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GRUNDSÄTZLICHES/309: Hunger nach Land (ai journal)


amnesty journal 06/07/2013 - Das Magazin für die Menschenrechte

Hunger nach Land
Ausländische Investoren kaufen oder pachten in den ärmsten Ländern der Welt riesige Ackerflächen - und verdrängen damit Menschen, die ohnehin schon hungern.

Von Ramin M. Nowzad



Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Hunger in der Welt. Doch etwas anderes wird rar: fruchtbarer Boden. Agrarflächen gehen weltweit verloren, weil sie erodieren, auf ihnen Raubbau betrieben wird oder sie mit Beton zugepflastert werden. "Kaufen Sie Land, es wird keins mehr hergestellt", notierte einst der Spötter Mark Twain. Ackerland und Weideflächen sind heute so begehrt wie nie zuvor, der Handel floriert - ausgerechnet in den ärmsten Ländern der Erde, wo Äcker billig und Löhne mickrig sind.

Seit einigen Jahren liefern sich wohlhabende Staaten, private Unternehmer und windige Spekulanten einen wahren Wettlauf um die ertragreichsten Böden Afrikas, Asiens und Lateinamerikas - und verdrängen dort oft Menschen, die ohnehin schon hungern. "Landgrabbing" nennt sich der Trend, wörtlich übersetzt: "nach Land grabschen". Kritiker sprechen auch von "Landraub".

Die größten "Räuber" kommen aus den aufstrebenden Staaten Südostasiens, aus Indien, Nordamerika, Großbritannien oder den arabischen Golfstaaten - doch auch deutsche Investoren mischen mit. Einer der Auslöser für den globalen Landrausch war die Lebensmittelkrise, die vor fünf Jahren die Weltwirtschaft erschütterte. Im Jahr 2008 explodierten die Preise für Weizen, Reis, Milch, Soja und andere Nahrungsmittel. Es kam zu Versorgungsengpässen und Exportverboten, was so manche Regierung aufschreckte. Reiche Wüstenstaaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait kauften in der Folge insbesondere in Afrika riesige Landstriche auf, um ihre eigene Bevölkerung langfristig mit Getreide versorgen zu können. Das kleine Emirat Katar besitzt inzwischen mehr Agrarflächen im Ausland als innerhalb der eigenen Landesgrenzen.

Doch auch pures Profitstreben spielt beim Landraub eine Rolle. "Seit der Nahrungsmittelpreiskrise ist ein generelles Bewusstsein entstanden, dass mit Agrarprodukten Geld zu verdienen ist", sagt Constanze von Oppeln, Referentin für Ernährungspolitik bei der Deutschen Welthungerhilfe. Die Volksrepublik China etwa kauft oder pachtet fremden Boden nicht nur, um Chinesen zu ernähren, sondern auch, um die Ernte auf dem Weltmarkt feilzubieten. Ausländische Geschäftsleute bauen auf gepachtetem Land in Afrika energiereiche Pflanzen an, um die Tankstellen der Industrienationen mit Bio-Sprit zu versorgen. Und auch westliche Investmentfonds, Banken, Großkonzerne und private Finanzexperten haben das Ackerland der Dritten Welt als lukratives Spekulationsobjekt entdeckt. "Fruchtbarer Boden ist eine ganz neue Anlagemöglichkeit geworden, die in Zeiten unsicherer Finanzmärkte gute Rendite verspricht", so Constanze von Oppeln.

Der globale Landrausch hat in den vergangenen Jahren ein solches Ausmaß angenommen, dass unter Experten längst das Wort vom "Neo-Kolonialismus" die Runde macht. Doch niemand weiß, wie viel Land tatsächlich betroffen ist. Die Online-Datenbank "Land Matrix" dokumentiert, dass seit dem Jahr 2000 mindestens 48 Millionen Hektar an Investoren veräußert wurden. Dies sind allein die Landdeals, die das Netzwerk verifizieren konnte. Andere NGOs gehen sogar von mehr als 200 Millionen Hektar aus - eine Fläche, in die das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland mehr als fünf Mal hineinpassen würde.

