhestand gehen. Das nimmt ihm aber niemand ab. Das einzige Mittel, was ihm Wirkung zu zeigen verspricht, ist, gegen die verhassten US-Besatzer zu polemisieren. Damit möchte er sowohl beim bewaffneten Widerstand als auch in der Bevölkerung punkten. Die US-Administration rege sich nur verbal auf, meinen viele Afghanen, die ich darauf angesprochen habe. Beobachter in Kabul gehen davon aus, dass es möglicherweise zwischen Karsei und seiner Schutzmacht USA eine geheime Absprache gibt. Jeder darf sich aufregen und keiner meint es wirklich ernst. Aber auch die Opposition nutzt die Verbalattacken Karseis gegen die USA in ihrem Sinne, um Wähler für sich zu mobilisieren. Sie beschuldigt Karsei laufend der Kungelei mit den Taleban. Unmittelbar vor der bis zur letzten Minute geheim gehaltenen Reise des USVerteidigungsministers Chuck Hagel nach Kabul wurde am 11. März ein Selbstmordattentat vor der nur für die zivilen Mitarbeiter vorgesehenen Eingangstür des afghanischen Verteidigungsministeriums ausgeübt. Es kamen dabei zahlreiche Zivilisten ums Leben. Das Attentat den Taleban zuzuordnen, nütze den Gegnern Afghanistans, erklärte Hamid Karsei in einer Rede. Diese Äußerung veranlasste sowohl den US-Botschafter in Kabul, James Cunningham, als auch die Opposition sowie die Zivilgesellschaft zu scharfen Reaktionen. Cunningham nannte diese Aussage Karseis am 12. März inakzeptabel.

Am selben Tag setzte Karsei noch eins drauf. In einer Rede in Helmand warf er den USA eine Zusammenarbeit mit den Taleban vor. "Sie trinken gemeinsam Tee und Kaffee und handeln gegen Afghanistan", sagte er wörtlich. Die Vereinigten Staaten betrieben eine Geheimdiplomatie bezüglich des Afghanistan-Konfliktes, meinte er. Der Sprecher Karseis trat am 19. März mit der Erklärung vor der Presse, dass die NATO-Präsenz in Afghanistan sinnlos und unvernünftig sei. Da sie außer Krieg und Zerstörung von Häusern nichts anderes bewirkt habe. Als ich daraufhin die um mich versammelten Dorfbewohner fragte, was sie vom NATO-Abzug hielten, sprachen sie sich übereinstimmend für den Abzug aus. Weil die NATO-Soldaten nächtens fremde Häuser überfallen, wo Frauen ungeschützt schlafen, meinte stellvertretend Maksufa, eine ältere, analphabetische Frau. Diese Hausdurchsuchungen sind in Afghanistan vergleichsweise so verhasst wie die US-Drohneneinsätze in Pakistan.


Im Schulwesen liegt noch vieles im Argen, trotz gegenteiliger Propaganda

In den bundesdeutschen Medien und durch Politpropagandisten wird in den NATO-Ländern die Eröffnung von Schulen in Afghanistan nach der Vertreibung der Taleban als eine der großen Leistungen der Besatzer hervorgehoben. Am 2. März sprach ich mit Frau Khatol, einer Lehrerin der Schina-Mädchen-Oberschule bei Kabul. Sie berichtete über das niedrige Niveau der Schulen im Allgemeinen. Es gäbe Absolventinnen, die nicht einmal in der Lage seien, in ihrer Muttersprache richtig zu schreiben. Da sie aber Kinder der Lehrenden seien, würden sie dennoch in die höheren Klassen versetzt. Es gäbe in der Schule keine einzige Lehrerin mit Hochschulabschluss. Sie hätten lediglich Abitur und erst nach dem Dienst würden sie Weiterbildungskurse besuchen. Didaktisch seien sie Analphabeten. Sie selber sei Paschtunin, deswegen lehre sie die Sprache Paschto. Erfahrungsgemäß dürfte sie auch selbst von der Grammatik, Orthographie und Didaktik kaum Kenntnisse haben. Wenn sogar am Rande von Kabul solche mangelhaften schulischen Verhältnisse herrschten, könne man sich unschwer vorstellen, wie es in den abgelegenen Provinzen Afghanistans aussehe.

Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0

Die Mädchenoberschule in Schina bei Kabul. Mit etwas Geld vom Autor wurden die Schulhefte besorgt. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2008.
Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0

In den bundesdeutschen Medien und durch Politpropagandisten wird in den NATO-Ländern die Eröffnung von Schulen in Afghanistan nach der Vertreibung der Taleban als eine der großen Leistungen der Besatzer hervorgehoben. Am 2. März sprach ich mit Frau Khatol, einer Lehrerin der Schina-Mädchen-Oberschule bei Kabul. Sie berichtete über das niedrige Niveau der Schulen im Allgemeinen. Es gäbe Absolventinnen, die nicht einmal in der Lage seien, in ihrer Muttersprache richtig zu schreiben. Da sie aber Kinder der Lehrenden seien, würden sie dennoch in die höheren Klassen versetzt. Es gäbe in der Schule keine einzige Lehrerin mit Hochschulabschluss. Sie hätten lediglich Abitur und erst nach dem Dienst würden sie Weiterbildungskurse besuchen. Didaktisch seien sie Analphabeten. Sie selber sei Paschtunin, deswegen lehre sie die Sprache Paschto. Erfahrungsgemäß dürfte sie auch selbst von der Grammatik, Orthographie und Didaktik kaum Kenntnisse haben. Wenn sogar am Rande von Kabul solche mangelhaften schulischen Verhältnisse herrschten, könne man sich unschwer vorstellen, wie es in den abgelegenen Provinzen Afghanistans aussehe.

Hamid Karsei hat am 23. März das neue Schuljahr eröffnet. Während er für die Zerstörung der Schulen die Taleban, die er am 21. März noch als Brüder bezeichnete hatte, verantwortlich machte, behauptete Erziehungsminister Faroq Wardag auf derselben Veranstaltung das Gegenteil - nämlich, dass die Taliban nicht verantwortlich seien für die Zerstörung der Schulen. Anscheinend weiß in der Kabuler Administration die rechte Hand nicht, was die linke tut. Übrigens sind in Afghanistan immer noch über 450 Schulen geschlossen, wie die Presse in Kabul zum Schulbeginn meldete.


Ausplünderung der Kabul-Bank durch ihre Manager

Das Sondergericht bezüglich der Korruptionsfälle bei der Kabul-Bank hat am 5. März 2013 den ehemaligen Präsidenten Khalilullah Ferosi zu fünf Jahren Haft und zur Zahlung von 278.573.000 Dollar verurteilt. Ein weiterer Manager, Scher Khan, wurde ebenfalls zu fünf Jahren Haft und zu 530.988.000 Dollar verurteilt. Von einer Verurteilung des Bruders des Kabuler Präsidenten Karsei, Mahmud Karsei, der bei der Angelegenheit ebenfalls eine führende Rolle gespielt hatte, war keine Rede. Insgesamt wurden 21 Personen verurteilt, 16 von ihnen laufen munter frei herum. Die gemeinsame Kommission zur Bekämpfung der Korruption findet das Strafmaß zu niedrig. Das Sondergericht verbittet sich jede Einmischung in dieser Angelegenheit, meldeten afghanische Medien am 19. März. Sowohl die USA als auch Großbritannien hatten die Entscheidung des Gerichtes zur Kabul-Bank schon am 5. März begrüßt. Mahmud Karsei verlangte eine rechtskonforme Entscheidung des Gerichtes, was immer er auch darunter verstehen mag. Alles anderes wäre eine gesetzeswidrige Entscheidung, so wie es in ganz Afghanistan gang und gäbe sei, sagte er Tolo-TV am 6. März. Es gab zahlreiche Stimmen in Kabul, die das Sondergericht als ein von Präsident Karsei bestelltes Gremium einstuften. Am 7. März wurde in den Kabuler Medien berichtet, dass auch der neue Präsident der Kabul-Bank, Masud Ghasi, inzwischen 5, 8 Mio. Dollar auf sein Privatkonto nach Dubai transferiert hat.


