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BERICHT/1036: Urteil im Fall Cap Anamur - Lebensretter freigesprochen! (ILMR)


Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR) - FIDH/AEDH Deutschland - 07.10.09

Urteil im Fall Cap Anamur: Italienisches Gericht spricht Lebensretter frei!

Stellungnahme des Liga-Vorstands zum Urteil im Fall Cap Anamur vom 7. Oktober 2009


Stefan Schmidt, früherer Kapitän der 'Cap Anamur', wurde heute zusammen mit dem Journalisten und ehemaligen Vorsitzenden des Hilfskomitees "Cap Anamur", Elias Bierdel, und dem 1. Offizier des Schiffes, Vladimir Daschkewitsch, von einem Strafgericht in Agrigent/Sizilien freigesprochen. Die Angeklagten hatten im Juni 2004 insgesamt 37 Menschen gerettet, die als Flüchtlinge vor der italienischen Küste in Seenot geraten waren. Die italienische Staatsanwaltschaft hatte den drei Lebensrettern in einem skandalösen Strafverfahren deshalb "bandenmäßige Beihilfe zur illegalen Einreise in besonders schwerem Fall" vorgeworfen.

Der Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte hat diese Freisprüche mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen. Für die Rettungstat zeichnet die Liga Kapitän Schmidt mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille aus, die anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte (10.12.) am 13.12.09 in Berlin im Haus der Kulturen der Welt verliehen wird. Zusammen mit Stefan Schmidt wird Mouctar Bah geehrt. Er hat sich intensiv für die Aufklärung der Umstände des qualvollen Verbrennungstodes seines Freundes Oury Jalloh im Dessauer Polizeirevier am 7.01.05 engagiert.

"Das Urteil des italienischen Gerichts ist eine schallende Ohrfeige für die italienischen Strafermittler und Ankläger. Wir fordern nun eine vollständige Rehabilitierung der Betroffenen!", so die Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Prof. Fanny-Michaela Reisin. "Das Recht auf Flucht und Asyl ist ein elementares Menschenrecht." Das seit Jahrhunderten überlieferte und bewährte Seerecht gebietet die Rettung von Menschen, die auf hoher See in Not geraten. Die Missachtung elementarer humanitärer Gebote und universeller Menschenrechte durch die italienische Staatsanwaltschaft ist das beklagenswerte Resultat der EU-Flüchtlingspolitik. Europa wird mehr und mehr zu einer Festung gegen Flüchtlinge und Migranten ausgebaut. Eine Kehrtwende ist jetzt überfällig.

Die Liga verzeichnet nach wie vor mit Besorgnis, dass Lebensrettung in Italien und in den Anrainerstaaten des Mittelmeeres nicht mit Verdienstorden für Zivilcourage und Menschlichkeit, sondern mit Kriminalisierung und Strafverfahren quittiert wird. So ergeht es nach wie vor dem tunesischen Fischer, Abdel Zenzeri, der im August 2007 insgesamt 44 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet hatte. Dafür forderte die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Agrigent - ähnlich wie im Verfahren gegen Stefan Schmidt und Elias Bierdel - dreieinhalb Jahre Haft und 440.000 Euro Geldstrafe. Das 11.000 Euro teure Boot wurde von den italienischen Ermittlungsbehörden als "Tatwerkzeug" beschlagnahmt. Der Fischer hat damit die Existenzgrundlage für sich und seine Familie verloren. Sein einziges Vergehen: Menschen vor dem Ertrinken gerettet zu haben. "Ein solch willkürliches Vorgehen ist nicht hinnehmbar", erklärt die Liga-Präsidentin: "Abdel Zenzeri braucht unsere Solidarität und verdient eine Wiederherstellung nicht nur seines Rufs, sondern seiner Existenz!"

Die Abschottungspolitik der Europäischen Union fordert Opfer unter Menschen aus zahlreichen Regionen der Welt, die vor politischer Unterdrückung, vor Krieg und Armut fliehen. Nicht außer Acht gelassen werden darf dabei, dass Europa gegenüber Flüchtlingen und Migranten aus Afrika nicht nur eine aus den Kolonialvergehen resultierende Bringschuld hat, sondern auch Verantwortung trägt wegen der verheerenden Folgen der Agrar- und Wirtschaftspolitik der EU auf dem afrikanischen Kontinent. Millionen Menschen werden damit ihrer Lebensgrundlage in ihren Heimatländern beraubt.

"Zu fordern ist ein grundlegendes Umdenken der EU. Die Wirtschaftspolitik muss davon abkommen, den hemmungslosen Raubbau an Ressourcen - weltweit und speziell in Afrika - zu stützen. Die Sozialpolitik muss Zufluchts- und Migrationswege nach Europa schaffen und schützen", so das Fazit des Liga-Vorstandes.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 07.10.2009
InternationaIe Liga für Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Tel.: 030 - 396 21 22, Fax: 030 - 396 21 47
E-Mail: vorstand@ilmr.de
Internet: www.ilmr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2009