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AKTION/180: Offener Brief - Alice Schwarzer verhöhnt Frauen in Burma


Presseerklärung vom 2. Juni 2008

Offener Brief an Frauenrechtlerin

Alice Schwarzer verhöhnt Frauen und Minderheiten in Burma


"Ich habe mit Einheimischen vor dem ersten Fernseher im Dorf gehockt und auf der Swedagon-Pagode die Sonne untergehen lassen ... und die Kraft der Wasserbüffel am Flussufer bewundert ... bin tagelang auf einem Dampfer den Irrawaddy runtergeschippert ... mit einheimischen Familien, Mönchen, Militärs und Hühnern, plus zwei alten amerikanischen Globetrottern ... doch habe ich nie Hunger oder wirkliches Elend gesehen ... "
Alice Schwarzer in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2008



Sehr geehrte Frau Schwarzer,

nichts gegen alternatives Reisen, nichts gegen "Wandervogel-Romantik". Aber warum nach dem Tod von 133.000 Kinder, Frauen und Männern, nach der Verweigerung von einheimischer wie internationaler Hilfeleistung dieser Reisebericht der deutschen Feministin Alice Schwarzer auf einer ganzen Seite der Frankfurter Allgemeinen? Warum dieses Plädoyer für die Politik der burmesischen Militärs, warum dieser Freispruch für ihr unmenschliches Handeln?

Burmas Generäle haben die Katastrophen-Hilfen systematisch behindert, das humanitäre Völkerrecht mit Füßen getreten und sie verüben seit Jahren Verbrechen gegen die Menschlichkeit und haben mit der Durchführung ihres Scheinreferendums den Tod von Zehntausenden in Kauf genommen.

Seit dem Wirbelsturm Nargis gelten 133.000 Menschen in Burma als tot oder vermisst. Nicht nur der regionale Beauftragte der Vereinten Nationen für Katastrophen-Hilfe Terje Skavdal verurteilte jegliche Form von Zwangsrückführung. "Es ist skrupellos von Burmas Generälen, Sturmopfer in ihre zerstörten Wohnorte zurückzubringen, ohne Obdach, Nahrung und sauberes Wasser, und dies bedeutet, diese geplagten Menschen geradezu in den Tod zu schicken und eine noch viel größere Katastrophe herbeizuführen", sagte auch der Asiendirektor von Human Rights Watch, Brad Adams, am 2. Juni 2008.

Das ist nicht der Zeitpunkt, antikolonialistische Kämpfe von vorgestern gegen britische Imperialisten zu führen oder die USA mit ihrer Organisation NED oder dem Geheimdienst CIA für die Verbrechen der Generäle Burmas verantwortlich zu machen. Es passt nicht zu Ihrem langjährigen Kampf für Frauenrechte und gegen Diskriminierung in Deutschland, Frau Schwarzer, über die Reise-Romantik die Vergewaltigungsverbrechen der Armee zu vergessen, die jahrelang als Kriegswaffe im Kampf gegen oppositionelle Nationalitäten benutzt wurden. Wurden nicht allein in den vergangen fünf Jahren mehrere tausend Frauen des Karen-Volkes gezielt missbraucht? Wurden in Burma, diesem Ihrem Urlaubsland, nicht allein 2006 mindestens 76.000 Angehörige ethnischer Minderheiten vertrieben und 109.000 im Osten des Landes zwangsumgesiedelt? Wurden nicht im gleichen Jahr 177 Dörfer der kleineren nicht-burmesischen Völker zerstört?

Sind in Thailand nicht mindestens 150.000 burmesische Flüchtlinge registriert, wobei sich dort Schätzungen zufolge 1,5 Millionen illegal aufhalten? Allein die Zahl Hilfe suchender Karen-Flüchtlinge ist dort um fast 60 Prozent auf 900 Neuankömmlinge pro Monat gestiegen. Zwei Drittel dieser Flüchtlinge sind Kinder. In Burma selbst leben nach offiziellen Angaben 500 000 Binnenflüchtlinge, die tatsächliche Zahl dürfte in Millionenhöhe liegen.

Die burmesischen Minderheiten werden seit Jahrzehnten Opfer schlimmster Verbrechen durch die Militärregierung: Misshandlungen, Vergewaltigungen, Dorfplünderungen und -zerstörungen, Enteignungen, und Vertreibungen. Diese willkürlichen Gewaltmaßnahmen sollen den Machterhalt des Unrechtregimes sichern.

Minderheitenverfolgung, totalitäre Diktatur und verweigerte Hilfeleistung für die eigene Bevölkerung in existenzieller Not. - dazu erklärte am 24. Mai 2008 Oxfam-Sprecherin Kate Conradt: "Wir haben schon einige Ausländer in Rangun, sie dürfen aber die Stadt nicht verlassen." Da sind Sie, Frau Schwarzer, für sich selbst optimistischer: "Ich jedenfalls freue mich auf meine nächste Burma-Reise und ich wünsche dem Land endlich Fortschritt aus eigener Kraft." Zehntausende der noch nach der Sturmflut Gestorbenen hätten sich sicher eine Rettung auch aus fremder Kraft gewünscht und auf die alternative Rundreise einer deutschen Feministin dann gerne verzichtet.

Mit freundlichen Grüßen
Tilman Zülch


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 2. Juni 2008
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2008