Der internationale Frauentag wurde von Männern begangen

Auch in Afghanistan wurde der Internationale Frauentag am 8. März begangen. Gesprochen haben aber nur Männer. Als erstes wurden eine längere Rede des US-Botschafters in Kabul, James Cunningham, und einige Bemerkungen des 2. Stellvertreters von Karsei, Warlord Khalili, von Tolo-TV ausgestrahlt. Im Parlament haben am 9. März bei der Vorstellungsrunde der Kandidaten für das Präsidium des Unterhauses (Schuraie Milli) nur zwei Abgeordnete, darunter Frau General Nilofar Ibrahimi zum Frauentag Stellung genommen. Die Frauen sollten ihr Recht bekommen, meinten die Abgeordneten, jedoch nur im Rahmen des islamischen Rechts. Was sie mit dem islamischen Recht meinten, haben sie ausdrücklich nicht erklärt. Gemeint ist aber die Scharia. Da die Scharia nur ein einziges Mal als Begriff im Koran vorkommt, kann jeder sich darauf berufen und sie nach eigenem Gutdünken interpretieren, wie es ihm passt. Das ist ein Kaugummi-Paragraph in der islamischen Rechtsprechung. Beinhaltet sind u. a. Steinigungen von Frauen bei Ehebruch bis zum Abhacken der Hände von Dieben und viele weitere barbarische Strafmaßnahmen.

Bei einer Veranstaltung über die Rolle der Frauen in der afghanischen Wirtschaft wurde von der Handelskammer des Landes hervorgehoben, dass die Frauen beim Handeltreiben mit vielen Hindernissen zu kämpfen hätten. Bei dieser Veranstaltung sprach auch der Minister für Handel und Gewerbe, Nurulhaq Ahadi, über dieses Problem. Ahadi war noch im März letzten Jahres Finanzminister. Da ihm Korruption vorgeworfen wurde, versetzte ihn Karsei in das andere Ministerium. Auch eine gute Adresse für Bakschisch der ersten Klasse. Weil Ahadi ein US-Mann ist, hat er auch in der Zukunft nichts zu befürchten.


Eine Begegnung und ein Gespräch über das frühere Kabul

Bei meiner täglichen Joggingrunde bin ich am 7. März einem aus Kabul kommenden Afghanen am Rande des nicht besonders grünen Fußballplatzes in einem verstärkt von afghanischen Migranten bewohnten Stadtteil Peschawars begegnet. Da es im neuen Afghanistan nicht möglich ist, Herzbeschwerden angemessen zu behandeln, musste der gesprächsfreudige Landsmann nach Pakistan kommen. Es hatte kurz zuvor geregnet, und die Luft war etwas besser als sonst. Wie schön grün der Platz und wie gut die Luft sei, hob der mir unbekannte kranke Mann hervor. In Kabul gäbe es kaum solche Örtlichkeiten und die Luft sei sehr dreckig und stinke furchtbar. Die neue, vom Westen eingesetzte und zum Teil von dort importierte afghanische Elite habe nicht nur unser Land an die Amerikaner verkauft, sondern uns auch die Luft zum Atmen genommen, stellte er resigniert fest. Unsere Kinder würden durch die schmutzige Luft (Smog) krank. Inzwischen gäbe es komische Krankheiten, die bei uns vorher völlig unbekannt waren. Wenn unsere Frauen abends vergäßen, ihre frisch gewaschene Wäsche reinzuholen, könne man sie nicht mehr anziehen. Auf der Wäsche liege eine Schicht von Ruß und Staub. Es müsse alles noch einmal gewaschen werden.

