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GRUNDSÄTZLICHES/263: Kampf gegen Gewalt gegen Frauen (ai journal)


amnesty journal 03/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Viel zu oft wird geschwiegen und weggeschaut"

Ein Gespräch mit Aldijana Sisic, Leiterin der Kampagne "Stop Violence against Women" (SVAW) des Internationalen Sekretariats von ai in London.


FRAGE: Was sind die größten Herausforderungen im Kampf gegen die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen?

ALDIJANA SISIC: Die größte Herausforderung ist es, das Schweigen zu brechen. Viel zu oft sind wir teilnahmslos und desinteressiert. Wir sehen Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, und fragen uns: Warum bleibt sie denn bei ihm? Obwohl wir die blauen Flecken auf Armen und Gesicht sehen, schweigen wir. Wir rühmen uns, den Frauen in Konfliktregionen Frieden zu bringen, aber überlassen sie den Warlords. Wir sprechen über Frauenrechte, sind aber blind gegenüber religiös fundamentalistischen Kräften.

FRAGE: Seit wann gibt es die Frauenkampagne, und was sind ihre Ziele?

ALDIJANA SISIC: Die Kampagne begann im Jahr 2004 und war zunächst auf zwei Jahre angelegt. Wir haben schwerpunktmäßig zu den Themen Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten und häusliche Gewalt gearbeitet. Die Relevanz des Themas führte dazu, dass die Kampagne bis 2010 verlängert wurde. Wir engagieren uns dafür, dass Frauen, die Gewalt erlebt haben, Gerechtigkeit widerfährt, Mädchen einen sicheren Schulweg haben und Regierungen nicht länger Gewalt gegen Frauen fördern, rechtfertigen, ignorieren oder entschuldigen. Mit unserer Kampagne wollen wir wachrütteln. Damit Menschen aktiv gegen Diskriminierung und Straflosigkeit eintreten und sich gegen Normen und Bräuche auflehnen, die Gewalt gegen Frauen zulassen oder fördern.

FRAGE: Wie arbeitet das SVAW-Team?

ALDIJANA SISIC: Unsere Arbeit ist vielschichtig. Wir koordinieren und unterstützen die weltweiten ai-Aktivitäten und versorgen die Sektionen mit Informationen. Bei der Entwicklung von Materialien arbeiten wir eng mit unseren Länderteams zusammen. Und wir überprüfen ständig, ob Ansatz und Aktivitäten auch weiterhin den globalen Entwicklungen gerecht werden, oder angepasst werden müssen.

FRAGE: Welche Erfolge gab es bislang?

ALDIJANA SISIC: Wir haben es geschafft, aus einem Thema, das totgeschwiegen wurde, ein zentrales Anliegen zu machen. Wir haben Tabus gebrochen und das Ausmaß des Problems öffentlich gemacht. Politisch hat unsere Arbeit nachweisliche Veränderungen bewirkt: Auf den ai-Bericht zum Kosovo reagierte die UNO-Abteilung für Friedensmissionen damit, ihre Truppen besser zu schulen. In der Golfregion brachten wir politische und religiöse Entscheidungsträger zusammen, die sich mit diskriminierenden Gesetzen und Traditionen sowie dem Schutz vor häuslicher Gewalt auseinandersetzten. In Griechenland akzeptierte das nationale Komitee für Menschenrechte die ai-Empfehlungen. In der Türkei trugen wir zur Reform des Strafgesetzbuches bei. In Schweden und Norwegen reagierten die Regierungen auf Berichte, denen zufolge Frauen nicht ausreichend vor häuslicher Gewalt geschützt sind. Und in Island engagierten wir uns für ein "Anti-Gewalt"-Gesetz zur Ahndung der Genitalverstümmelung.

FRAGE: Gibt es Entwicklungen, die Ihre Arbeit behindern?

ALDIJANA SISIC: Seit dem 11. September haben sich die Nord-Süd-Beziehungen verschärft. Religiöse Fundamentalisten und patriarchalische Nationalisten machen mobil und verteidigen die traditionellen Frauenrollen. Diese Entwicklungen müssen wir sehr genau beobachten. Frauenorganisationen, die uns über die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf ihre Arbeit unterrichten, sind dabei wertvolle Informanten.

FRAGE: Woher nehmen Sie Ihre Motivation?

ALDIJANA SISIC: Ich bin Frau, Menschenrechtsaktivistin und Feministin. Für mich sind das die drei zentralen Motive, die mich täglich motivieren, weiterzumachen.

Interview: Rebekka Rust

Aldijana Sisic leitet im Internationalen Sekretariat von ai in London die Kampagne "Stop Violence against Women" ("Hinsehen & Handeln - Gewalt gegen Frauen verhindern").


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CEDAW

"CEDAW" ist die "Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women" (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen) aus dem Jahr 1979: Die Vertragsstaaten verurteilen jede Form von Diskriminierung der Frau und wollen mit geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zu deren Beseitigung verfolgen. Dabei erstreckt sich die Verantwortlichkeit des Staates auch auf Rechtsverletzungen an Frauen durch nichtstaatliche Akteure. 185 Staaten haben ratifiziert. Ein Problem ist, dass einige Vertragsstaaten Vorbehalte gegen wichtige Artikel eingelegt haben. Das Zusatzprotokoll von 1999 schafft Untersuchungs- und Beschwerdeverfahren, dank derer über Rechtsverletzungen berichtet werden kann. 90 Staaten haben das Zusatzprotokoll ratifiziert (jeweils Stand 2008).
http://www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw/index.htm


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Quelle:
amnesty journal, März 2008, S. 19
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2008