Verlässliche Zahlen existieren nicht, weil die meisten Deals heimlich abgewickelt werden - und dies hat einen triftigen Grund: Es geht bei den Landgeschäften um viel Geld, doch der Profit geht zumeist auf Kosten der Einheimischen. Zu den finanziellen Gewinnern gehören örtliche Eliten, die die Geschäfte abwickeln und neben den offiziellen Verkaufserlösen und Pachtgebühren nicht selten auch noch Schmiergelder einstreichen. Die einfache Bevölkerung gerät hingegen häufig unter die Räder: Wo ausländische Investoren Agrarflächen aufkaufen, werden Kleinbauern und Anwohner von ihrem angestammten Land vertrieben - oft mit Gewalt und fast immer ohne Entschädigung. Die neuen Grundherren zäunen ihre erworbenen Ländereien ein und engagieren bisweilen sogar bewaffnetes Wachpersonal, um den ehemaligen Besitzern die Rückkehr zu verwehren. In kaum einem Entwicklungsland existieren Grundbücher mit eindeutig dokumentierten Besitzansprüchen, auf die sich die Vertriebenen berufen könnten. "Investoren suchen gezielt nach Orten mit schwachen staatlichen Institutionen", sagt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei der NGO Oxfam. "Je weniger rechtsstaatliche Regeln in einem Land existieren, desto besser für Investoren. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie mit Entschädigungsforderungen konfrontiert werden könnten."

In der Regel schaffen die Landverkäufe nicht einmal neue Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung. Da ausländische Investoren eine stark industrialisierte Landwirtschaft betreiben, gehen meist sogar Jobs verloren. Was zuvor einheimische Kleinbauern erledigten, übernehmen nun moderne Traktoren und Mähdrescher. Und die Volksrepublik China pachtet inndern wie Mosambik oder Kambodscha nicht nur riesige Plantagen, um Kautschuk, Soja oder Reis anzupflanzen, sondern exportiert auch gleich noch chinesische Bauern, die den neu erworbenen Boden bewirtschaften.

Aber nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch ganze Ökosysteme geraten bisweilen in Gefahr. In der Hoffnung auf schnelles Geld legen Investoren Feuchtgebiete trocken, holzen Wälder ab, überziehen Land mit Monokulturen, traktieren Äcker mit aggressiven Pestiziden und Düngemitteln. Wenn ihre Projekte dennoch keinen Gewinn abwerfen, ziehen sie sich wieder zurück und hinterlassen verwüstetes Land.

Besonders bedrückend: Landraub grassiert vor allem dort, wo Menschen ohnehin schon hungern. Im Mittelpunkt des globalen Agrar-Monopolys steht Afrika, nirgends werden mehr Landdeals abgeschlossen. Nach Angaben der Weltbank befinden sich rund zwei Drittel der weltweit veräußerten Fläche auf dem afrikanischen Kontinent. Ausgerechnet der Hungerkontinent Afrika droht zur Kornkammer der restlichen Welt zu werden. In Ländern wie Somalia, die regelmäßig von Hungersnöten geplagt werden, bauen asiatische Schwellenländer großflächig Getreide an - doch die Ernte wird nach Südkorea oder Kuwait verschifft, während für die lokale Bevölkerung oft kein einziges Körnchen abfällt. Wo äthiopische Kleinbauern einst ihre Nahrungsmittel anbauten, züchten nun indische Großunternehmer Schnittblumen für den Weltmarkt und greifen dabei auch noch auf das Trinkwasser der Einheimischen zurück, denn "Landraub" geht zumeist mit "Wasserraub" einher.

Freilich könnten Agrargeschäfte theoretisch auch für die Menschen in Entwicklungsländern von Nutzen sein, schließlich bringen ausländische Investoren Kapital, Infrastruktur und Know-how ins Land, von denen auch Einheimische profitieren könnten. Doch dazu müssten bei den Landdeals klare Regeln eingehalten werden, die die Rechte der ansässigen Menschen schützten. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, hat im vergangenen Jahr entsprechende Richtlinien für Landgeschäfte beschlossen - verpflichtend sind diese allerdings nicht.



Der Autor ist Volontär des Amnesty Journals.

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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2013, S. 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2013