Im heutigen Afghanistan fehle es an Patrioten, betonte er. Die aus dem Exil zurückgekommenen Afghanen, ausgestattet mit ausländischen Pässen, raubten das Land aus. Die mehr als 50 Mrd. Euro, die aus dem Ausland nach Afghanistan geflossen seien, würden von hohen Politikern und Staatsbeamten abgezweigt. Entweder würden sie auf Dubaier Banken transferiert oder in Dubai bzw. in Neu-Delhi in Immobilien investiert. Da sie ihre Zukunft nicht mit Afghanistan verbinden, haben sie auch kein Interesse, im eigenen Land zu investieren. Unsere Großväter hätten die Angres (Briten) im 19. Jahrhundert aus dem Lande vertrieben. Die jetzige Elite wolle, dass die Besatzer, wozu auch die Angres gehörten, noch länger am Hindukusch bleiben. Knechtschaft sei im neuen Afghanistan zur Tugend geworden. Die da oben dächten nur an sich und an ihren Kontenstand in Dubai. Sie hätten das Volk buchstäblich ausgesaugt.

Der Mann, den ich als etwa um die 60 Jahre alt schätzen würde, erzählte mit einem außergewöhnlichen Temperament von den guten alten Zeiten Kabuls, als dort noch Ruhe und Sicherheit geherrscht, und die gute Luft des Kabultals die Stadt in einen Kurort verwandelt habe. Der Mogulkaiser Babur habe nicht ohne Grund Kabul als seine Sommerresidenz gewählt. Im Frühjahr begingen die Bewohner Kabuls die Melae Gule Arghawan (Fest der purpurroten Blume), das sich im Laufe der Zeit zu einem Volksfest entwickelt hat, wie das Nauwruz-Fest (Neujahr) in Masare Scharif, jedoch ohne religiöses Pathos. Seit 2001 sei Kabul zu einer der hässlichsten Städte der Welt gemacht worden - Schutzmauern, Absperrungen, Stacheldraht, wie in einem Hochsicherheitsgefängnis und überall Checkpoints von Militär und Polizei. Totales Chaos auf den Straßen, die noch befahren werden könnten und nicht gesperrt seien.

Da es mir zunehmend kälter wurde, musste ich mich von dem enthusiastischen Erzähler aus Kabul verabschieden. Es war ein trauriger Abschied. Erstaunlich, wie zwei völlig unbekannte Menschen sich in wenigen Minuten so nah kommen können und sich auf Anhieb verstanden, ähnliche Erinnerungen an Kabul lebendig werden ließen, und sich dann zwangsläufig, mit feuchten Augen und einem festen Händedruck, auf nimmer Wiedersehen verabschiedeten. Es war dann schon später Nachmittag. Die Taleban hatten inzwischen Pause und saßen, in einer Reihe nebeneinander, wie Hühner auf einer Stange. Als ich an ihnen vorbeilief, sagte einer: "Der ist hier neu". Oh, dachte ich, du bist aufgefallen. Mein Bart war noch nicht gewachsen. Es wurde mir doch etwas mulmig zumute, und nach der Runde ging ich lieber nach Hause. Obwohl ich immer von meinem "Body Guard" begleitet werde, ist dennoch Vorsicht angebracht. Denn Entführungen sind an der Tagesordnung.


US-gelenkte Söldner üben in den Provinzen und Dörfern Terror aus

In der Provinz Maidan-Wardag kam es am 9. März zu einem großen Protest der Bevölkerung gegen die Einsätze der Sondereinheiten der US-Besatzer. Es sind eigentlich von der US-Armee angeheuerte, bezahlte und gelenkte einheimische Söldner, die wie marodierende Banditen agieren. Sie hätten in letzter Zeit neun Menschen verschwinden lassen, sogar einen Schüler in der Nacht aus dem Haus seiner Eltern entführt. Seine Leiche fand man dann zwei Tage später mit Folterspuren und durchgeschnittener Kehle unter einer Brücke. Es wurde den Einheiten vorgeworfen, willkürlich "unschuldige Menschen festzunehmen, zu foltern und sogar zu töten". USMilitärs seien kürzlich Fotos und Videos über die Taten ihrer Söldner übergeben worden, erklärte der Sprecher des Kabuler Präsidenten, Aimal Faizi, auf einer Pressekonferenz. Einer Mehrzahl der Folterfälle (82 %) wurde nicht einmal nachgegangen. Da es in 19 von 34 Provinzen Afghanistans überhaupt keine Rechtsanwälte gibt, haben die betroffenen Familien keine Möglichkeit, ihrem Recht Geltung zu verschaffen. Nach jedem Protest aus der Bevölkerung verspricht Hamid Karsei, solche Fälle durch eine Sonderkommission untersuchen zu lassen. In der Regel bleibt es jedoch bei dieser Ankündigung oder man erfährt nie, was bei der angeblichen oder tatsächlichen Untersuchung herausgekommen ist.

