Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

GRUNDSÄTZLICHES/288: Der vermeidbare Tod junger Frauen (ai journal)


amnesty journal 02/03/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Der vermeidbare Tod junger Frauen

Von Gunda Opfer


Schwangerschaft ist keine Krankheit. Dennoch sterben viele Frauen an leicht behandelbaren Komplikationen vor, während oder kurz nach einer Geburt. Betroffen sind vor allem arme Frauen.


Das Risiko, als werdende Mutter zu sterben, ist in Westafrika höher als in jeder anderen Weltregion. So stirbt in Sierra Leone jede achte Frau durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt. Der westafrikanische Staat ist eines der Länder, zu denen Amnesty International im Rahmen der neuen Kampagne "Mutter werden. Ohne zu sterben" arbeitet.

Weltweit fordern schwangerschaftsbedingte Komplikationen Jahr für Jahr eine halbe Million Tote unter jungen Frauen. In Entwicklungsländern sind sie die häufigste Todesursache bei 14- bis 19-jährigen Mädchen. Fast alle diese Todesfälle wären vermeidbar. Sie sind zum großen Teil eine Folge von Armut und treiben die Familien noch tiefer in die Armut: Für sie ist die Arbeitskraft der Frau unentbehrlich. Wenn die Mutter stirbt, werden die Haushalte oft von Kindern - meist Mädchen - geführt, die dann die Schule verlassen müssen. Ein Weg aus der Armut ist ihnen damit verbaut.

Die Gründe für Müttersterblichkeit sind vielschichtig. In vielen Ländern sind gesellschaftliche Phänomene verbreitet, die ungewollte und Risiko-Schwangerschaften begünstigen: Sexuelle Gewalt durch den Partner oder Dritte, Genitalverstümmelung und fehlender Zugang zu Informationen über Schwangerschaften und zu Verhütungsmitteln. Auch Kinderheiraten, die zwar meist verboten, aber vielerorts weiterhin praktiziert werden, sind ein Risikofaktor.

Bei allen Schwangerschaften sind Komplikationen möglich, die dringend professioneller Behandlung bedürfen. In vielen Ländern aber fehlen geeignete, für Notfälle ausgerüstete Kliniken. Hinzukommen oft unüberwindliche Hindernisse, die sich für benachteiligte Bevölkerungsgruppen beim Zugang zu vorhandenen Einrichtungen auftürmen, wie etwa weite Entfernungen, hohe, meist im Voraus zu entrichtende Kosten, aber auch Diskriminierung und Sprachbarrieren für Angehörige von Minderheiten. Tausende Frauen sterben deshalb mangels rechtzeitiger ärztlicher Versorgung.

In manchen Ländern sorgt das ausnahmslose Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen - selbst wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder ein hohes Risiko für das Leben der Mutter darstellt - für weitere Fälle von Müttersterblichkeit, denn es führt zu Abtreibungen in "Hinterhöfen" mit großen Gefahren für die Frauen.

Amnesty International hat die Müttersterblichkeit zu einem wichtigen Thema innerhalb des neuen Arbeitsschwerpunkts "Mit Menschenrechten gegen Armut" erhoben. Dabei geht es nicht um Armutsbekämpfung als karitativen Akt, sondern um die Durchsetzung von fundamentalen Rechten auch für arme Menschen. So bedeutet das Recht auf Gesundheit, das fast alle Länder anerkannt haben, dass der Staat auch für arme Frauen eine medizinische Grundversorgung sicherstellen muss. Auch von den ärmsten Ländern ist zu erwarten, dass sie einige Schlüsselmaßnahmen zur Umsetzung des Rechts auf Gesundheit ergreifen, gerade für schwangere Frauen. Dazu gehört die Notversorgung in der Schwangerschaft, aber auch der Zugang zu sauberem Wasser und Aufklärungsmaßnahmen. Notfalls muss dies mit internationaler Hilfe gewährleistet werden.

Amnesty will den Menschen vor Ort eine Stimme geben, sie selbst für ihre Belange sorgen lassen. So zieht in Sierra Leone eine von Amnesty initiierte "Karawane der Hoffnung" durchs Land. Einheimische Amnesty-Aktive, unterstützt von einer Sänger- und Schauspielertruppe, informieren die Frauen und laden sie zum Diskutieren ein. Schon über 30.000 Unterschriften hat die Karawane für eine Petition gesammelt, die Aufklärung über Schwangerschaften und die Umsetzung des Programms zur kostenlosen Versorgung Schwangerer fordert.

Zur Zeit laufen weitere Amnesty-Aktionen gegen Müttersterblichkeit in Peru (Benachteiligung indigener Frauen), Nicaragua (Auswirkungen des Totalverbots der Abtreibung) und Burkina Faso. In den USA wird auch die deutlich höhere Sterblichkeit unter afroamerikanischen Müttern ein Thema von Amnesty-Aktionen sein. Das Projekt "Mutter werden. Ohne zu sterben", mit Blick auf Länder verschiedener Kontinente, bildet noch bis 2016 einen Schwerpunkt unserer Arbeit.


Die Autorin ist Sprecherin der Themengruppe "Menschenrechtsverletzungen an Frauen" der deutschen Amnesty-Sektion.

Weitere Informationen auf www.amnesty-frauen.de


Müttersterblichkeitsrate 1990 und 2005 pro 100.000 
 Lebendgeburten

1990
2005
West/Zentralafrika
Östliches/Südliches Afrika
Südasien
Naher Osten/Nordafrika
Lateinamerika/Karibik
Osteuropa/ehem. Sowjetunion
Industrieländer
Welt
Südliches Afrika
Entwicklungsländer
Ärmste Entwicklungsländer
1.100
790
650
270
220
63
8
430
940
480
900
1.100
760
500
210
150
46
8
400
920
450
870

Quelle: Unicef 2009


*


Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2010, S. 54
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: ai-journal@amnesty.de,
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2010