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FRAGEN/035: Nigeria - Justine Ijeoma "Die Polizei knöpft den Kindern das Geld ab" (ai journal)


amnesty journal 06/07/2016 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Die Polizei knöpft den Kindern das Geld ab"

Interview mit Justine Ijeoma von Andreas Koob


Folter durch Sicherheitskräfte ist weit verbreitet in Nigeria. Vor allem Kinder sind betroffen, sagt der Menschenrechtsverteidiger Justine Ijeoma. Er kämpft dagegen an - mit Erfolg.


Frage: Sie setzen sich mit Ihrer NGO vor allem für verurteilte Minderjährige ein. Warum?

Justine Ijeoma: Das liegt am nigerianischen Justizsystem und dem oft sehr problematischen Verhalten der Polizei. Viele Personen - besonders junge, arme, marginalisierte - werden in Gewahrsam gefoltert, bis sie ein Geständnis machen. Gerichte erkennen diese unter Folter erpressten Geständnisse an und verurteilen die Beschuldigten zu Haft oder sogar zum Tode - das erbost mich ungemein. Deshalb sammeln und beobachten wir die Fälle Jugendlicher, insbesondere obdachloser Jugendlicher.

Frage: Wie ist die Lage obdachloser Kinder?

Justine Ijeoma: Viele auf der Straße lebende Kinder erleben bereits mehrmals Folter und landen auch wiederholt vor Gericht. Wir versuchen, uns um sie zu kümmern und sie zu schützen. Diejenigen, die wir kennen, registrieren wir. Sie bekommen von uns eine Menschenrechtserklärung, in die wir ein Foto von ihnen kleben und ihren Namen schreiben, daneben notiere ich dann die Telefonnummer unserer Organisation. Sie tragen das Dokument bei sich und sollten sie in Gewahrsam landen, haben sie es parat, um uns zu kontaktieren. Die Idee ist denkbar einfach, aber es hat vielfach funktioniert, sie damit vor Willkür zu schützen. Die Behörden nennen mich inzwischen "Vater der Straßenkinder".

Frage: Das klingt, als hätten es die Behörden gezielt auf obdachlose Kinder abgesehen ...

Justine Ijeoma: Sie haben kein Zuhause und tragen deshalb all ihr Geld bei sich. Geld, das sie sich manchmal über Jahre erarbeitet haben, bei vielen kleinen, oft schlecht bezahlten Jobs. Wenn die Polizei sie festnimmt, knöpft sie ihnen dieses Geld ab und drängt auch ihre Freunde, Geld aufzutreiben, um die Inhaftierten freizukaufen. Viele Festnahmen obdachloser Kinder zielen einzig darauf ab - die Korruption bei der Polizei hat ein alarmierendes Ausmaß. Kinder sind wirklich verletzlich. Wir haben zwar seit 2003 ein Kinderschutzgesetz, es wird aber nur in zwölf von 36 Bundesstaaten umgesetzt und dessen sind sich die Sicherheitskräfte durchaus bewusst.

Frage: Im Nordosten Nigerias hat die Terrormiliz Boko Haram wiederholt gezielt Kinder verschleppt, zur Heirat gezwungen oder zwangsrekrutiert, um Selbstmordanschläge zu verüben. Warum sind auch hier Minderjährige Zielscheibe der Gewalt?

Justine Ijeoma: Aus ganz ähnlichen Gründen. Die Regierung und die Behörden schützen die Bevölkerung nicht ausreichend, dies gilt insbesondere für Kinder. Außerdem spielen auch im Kampf gegen Boko Haram Korruption und Willkür eine wesentliche Rolle. Das ist fatal für Kinder, die der Terrorgewalt schutzlos ausgeliefert sind. Deshalb hören wir derzeit von vielen sehr, sehr jungen Kindern, die mit Bomben losgeschickt werden, um sich in die Luft zu sprengen.

Frage: Sie haben sich auch für Moses Akatugba eingesetzt, der wegen eines gestohlenen Handys festgenommen und später zum Tode verurteilt wurde. Seine Freilassung gehört zu den größten Erfolgen der Stop Folter-Kampagne von Amnesty. Was war das für ein Gefühl, als der junge, zum Tode verurteilte Mann plötzlich frei war?

Justine Ijeoma: Das hat mich sehr bewegt, wie auch alle anderen, die sich gemeinsam angestrengt hatten. Ich war überglücklich. Es war ein tolles Resultat: All die Anstrengung, all die Briefe, all das hat Sinn gemacht. Der weltweite Einsatz hatte massiven Einfluss auf den Verlauf des Falls, das war kolossal.

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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2016, S. 8
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2016

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