Die Panjscheri-Warlords, die sich Schora-e Nezar nennen, hatten vor etwa fünf Monaten die Bevölkerung meines Wohnortes Schina unter falschem Etikett zu einer Wahlveranstaltung nach Kabul eingeladen. Als dann u.a. der Warlord und ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah auftrat, verließen die Zuhörer den Saal, erzählte mir Ing. Hamid, ein Bewohner des Dorfes am 12. März. Die Menschen hätten nicht vergessen, dass die Schora-e Nezar das Dorf Schina Anfang der 90er Jahren regelrecht durch Raketenbeschuß terrorisiert hätte, wobei zahlreiche Familien vollständig ausgerottet wurden. Darüber hinaus hätten sie doch für unser Land nichts getan, als sie seit 2001 an der Regierung waren, teilte mir ein anderer Dorfbewohner wütend mit. Das einzige, was die getan hätten, sei, das Land an die USA zu verkaufen.

Der mit der Karsei-Clique verflochtene Haji Nauros versuchte sich mit gefälschter Urkunde das Land um das Dorf Schina anzueignen. Als der Dorfvorsteher Del Aqa sich wehrte, wurde er mit Handschellen abgeführt. Der geschlossene Widerstand der Dorfbewohner veranlasste die Staatsorgane, ihn wieder frei zu lassen. Vor einem Jahr hatten sog. Sicherheitskräfte, wobei es sich um Geheimdienstmitarbeiter und Bodyguards von Karsei und seiner Entourage handelte, große Ländereien in der Umgebung von Schina und dem Nachbardorf Nau Abad einfach beschlagnahmt und darauf schöne Luxushäuser gebaut. Wohnen konnten sie jedoch dort nicht allzu lange. Der politisch orientierte Widerstand hat sie buchstäblich vertrieben, berichtete mir Ing. Hamid, ein Dorfbewohner. Die Häuser werden nun entweder vermietet oder versilbert.


Bereicherung und Armut, Elend, Schikane und Lebensgefahr

Haji Nabi Khalili, der Bruder des 2. Vizepräsidenten wurde mit der Amtsübernahme der Karsei-Administration beauftragt, im Daschte Bartische (eine riesige Steppe) im Westen von Kabul, etwa zwei Kilometer entfernt vom Darulaman Palast, für Kriegsversehrte eine Unterkunft zu bauen. Nachdem Planung und Infrastruktur abgeschlossen waren, hat Khalili einen Bauplan entwickelt und das Land durch Verkauf an Privatpersonen für sich vergoldet. Seitdem wird das entstandene Städtchen sogar nach ihm benannt. Dies berichtete mir Karimulla, ein LKW-Fahrer, der lange Zeit dort gearbeitet hatte.

Vor drei Jahren hatte ich auf dem Markt in Peschawar einen Tagelöhner fotografiert. Mit ihm war auch ein großer, gut aussehender und gepflegter Anstreicher, der unbedingt einen Abzug seines Fotos haben wollte. Als ich ihn in diesem Jahr wieder aufsuchte, um ihm das versprochene Bild zu geben, war er nicht mehr da. Ein Tagelöhner gab an, dass er nun auf einem anderen Platz stünde und er werde ihn benachrichtigen. Am nächsten Tag kam er mit einem jungen Begleiter. Er sah schlecht, stark verändert und sehr ungepflegt aus, so dass ich ihn kaum wiedererkannte. Als ich ihm sein schönes Foto überreichte, strahlte er über das ganze Gesicht. Ich fragte, wer der junge Mann sei? Mein Sohn, antwortete er. Ob er in die Schule ginge, fragte ich weiter? Nein, ich kann mir nicht leisten, ihn zur Schule zu schicken. Das schmerzt mich bis heute noch so sehr, dass ich bedauere, ihn das gefragt zu haben.

Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0

Der Anstreicher auf dem Markt in Peschawar im Februar 2010, als es ihm noch besser ging. Als der Autor 2013 wieder nach ihm fragte, um ihm dieses Foto zu bringen, erschrak er über sein Aussehen und seinen schlechten Zustand. Im Bild ist er zusammen mit anderen Tagelöhnern zu sehen, die ihre Arbeit anbieten. Manchmal sitzen sie den ganzen Tag und niemand holt sie ab, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Links vom Anstreicher dessen Sohn, der aus Armut keine Schule besuchen konnte.
Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0

Am 20. März berichtete Tolo-TV über das schlechte Jahr 1391 (2012/13) für afghanische Journalisten. Sie werden durch Regierungspersonal und Geheimdienstmitarbeiter geschlagen, gefoltert und gar getötet, wenn sie sich trauen, kritisch zu berichten. Aber auch die religiöse Opposition und die Besatzer gehören zu ihren Feinden, berichtete ein westlicher Journalist, der am Hindukusch einheimische Kollegen ausbildet.

Am 27. März 2013 hat mich mein vertrauter Taxifahrer Faiz Mohammad zum Flughafen gefahren. Seine erste Frage war, ob ich am 15. März im afghanischen Fernsehen den Bericht über Mohammad Omar, einen 60 Jahre alten Straßenkehrer gesehen hätte. Er war von einem im Haus Nr. 6 im Kabuler Stadtteil Makrorian wohnenden mächtigen Mann, einem Abgeordneten oder so, aufgefordert worden, seinen Privatmüll zu entsorgen. Als er das etwas später machen wollte, kam es zu Streit und einer Messerstecherei, wobei Omar am Kopf tödlich verletzt wurde.

Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0

Tagelöhner mit einer Drahtspirale zum Reinigen von Rohren und Toiletten. Es fällt auf, dass der Mann eine Zeitung in der Hand hält, d.h. er ist des Lesens fähig. Offensichtlich hat er Qualifikationen, die er beruflich nicht verwenden kann. Und so muss er sich als Tagelöhner verdingen, um seine Familie zu ernähren. Er sitzt hier den ganzen Tag in der Hoffnung, dass es irgendwo ein verstopftes Klo gibt, das er reinigen kann. Um ein bisschen Geld zu verdienen, um sich über Wasser zu halten. Es handelt sich also um ein interessantes Foto, wenn man die ganzen Umstände kennt.
Quelle: Matin Baraki, www.forumaugsburg.de CC BY-NC 3.0


Besatzung auf unabsehbare Zeit

Auf dem Weg zu Flughafen erzählte mir der Taxifahrer dann von einer Reise seines Sohnes von Peschawar nach Kabul. Da die Hauptstraße zum Khyber-Pass gesperrt war, musste er einen Umweg über die afghanische nordöstliche Provinz Kapisa, einem französischen Haupteinsatzgebiet fahren. "Ich hatte von den Taleban gehört, aber jetzt habe ich sie zum ersten Mal erlebt, wie sie bei der Ortschaft Tagab an ihre Checkpoint selbst afghanische Regierungsbeamte kontrollierten". Trotzdem werde aus Afghanistan kein Talibanistan werden, meinte er.

