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EUROPA/490: Türkei - Hessen soll Partnerschaft mit Kurdenregion Diyarbakir eingehen!


Presseerklärung vom 6. November 2009

Appell an die hessische Landesregierung und alle Abgeordneten des hessischen Parlaments

Bitte setzen Sie ein Zeichen für den Frieden in der Türkei:
Entscheiden Sie sich für eine Partnerschaft mit der Kurdenregion Diyarbakir!


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Koch,
sehr geehrter Herr Minister Hahn,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

unsere Menschenrechtsorganisation begrüßt die Initiative des Landes Hessen, Eine Partnerschaft mit einer Region in der Türkei einzugehen. Wir wären dankbar, wenn es in dieser Angelegenheit zu einer gemeinsamen überparteilichen Entscheidung käme. Sie reisen zu einer Zeit in die Türkei, in der sich Regierung, Medien, Parlament und zivilgesellschaftliche Institutionen endlich um die Lösung des Kurdenproblems bemühen, das zu so vielen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hat. Das Land Hessen könnte gerade in dieser Frage ein Zeichen für den Frieden setzen, für den sich auch europäische Institutionen wie die Europäische Union und der Europarat einsetzen.

Ökonomisches und politisches Zentrum der etwa 15 Millionen Kurden in der Türkei ist die Stadt Diyarbakir in Südostanatolien. Durch den Zustrom kurdischer Flüchtlinge, die seinerzeit während des türkisch-kurdischen Krieges aus ihren Dörfern vertrieben wurden, ist die Einwohnerzahl dieser Stadt von 150.000 in den 70-er Jahren auf mehr als 666.000 (2007) angewachsen. In den 14 Landkreisen der gleichnamigen Provinz mit einer Fläche von 15.355 km² leben etwa 1,5 Millionen Menschen. Da die türkische Zentralregierung die gesamte mehrheitlich kurdisch besiedelte Region des Landes von Diyarbakir aus steuert, verfügt die Stadt über eine vergleichsweise gute Infrastruktur mit Flughafen, einer Universität und vielen anderen Institutionen.

Das Land Hessen könnte mit seinen vielfältigen Möglichkeiten die Entwicklung dieser ökonomisch interessanten Region mit den nahen Erdölreserven und der immer wichtiger werdenden Nachbarschaft zum Iran, Aserbeidschan und dem Irak und dort vor allem mit der wirtschaftlich prosperierenden autonomen Kurdenregion beflügeln. Gleichzeitig könnte Hessen besonders überzeugend auch für föderalistische Formen des Zusammenlebens verschiedener Sprachgruppen und Regionen in der Türkei werben. Schließlich haben in einer Reihe europäischer Staaten Formen der Selbstverwaltung von Gemeinden und Provinzen ethnische Konflikte gelöst und sogar blutige Auseinandersetzungen befriedet. In diesem Bereich könnten hessische Gemeinden, Gewerkschaften und Unternehmerverbände, aber auch viele andere Institutionen eine wichtige Rolle übernehmen.

Zwischen Diyarbakir und einigen hessischen Städten und Gemeinden bestehen bereits gute Kontakte. So besuchte eine Delegation von Kommunalpolitikern aus Gießen Anfang Mai 2009 einige kurdische und von assyro-aramäischen Christen bewohnte Dörfer der Region. Gerade für diese in der kurdischsprachigen Region ebenfalls ansässigen Christen könnte eine solche Partnerschaft segensreich sein.

Die im Ansatz bereits vielfältigen pluralistischen Initiativen der Region Diyarbakir brauchen eine freiheitliche Atmosphäre, um entsprechend wirken und wirksam werden zu können. Hoffnungen knüpfen alle seriösen kurdischen Politiker der Stadt und Region an eine derartige Partnerschaft zwischen Hessen und dieser Region der Türkei. So glaubt der amtierende Oberbürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir (38), dass die türkische Justiz dann von Repressalien gegen Personen und Institutionen Abstand nimmt und sich rechtsstaatliche Verhältnisse Stück für Stück durchsetzen. Dazu könnte Hessen ebenfalls beitragen. Dieser Oberbürgermeister, der der prokurdischen Partei DTP angehört, müsste übrigens 284 Jahre ins Gefängnis, würde in allen der gegenwärtig 200 laufenden Prozesse gegen ihn die Höchststrafe verhängt. Sein Vergehen: Er setzt sich für die friedliche Lösung der Kurdenfrage ein. Baydemir wurde im März 2009 mit 64% der Stimmen wiedergewählt. Im Übrigen könnte die Vielfalt der hessischen Parteien das parteipolitische Spektrum in der Region Diyarbakir weiter ausdifferenzieren.

Mit freundlichen Grüßen

Tilman Zülch,
Bundesvorsitzender

Kamal Sido,
Nahostreferent


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den Göttingen/Wiesbaden, den 6. November 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2009