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GRUNDSÄTZLICHES/282: Seit 30 Jahren kämpft ai gegen die Todesstrafe (ai journal)


amnesty journal 10/11/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ein Mensch weniger
Seit 30 Jahren setzt sich Amnesty International für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein.
Mit Erfolg: Immer weniger Staaten führen noch Hinrichtungen durch.

Eine Zwischenbilanz von Thomas Hensgen.


Noch Ende der siebziger Jahre bezeichneten die Vereinten Nationen die Abschaffung der Todesstrafe lediglich als "wünschenswert". Gut dreißig Jahre später ist ihre weltweite Ächtung greifbarer als je zuvor: Am 18. Dezember 2007 rief die Generalversammlung der Vereinten Nationen erstmals zu einem weltweiten Hinrichtungsstopp auf. Das Abstimmungsergebnis war überwältigend: 104 Ja-Stimmen standen 54 Nein-Stimmen und 29 Enthaltungen gegenüber. Bedenkt man, dass die Staaten, die die Todesstrafe befürworten, 1994 und 1999 noch verhindern konnten, dass es überhaupt zu einer Abstimmung kam, wird die historische Dimension dieses Votums noch deutlicher.

Der Abstimmungserfolg von New York hat eine lange Vorgeschichte. Die moderne Geschichte der vollständigen Abschaffung der Todesstrafe beginnt in Lateinamerika. Mit Venezuela (bereits 1863), Costa Rica, Panama, Ecuador, Uruguay und Kolumbien sind sechs der ersten sieben Staaten genannt, die sie gänzlich abschafften, ohne diese Entscheidung jemals zu revidieren. Es war auch eine lateinamerikanische Delegation, die sich 1948 bei der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dafür einsetzte, dass es in Artikel 3 uneingeschränkt heißt: "Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person." Artikel 5 verbietet zudem grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen. Nach Auffassung von Amnesty International ist die Todesstrafe schon deshalb abzulehnen, weil sie gegen diese grundlegenden Rechte verstößt.

Im September 1973 beschloss die in Wien tagende Internationale Ratstagung von Amnesty International, dass sich die Organisation in Zukunft in jedem Fall gegen die Vollstreckung von Todesurteilen und für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einsetzen wird. Bis dahin war Amnesty nur dann gegen Hinrichtungen aktiv geworden, wenn gewaltlose politische Gefangene betroffen waren.

Im Dezember 1977 veranstaltete Amnesty International eine "Konferenz zur Abschaffung der Todesstrafe" in Stockholm, an der über 200 Personen aus fast allen Teilen der Welt teilnahmen, darunter Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Rechtswissenschaft, Politik, Polizei und Strafvollzug. Die Konferenz verabschiedete die "Deklaration von Stockholm", in der die Teilnehmer erklärten, "die Todesstrafe uneingeschränkt abzulehnen, jede Form der Hinrichtung - ob auf Anordnung oder mit Duldung von Regierungen - zu verurteilen und ihre Entschlossenheit, für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu arbeiten". Dieses "Grundsatzprogramm" markierte den Beginn einer Reihe von weltweiten Aktivitäten von Amnesty International zur Bekämpfung dieser extremsten Strafe.

Am 26. September 1979 erschien der erste von Amnesty vorgelegte globale Todesstrafenbericht. Er beschreibt die juristische Situation und Praxis in 134 Staaten und Territorien. Eine so umfassende Darstellung hatte es bis dahin nicht gegeben, und der Befund war ernüchternd: "Die Diskussion um die Abschaffung der Todesstrafe ist auf die westlichen Demokratien beschränkt geblieben." Die Veröffentlichung dieses Berichts war zugleich Auftakt zur ersten weltweiten Kampagne von Amnesty gegen die Todesstrafe. Damals gab es gerade einmal 24 Staaten, die sie komplett abgeschafft hatten. Dies sollte sich gründlich ändern.