Als am 26. März 2013 der US-Außenminister John Kerry heimlich Kabul besuchte, traf er sich mit einigen wichtigen, handverlesenen Warlords, darunter Mohammad Jonus Qanuni von der Nordallianz, einem Vertreter der sog. Zivilgesellschaft und der Parlamentsabgeordneten Shokria Barakzei, einer 100%igen Verteidigerin der US-Interessen in Afghanistan. Die USA werde keinen Präsidentschaftskandidaten unterstützen, behauptete Kerry, aber faktisch werden die politischen und militärischen Entscheidungen gleichwohl nicht in Kabul, sondern in Washington getroffen. Unabhängig davon, ob es den afghanischen Patrioten nun gefällt oder nicht, wird das Land am Hindukusch auf unabsehbare Zeit ein Militärprotektorat der NATO-Länder, vor allem der Vereinigten Staaten bleiben. Die kolonialähnlichen Verträge, die die NATO-Länder in Kabul durchgesetzt haben, sprechen eine zu deutliche Sprache.

Dazu zählen nicht nur das jetzige so genannte Sicherheitsabkommen mit den USA oder der Vertrag mit der NATO im Jahr 2010, sondern auch ein Geheimvertrag mit den USA aus dem Jahr 2003, der noch vor der Wahl des ersten Parlaments in Afghanistan - also ohne dessen Zustimmung - geschlossen wurde. Dazu zählt auch ein bilateraler Vertrag mit Deutschland aus dem Jahr 2012.(2)



Matin Baraki, im Februar/März 2013

Erstveröffentlichung in gekürzter Form bei INAMO, Berlin, Jg. 19, Nr. 75 (Herbst 2013)


Anmerkungen:

(1) In seinen Beobachtungen in Afghanistan von 2011 schrieb Matin Baraki hierzu: ... Da jeder dritte Soldat der afghanischen Nationalarmee desertiert, meistens im Süden und Osten des Landes, sind sich die Kabuler USMarionetten nicht sicher, sich ohne US-Armeepräsenz in Afghanistan an der Macht halten zu können. Der ehemalige Gouverneur von Herat, Warlord Ismael Khan, seit etwa einem Jahr geschäftsführender Minister für Energie und Wasser, ist gegen eine dauerhafte US-Militärpräsenz in Afghanistan. "Karsai soll keine Angst haben, ohne US-Militärschutz weggefegt zu werden. Eine Entscheidung für eine dauerhafte US-Präsenz hingegen sollte auf einer nicht bestellten und nicht handverlesenen Loya Jerga entschieden werden", sagte er am 15. März 2011 auf einer Kundgebung in Herat. ...
Aus: Beobachtungen in Tschuristan: Wir leben nicht in Afghanistan, sondern in "Tschuristan", d. h. ein Ort des Raubes, meinte Ahmad Farid, Von Matin Baraki, 4.6.2011, S. 2
http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Nahmittelost/110604_beobachtungen-afghanistan/artikel.pdf

(2) 2001 ist die US-Koalition in Afghanistan einmarschiert, 2003 sollten Parlamentswahlen stattfinden. Noch vor diesen Wahlen organisierte Karsei eine so genannte nationale Konferenz, zu der er 100 Leuten aus seiner Entourage einlud. Dort wurde ein geheimer Vertrag mit den USA geschlossen, dass die USA für 99 Jahre in Afghanistan bleiben können. Seit dem wurden haufenweise, zum Teil bilaterale Verträge zwischen NATO-Staaten und Afghanistan geschlossen, die im Grunde kolonialen Charakter haben. Im Jahr 2010 wurde auf der NATO-Tagung in Lissabon eine Erklärung von Generalsekretär Rasmussen und Karsei unterschrieben, dass die NATO in Afghanistan bleiben kann, gehen kann, kommen kann und machen kann, was sie Lust hat.

Auch Deutschland hat mit Afghanistan am 16. Mai 2012 einen bilaterales Abkommen geschlossen. Siehe
http://www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/617518/publicationFile/168407/120516-Dt-Afgh-Partnerschaftsabkommen.pdf

Es ist eine Art Rahmenabkommen, das noch näherer Vereinbarungen bedarf. Der Geist eines deutschen Besatzungsregimes ist schon im Rahmenabkommen spürbar. So schreibt das Auswärtige Amt über die Verpflichtungen Afghanistans ganz im Stile eines Kolonialherrn:

