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AUFRUF/075: Kurdische Frauen wollen keinen Krieg (Cenî)


Kurdisches Frauenbüro für Frieden - Cenî e.V. - 22. August 2011

Kurdische Frauen wollen keinen Krieg
- sondern Demokratische Autonomie und die Anerkennung ihres Status!

Aufruf zur Kundgebung am 22.08.2011 um 15 Uhr vor dem UNO-Informationszentrum in Bonn


Seit den Abendstunden des 16. August 2011 bombardiert die türkische Luftwaffe ununterbrochen die Grenzregionen Südkurdistans (im Nordirak). Das türkische Militär erklärte am dritten Tag der Luftangriffe, am 19. August, dass sie in den Gebieten Kandil, Haftanin, Xakurkê und Gare insgesamt 20.000 Ziele getroffen habe. Durch die Bombardier-ungen wurden massive Waldbrände ausgelöst, Viehherden getötet, Ackerflächen, Brücken und Häuser zerstört. Bei den Luftangriffen auf das Kandil-Gebiet wurden u.a. zwei zivile Fahrzeuge getroffen, wobei sieben Angehörige einer Familie ums Leben kamen: Hasan Mustafa Hasan (Vater), Mer Haci Mam (Mutter), Solin S,emal Hasan (6 Monate), Sonya S,emal Hasan (4 Jahre), Oskar Hüseyin (10 Jahre), Zana Hüseyin Mustafa (11 Jahre) und Rezan Hüseyin Mustafa (34 Jahre). Die Körper der Opfer wurden durch den Angriff in Stücke gerissen. Der Bürgermeister des Dorfes Zergele, aus dem die getötete Familie stammte, wurde ebenfalls Ziel der Luftangriffe. Er berichtete gegenüber dem kurdischen Fernsehsender ROJ TV: "Wir haben bereits die chemischen Angriffe Saddams miterlebt. Und jetzt erleben wir die Luftangriffe der Türken und den Raketenbeschuss der Iraner."

Durch die Angriffe, die mit der Kenntnis und der Erlaubnis des Irans, des Iraks, der südkurdischen Regionalregierung und der USA durchgeführt werden, wird beabsichtigt, die Zivilbevölkerung zur Auswanderung zu zwingen. Aus diesem Grund werden zivile Opfer billigend in Kauf genommen. Schon mit einer völkerrechtswidrigen, grenzübergreifenden Militäroffensive der iranischen Armee, die am 16. Juli 2011 begann, sollte die Bevölkerung verunsichert und vertrieben werden. Die Bevölkerung weigerte sich jedoch, ihre Dörfern zu verlassen. Einen Monat später begannen die schweren Bombenangriffe der türkischen Luftwaffe. Es gibt die Vermutung, dass mit der Vertreibung der Zivilbevölkerung ein "problemloser" Einsatz von chemischen Waffen vorbereitet wird. Bislang wurden sieben Dörfer geräumt, dutzende Dorfbewohner haben bereits ihre Ortschaften verlassen. Die irakische Regierung in Bagdad stellte ihre Unterstützung für die Pläne des türkischen Staates, welche selbst für ihr neues Angriffskonzept das "Modell Sri Lankas" als Vorbild sieht, offenkundig unter Beweis. So soll die irakische Regierung jedem Zivilisten, der bereit ist sein Zuhause im Kandil-Gebiet zu verlassen, eine Geldsumme von etwa 17.600 Euro, angeboten haben. Desweiteren kündigte die irakische Regierung an, insgesamt 170 Dörfer in und um das Kandilgebiet zu räumen.

Die Luftangriffe in Südkurdistan und die breit angelegten militärischen Operationen in Nordkurdistan/Türkei werden von einer anti-kurdischen rassistischen Hetze in den türkischen Medien begleitet. Während sich die Initiativen der Friedensmütter aus verschiedenen kurdischen Städten als "lebende Schutzschilde" auf den Weg in die Operations-gebiete machte, werden die andauernden Protesten gegen die Luftangriffe mit brachialer Polizeigewalt und Massenfestnahmen beantwortet. Der Gouverneur von Istanbul erklärte kurzerhand den Taksim-Platz, auf dem Proteste gegen die Militäroperationen der türkischen Armee angemeldet worden waren, zum "Ausnahmezustandsgebiet". Tausende von AktivistInnen für Frieden, Demokratie und Frauenrechte - unter ihnen sechs kurdische Parlamentsabgeordnete - sind in türkischen Gefängnissen inhaftiert. Weiterhin finden Verhaftungen, Angriffe und Massenprozesse statt; KurdInnen werden ihrer elementaren Rechte beraubt.

Hinter den Angriffen auf die kurdische Bevölkerung steht die Absicht des türkischen Staates und seiner Verbündeten, die kurdische Freiheitsbewegung und die Hoffnung auf ein Leben jenseits von staatlicher und patriarchaler Herrschaft zu zerschlagen. Denn während die türkische Regierung den Dialog für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage verweigerte, hält die kurdische Bevölkerung an ihrer Lösung fest: Mit dem Aufbau von demokratisch-ökologischen Selbstverwaltungsstrukturen und der Demokratischen Autonomie entstand in den kurdischen Gebieten eine faktische Alternative zu der staatlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik. Diese legitime Lösung soll nun mit Bomben zerschlagen werden. Folglich ist es kein Zufall, dass die iranisch-türkischen Militäroffensive nur einen Tag nach der Ausrufung der Demokratischen Autonomie begann, zu der sich 850 Delegierte des Demokratischen Gesellschaftskongresses in der kurdischen Stadt Amed (Diyarbakir) zusammengefunden hatten.

Die Demokratische Autonomie bedeutet die Bildung einer Föderation selbstorganisierter Kommunen in Kurdistan nach den Prinzipien der Basisdemokratie, Ökologie und Geschlechterbefreiung. Sie garantiert ihren Bürgerinnen und Bürgern grundlegende Rechte wie das Recht auf die eigene Identität und Muttersprache, was ihnen durch den türkischen Staat vorenthalten wird. Deshalb wählen wir als kurdische Frauen die Demokratische Autonomie, in der wir uns selbst artikulieren und unsere Interessen vertreten können.

Wir fordern die Gremien der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Bundesregierung auf, unsere Wahl für die Demokratische Autonomie im Rahmen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker anzuerkennen und sich für eine sofortige Beendigung des Krieges gegen die kurdische Bevölkerung einzusetzen!

Wir fordern die Anerkennung unserer Identität und unserer politischen, demokratischen Rechte als Kurdinnen!

Kurdisches Frauenbüro für Frieden - Cenî e.V.

Düsseldorf, 22. August 2011


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Quelle:
Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
Corneliusstr. 125, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211 5989251 - Fax 0211 5989253
E-Mail: ceni_frauen@gmx.de
Internet: www.ceni-kurdistan.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2011