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NAHOST/265: Vor Ägypten-Reise - Bundeskanzlerin umwirbt autoritäre Staatsführung mit Video-Botschaft


Presseerklärung vom 26. Februar 2017

Vor Ägypten-Reise: Bundeskanzlerin umwirbt autoritäre Staatsführung mit Video-Botschaft

Merkels Lob für Christen-Politik schadet Kopten und Menschenrechten


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, Ägyptens autoritäre Staatsführung zu hofieren, um das Land zu mehr Kooperation in Flüchtlings- und Migrationsfragen zu bewegen. "Wenn die Bundeskanzlerin Ägypten für seine angeblich beispielhafte Christen-Politik lobt, dann ist dies ein Schlag ins Gesicht der Kopten. Denn Ägyptens Christen leiden auch unter Staatspräsident Abdel Fatah al Sisi noch immer unter Diskriminierung, Willkür und Straflosigkeit", erklärte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Sonntag in Göttingen. "Die tatsächliche Lage der Kopten ist sehr viel schlechter als ihre vermeintlich positive rechtliche Situation erwarten lässt. Statt sich für eine Verbesserung der Lage der Christen einzusetzen, nutzt Merkel die Kopten-Frage, um die katastrophale Menschenrechtsbilanz Ägyptens zu beschönigen. Dies schadet sowohl den Kopten als auch grundsätzlich dem Respekt der Menschenrechte in Ägypten."

Die Bundeskanzlerin reist am Donnerstag zu einem Besuch nach Ägypten und wird dort von Staatspräsident al Sisi empfangen, mit dem sie über mehr Kooperation in Migrations- und Flüchtlingsfragen sowie über wirtschaftliche Beziehungen und regionale Stabilität sprechen will. Die Bundesregierung hatte mehrfach in den letzten Monaten die große Bedeutung Ägyptens bei der Eindämmung von Flucht und Migration aus Afrika betont. Auch wird Merkel mit dem koptischen Papst Tawadros II. zusammentreffen. In einer am Samstag verbreiteten Video-Botschaft hatte die Bundeskanzlerin ausdrücklich die Unterstützung von Ägyptens Regierung für die Kopten gewürdigt und erklärt, die Freiheit zur Religionsausübung für Kopten sei "beispielhaft" für ein muslimisch geprägtes Land.

"Der jahrelange Streit um ein im September 2016 ratifiziertes Gesetz zur Regelung des Neubaus und der Renovierung von Kirchen zeigt, wie ungleich die Behandlung von Christen und Muslimen in Ägypten ist", erklärte Delius. So kann der Neubau von Kirchen auch weiterhin willkürlich von Gouverneuren abgelehnt werden, wenn dadurch der soziale Frieden gestört werden könnte. Auch ist im Falle einer Ablehnung kein Rechtsweg vorgesehen. Willkürlich ist auch die Prüfung durch die Behörden, ob die Kirchgemeinden eine angemessene Zahl von Gläubigen nachweisen können, um einen Neubau zu rechtfertigen. Im Alltag bleiben die meisten Übergriffe auf Kopten strafrechtlich ungesühnt. "Viele Kopten sehen sich daher als rechtlos und Bürger zweiter Klasse an", erklärte Delius. Ägyptens Behörden empfehlen Christen oft bei Streitfällen, nicht auf der Durchsetzung ihrer Rechte zu beharren, sondern Muslimen Vorrang zu geben. Auch in Gesellschaft, Politik und Armee werden Kopten bei der Besetzung von Führungspositionen diskriminiert. Die Kopten stellen rund 10 Prozent der Bevölkerung Ägyptens.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 26. Februar 2017
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2017

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