" ... Das Abkommen regelt die Beziehungen zu Afghanistan langfristig, insbesondere während der Transformationsdekade (2015 bis 2024). Thematisch umfasst das Regierungsabkommen alle wichtigen Bereiche der bilateralen Beziehungen Deutschlands mit Afghanistan. Die Vereinbarung legt fest, dass eingegangene Verpflichtungen, insbesondere zur Verwirklichung der gemeinsamen Werte der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, zur Einhaltung der Prinzipien guter Regierungsführung, zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Korruptionsbekämpfung durch die afghanische Seite umzusetzen sind. Der Text wurde unter Federführung des Auswärtigen Amts, unter Beteiligung aller betroffenen Bundesministerien und über die ständige Vertragskommission der Länder mit der afghanischen Seite gemeinsam ausgearbeitet. Beide Länder haben das Partnerschaftsabkommen ratifiziert. Erste Gespräche zur Implementierung wurden im Februar 2013 in Kabul geführt." "Auswärtiges Amt - Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland", März-2013. [Online]. Verfügbar unter:
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Afghanistan/Bilateral_node.html. [Zugegriffen: 28-Okt-2013].

Man muss dazu wissen, dass Deutschland unabhängig von diesem bilateralen Abkommen mit Afghanistan auf jeden Fall Besatzungsmacht bleibt und als NATO-Mitglied auf Basis des oben angesprochenen Abkommens mit der NATO in Afghanistan operieren kann. Unter Berufung auf das NATO-Abkommen von 2010 hat auch Deutschland völlig freie Hand in Afghanistan. Dennoch muss man auch die weitere Ausarbeitung des bilateralen Abkommens Deutschlands mit Afghanistan im Auge behalten.

Die aktuellen, großangelegten Verhandlungen Afghanistans mit den USA über einen Vertrag heben weder den Geheimvertrag von 2003 noch den NATO Vertrag von 2010 auf, sondern sind laut Matin Baraki als ergänzende Verträge zu sehen. Darin will die USA vor allem für sein Personal in Afghanistan Immunität durchsetzen, d.h. das das US-Militär in Afghanistan nicht von der afghanischen Justiz belangt werden kann. Außerdem besteht die USA darauf, dass sie ihre zukünftigen Aktionen in Afghanistan nicht mit der afghanischen Regierung bzw. den afghanischen Behörden absprechen muss. Dabei geht es vor allem auch um die brutalen, nächtlichen Razzien, die das US-Militär weiterhin unbehelligt durchziehen will.

Außerdem wollen die USA etwa acht große Stützpunkte haben, was natürlich eine ganz andere Dimension hat als die Abmachungen Deutschlands mit Afghanistan. Diese gravierenden Dinge haben die USA in dem neuen so genannten Sicherheitsabkommen bereits durchgesetzt. Karsei ziert sich aber noch, es zu unterschreiben. Knut Mellenthin schreibt in der jungen Welt vom 22. November unter der Überschrift "Verdammt in alle Ewigkeit. Vertrag soll NATO-»Militärpräsenz« in Afghanistan bis mindestens 2024 erlauben" noch Folgendes: "Im Abkommen wird zwar darauf hingewiesen, dass die USA versprochen hätten, afghanisches Territorium nicht als »Ausgangspunkt für Angriffe gegen andere Länder« zu nutzen. Das wird aber durch mehrere Vertragspunkte erheblich relativiert, die grundsätzlich - wenn auch unter der Voraussetzung einer Zustimmung Kabuls - »militärische Reaktionen« gegen »Aggressionen von außen oder die Gefahr äußerer Aggressionen« zulassen. Allgemein wird angenommen, dass die USA auf dieser Basis zumindest ihre Drohnenangriffe gegen Ziele in Pakistan auch nach Ende 2014 fortsetzen können." [Anmerkungen der Redaktion auf Grundlage von Informationen Matin Barakis]


Quelle des Originaltextes:
www.forumaugsburg.de
Der Beitrag ist als PDF-Datei herunterladbar unter:
http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Nahmittelost/131208_beobachtungen-in-afghanistan-2013/artikel.pdf

*

Quelle:
© 2013 by Matin Baraki
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2014