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NAHOST/207: Libyen - Deutschlands viertwichtigstem Öl-Lieferanten droht Zerreißprobe


Presseerklärung vom 29. September 2013

Deutschlands viertwichtigstem Öl-Lieferanten droht Zerreißprobe

Libyens Süden will Autonomie ausrufen - Fezzan beklagt Diskriminierung und Vernachlässigung



Zwei Jahre nach dem Sturz Diktator Gaddafis droht Libyen eine Zerreißprobe. Denn Älteste der Volksgruppen der Tuareg, Toubou und Araber im ölreichen Süden des Landes wollen in der kommenden Woche die Autonomie ihrer Region, des Fezzan, ausrufen. Dies erklärte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Sonntag in Göttingen. "Wenn Deutschland seinen Öl-Lieferanten Libyen nicht verlieren will, dann muss es sich mehr einsetzen für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung in Süd-Libyen", warnte der GfbV- Afrikareferent Ulrich Delius. "Denn wenn der Streit um eine Föderalisierung Libyens weiter eskaliert, wird auch der Öl-Export beeinträchtigt werden." Deutschland bezieht 9% seines Erdöls aus dem nordafrikanischen Land, das sein viertgrößter Öl-Lieferant ist.

Rund 120 Vertreter von Tuareg, Toubou und Arabern hatten letzten Donnerstag in der Stadt Obari (Süd-Libyen) über Perspektiven für eine Selbstverwaltung des Fezzan beraten. Auf einer Konferenz in der kommenden Woche soll die Autonomie des Fezzan schließlich formell ausgerufen werden, sollte sich die Regierung Libyens nicht kompromissbereit zeigen. In Europa bewährte Autonomie-Modelle werden von arabischen Nationalisten in Libyen abgelehnt, da sie ein Auseinanderfallen des Landes befürchten. Eine Föderalisierung wollen sie um jeden Preis verhindern.

Tuareg, Toubou und Araber aus Süd-Libyen fordern mehr politische Mitsprache sowie eine stärkere Beteiligung an den Gewinnen aus der Öl-Industrie. Denn ihre Region ist wirtschaftlich unterentwickelt und Jahrzehntelang vernachlässigt worden. Tuareg und Toubou kritisieren, dass sie mit jeweils zwei Vertretern nur unzureichend in der Verfassunggebenden Versammlung Libyens vertreten sein werden. Die Tuareg werfen den Behörden Rassismus vor, weil die Einbürgerung von 14.000 seit Jahrzehnten in Süd-Libyen lebenden Tuareg verweigert wird.

Im Fezzan leben sowohl Tuareg als auch Toubou und arabische Gruppen. Alle kritisieren Recht- und Gesetzlosigkeit, die seit dem Sturz Gaddafis in Süd-Libyen weit verbreitet sind. So ist die Armee kaum präsent, die Polizei traut sich in viele Stadtviertel und Dörfer nicht mehr hinein, die von Milizen oder kriminellen Banden kontrolliert werden. Richter weigern sich aus Angst vor Racheakten, Angeklagte vor Gericht zu verurteilen.

In den letzten Monaten war die Öl-Ausfuhr Libyens mehrfach aufgrund von Streiks und Bohrfeld-Besetzungen zum Erliegen kommen. Unter anderem hatten auch Toubou und Tuareg in Süd-Libyen Bohrfelder besetzt. Der Fezzan mit seinen Öl-Förderstätten nahe Obari und im Murzuk-Becken gilt neben dem Osten des Landes als bedeutendste Ölreserve. Auch in der im Osten des Staates gelegenen Cyrenaika nimmt der Ruf nach "Selbstbestimmung" weiter zu. Im Juli 2013 war in der Cyrenaika die "Unabhängigkeit und Selbständigkeit" proklamiert worden.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 29. September 2013
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2013