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NAHOST/361: Religiöse Vielfalt im Nahen Osten - 90 Prozent der Christen geflüchtet oder vertrieben


Gesellschaft für bedrohte Völker - Pressemitteilung vom 12. Dezember 2019

Religiöse Vielfalt im Nahen Osten

90 Prozent der Christen geflüchtet oder vertrieben


In Deutschland und Europa bereiten sich viele Christen in Frieden und Freiheit auf das Weihnachtsfest vor. "Christliche Gemeinschaften besonders in islamisch geprägten Ländern werden dieses wichtige Fest hingegen nicht in Frieden begehen können", befürchtet Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. "In Syrien und dem Irak, die seit Jahren von Chaos und Bürgerkriegen erfasst sind, fühlen sich die wenigen verbliebenen Christen immer unsicherer - und auch andere nicht-muslimische Volksgruppen wie Yeziden, Mandäer oder Baha'i stehen unter Druck." Fehlende Staatsordnung und marodierende islamistische Milizen seien die Hauptgefahren für Christen in diesen Ländern.

Im Sommer 2019 lebten im Irak weniger als 150.000 Christen - verglichen mit 1,5 Millionen, bevor die USA 2003 einmarschierten. "Innerhalb von einer Generation schrumpfte die christliche Bevölkerung also um 90 Prozent", erklärt Sido. "Das gleiche Phänomen zeigt sich in Syrien: Mitte des Jahres 2017 gab es schätzungsweise unter 500.000 syrische Christen, verglichen mit mehr als 1,5 Millionen vor Beginn des Konflikts im Jahr 2011." Diese Massenauswanderung der Christen habe ihren Höhepunkt zwischen 2017 und 2018 erreicht.

Nach der Zerschlagung des sogenannten Islamischen Staates (IS) im Norden und Osten Syriens durch die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) hatte sich die Situation für religiöse Minderheiten in Teilen Syriens und Iraks zunächst verbessert. "Durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien und die wiederholten Luftangriffe des NATO-Landes auf kurdische Stellungen im Irak sind nun viele Schläferzellen des IS aktiv geworden", so der Nahostexperte. Bombenanschläge mit vielen zivilen Opfern hätten wieder zugenommen.

Während die Türkei radikale sunnitische Milizen unterstütze und finanziere, erhielten schiitische Milizen Hilfe vom Iran. "Diese Gruppen sind zwar untereinander verfeindet; einig sind sie sich jedoch bei der Verfolgung von Christen, Yeziden, Mandäern, Baha'i und Juden", erklärt Sido. "In Syrien betrachten die von der Türkei unterstützen sunnitischen Islamisten selbst die muslimische kurdische Bevölkerung als Feinde des Islam, weil die meisten Kurden das Scharia-Recht strikt ablehnen." All das führe zu Flucht und Auswanderung.

Durch die fortgesetzte Unterdrückung und Verfolgung, gezielte Entführung und Ermordung von Christen im Irak und in Syrien sei das christliche Leben in diesen Ländern stark bedroht. Viele Christen sprächen von einem neuen Genozid. "Sie erwarten von den großen christlichen Kirchen in Deutschland, Europa und Amerika mehr Beistand und Solidarität. Es braucht Druck auf die Politik, damit endlich konkrete Konzepte für eine friedliche Lösung auf den Tisch kommen", meint Sido. "Nur dann wird sich die Lage der Christen und anderer Volksgruppen in der Region verbessern und die Flucht und Auswanderung enden."

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Quelle:
Pressemitteilung vom 12. Dezember 2019
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2019

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