Amnesty International hat in den vergangen 30 Jahren ihre ablehnende Haltung in zahllosen Aktionen, Berichten und Stellungnahmen deutlich gemacht. Regierungen konnten - oft in einem zähen Prozess - davon überzeugt werden, dass die Todesstrafe mit der Achtung der Menschenrechte und Menschenwürde unvereinbar ist. Viele Staaten haben sie inzwischen abgeschafft oder ihre Anwendung zumindest maßgeblich eingeschränkt. Amnesty hat weltweit eine Entwicklung vorangetrieben, die einen klaren Trend zur Abschaffung erkennen lässt.

Die Organisation vertritt ihre eindeutige Position auch in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und hat ihren Beitrag geleistet, ein völkerrechtliches Verbot der Todesstrafe voranzubringen. Auch die Förderung des gesellschaftlichen und politischen Dialogs darüber, ob der Staat töten darf, war und ist ein wichtiges Anliegen. Neben dieser politischen Überzeugungsarbeit haben Amnesty-Mitglieder nie die Einzelschicksale vergessen. Nicht selten gelang es dank großer Unterstützung, bevorstehende Hinrichtungen abzuwenden.

Drei Jahrzehnte kontinuierlicher Arbeit für das Recht auf Leben machen einen Unterschied: Die Zahl der Staaten, die sich völlig von der Todesstrafe verabschiedet haben, hat sich fast vervierfacht und liegt heute bei 94. Mit Ausnahme von Belarus wird sie in Europa und Zentralasien nicht mehr vollstreckt, aus Lateinamerika und aus Ozeanien ist sie nahezu verschwunden. Nur noch 58 Staaten halten an Hinrichtungen fest, die wenigsten davon führen jedes Jahr Exekutionen durch.

Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor ein Großteil der Weltbevölkerung in Ländern lebt, in denen immer noch Todesurteile ausgesprochen und vollstreckt werden können. Weltweit sitzen zurzeit mehr als 20.000 Menschen im Todestrakt, mindestens 2.390 Menschen wurden im vergangenen Jahr hingerichtet. Um noch besser und schlagkräftiger gegen die Todesstrafe arbeiten zu können, hat sich Amnesty International 2002 mit mehreren anderen Menschenrechtsorganisationen und weiteren Verbänden zur "Weltkoalition gegen die Todesstrafe" zusammengeschlossen.

Dies ist auch dringend notwendig, denn langsam kristallisiert sich ein harter Kern von Staaten heraus, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie sich ohne weiteres dem weltweiten Trend anschließen werden - allen voran China, Iran, Saudi-Arabien, die USA und Pakistan. Sie waren 2008 für 93 Prozent aller Hinrichtungen verantwortlich. Daher ist immer noch viel engagierte Menschenrechtsarbeit notwendig, um das große Ziel einer Welt ohne Todesstrafe zu erreichen.

Der Autor ist Mitglied der Amnesty-Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe.


Weitere Informationen auf www.amnesty-todesstrafe.de


1979
Erste weltweite Amnesty-Kampagne gegen die Todesstrafe

1981
Kap Verde: erster Staat in Afrika ohne Todesstrafe

1983
Niederlande schaffen die Todesstrafe ab

1985
Protokoll Nr. 6 zur EMRK tritt in Kraft (verbietet Todesstrafe in Friedenszeiten in Europa)

1987
DDR schafft die Todesstrafe ab

1989
Zweite Amnesty-Kampagne gegen die Todesstrafe. Kambodscha schafft Todesstrafe ab

1991
2. Fakultativprotokoll zum UN-Zivilpakt tritt in Kraft (verbietet Todesstrafe weltweit vollständig)

1992
Schweiz schafft die Todesstrafe ab

1995
Spanien schafft die Todesstrafe ab

1996
Südafrika schafft die Todesstrafe ab

1989
Vereinigtes Königreich schafft die Todesstrafe ab

1999
Russland setzt Todesstrafe außer Kraft

2002
Gründung der Weltkoalition gegen die Todesstrafe

2003
Protokoll Nr. 13 zur EMRK tritt in Kraft (verbietet Todesstrafe vollständig in Europa)

2004
Türkei schafft die Todesstrafe ab

2006
Philippinen schaffen die Todesstrafe ab

2007
Generalversammlung der UNO fordert weltweiten Hinrichtungsstopp

2009
Burundi und Togo schaffen die Todesstrafe ab


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2009, S. 46-47
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009