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ASIEN/242: Wie aus Armut Elend wird - Zwangsräumungen von Slums in Kambodscha


Pressemitteilung vom 16. Oktober 2009

Welttag zur Überwindung von Armut am 17. Oktober

Wie aus Armut Elend wird:
Zwangsräumungen von Slums in Kambodscha - die Geschichte einer Menschenrechtsverletzung


Phnom Penh, im Oktober 2009: Der Boeung Kak See ist eine beliebte Touristengegend in der Hauptstadt Kambodschas. An seinem Ufer leben aber auch fast 20.000 Menschen. Ihnen allen droht die Vertreibung. Jederzeit können, ohne Vorwarnung, die Bagger anrücken. Seit einem Jahr füllt die Firma Shukaku in Absprache mit der Stadtverwaltung den See mit Sand auf, um dort "angenehme Wohnviertel" zu bauen. Der steigende Wasserpegel setzt zahlreiche Hütten unter Wasser, andere rutschen ab oder fallen in sich zusammen. Die Betroffenen wurden weder informiert noch angehört. Die meisten leben schon so lange dort, dass sie nach kambodschanischem Recht Anspruch auf eine Eintragung ins Grundbuch haben.


Deutschland und andere Geberländer müssen Druck machen

Viele Industrieländer unterstützen Kambodscha beim Wiederaufbau des unter den Roten Khmer völlig zerstörten Katasterwesens sowie bei der Landtitelvergabe. Einer der großen Geber ist Deutschland. Die Bundesregierung muss bei der Mittelvergabe darauf achten, dass keine Menschenrechtsverletzungen finanziert werden, und Druck auf die Regierung Kambodschas ausüben, rechtswidrige Zwangsräumungen zu beenden.


Ein Riesenproblem - und eine Menschenrechtsverletzung

Solcher Druck ist dringend notwendig. Denn die Zahl der Landstreitigkeiten, der illegalen Landnahmen und der rechtswidrigen Zwangsräumungen ist in Kambodscha in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Seit 2003 sind nach Schätzungen allein in Phnom Penh mehr als 30.000 Menschen gewaltsam und rechtswidrig aus ihren Häusern vertrieben worden. Mindestens 70.000 Slumbewohner leben dort in ständiger Furcht, aus ihrem Zuhause vertrieben zu werden und ihre Lebensgrundlage zu verlieren.

Zwangsräumungen sind mehr als ein Skandal. Sie sind oft ein schwerer Rechtsbruch. Kein Mensch darf ohne weiteres aus seinem Haus, seiner Wohnung oder von seinem Land vertrieben werden. Eine Zwangsräumung ist nur unter strengen rechtlichen Auflagen zulässig, und niemand darf dadurch der Obdachlosigkeit preisgegeben werden. Die Menschen müssen angemessenen Wohnraum als Ersatz erhalten.

Zwangsräumungen bedeuten nicht nur den Verlust von Heim und Habe. Sie zerstören Lebensgrundlagen. Dies zeigt anschaulich der weiter aktuelle "Fall" Sambok Chab:

Phnom Penh, im Juni 2006:
In den frühen Morgenstunden erscheinen die Planierraupen in der informellen Siedlung Sambok Chab im Zentrum Phnom Penhs. Sie werden begleitet von 600 schwer bewaffneten Polizisten und Abrissarbeitern. UN-Beobachter und Journalisten werden abgedrängt, ihre Bilder und Tonaufnahmen konfisziert und gelöscht. Die Räumfahrzeuge machen jedes Haus und jede Hütte dem Erdboden gleich. Viele der 1.500 Familien verlieren ihre persönliche Habe.


Wem gehört das Land?

Eine Immobilienfirma plane auf dem Land ein großes Bauprojekt, erklären die Behörden. Doch einen Besitztitel legen weder das Unternehmen noch die Behörden vor. Der Anspruch auf das Land ist von keinem Gericht anerkannt, obwohl dies in Kambodscha gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Anwohner erfahren aber weder etwas über die Bauvorhaben, die nicht öffentlich gemacht werden, noch über die geplante Räumung des Geländes. Bis heute ist der Großteil der Fläche ungenutzt.


Umgesiedelt ins Nichts - Lebensgrundlage zerstört

Ohne sie zu informieren, werden viele Bewohner von Sambok Chab auf Lastwagen nach New Andong gebracht, einer Brache außerhalb der Stadt. Dort finden sie nichts vor als ein aufgeweichtes Feld, ohne Unterkünfte oder Zugangsstraßen, ohne Kanalisation, sauberes Trinkwasser, Strom, Schulen, Krankenstationen oder Geschäfte. Aus Trümmern und mit Zeltplanen bauen sie sich notdürftige Behausungen. Bei Regen ist das Gelände regelmäßig überflutet.

New Andong liegt 20 Kilometer entfernt von der Innenstadt, wo die Menschen bisher ihren Lebensunterhalt verdient haben - als Straßenverkäufer, Müllsammler oder Tagelöhner. Durch die Zwangsräumung verlieren die meisten mit einem Schlag auch ihre Existenzgrundlage. Denn New Andong hat keine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Die Fahrt in die Stadt kostet mehr, als die meisten an einem Tag verdienen.

Phnom Penh, im Oktober 2009:
Viele Bewohner New Andongs, insbesondere die Kinder, leiden an Unterernährung, Hautkrankheiten, Durchfall und Denguefieber. Es gibt noch immer keine Grundversorgung für sie. Sie leben sozial ausgegrenzt und in größtem Elend. Und auch in New Andong sind sie nicht vor erneuter Vertreibung geschützt. Sie haben noch immer keinen offiziellen Nachweis erhalten, der ihnen sicheres Wohnrecht garantiert, obwohl die Behörden dies vor der Umsiedlung offenbar versprochen hatten. Ohne einen solchen Nachweis fürchten sie, irgendwann erneut vertrieben zu werden, da die Grundstückspreise in und um Phnom Penh weiter steigen.


Recht haben ist nicht Recht bekommen

Amnesty fordert von der kambodschanischen Regierung, rechtswidrige Zwangsräumungen sofort zu beenden. Die Grundversorgung in den Neusiedlungen und anderen Slums muss gewährleistet sein. Slumbewohner müssen an allen Entscheidungen beteiligt sein, die ihre Situation betreffen. Ihnen ist Rechtsschutz nach internationalen Standards zu gewähren.


Weitere Informationen über Zwangsräumungen in Kambodscha und Menschenrechten in Slums:
http://www.amnesty.de/files/Broschuere_A5_Kambodscha_1.pdf
http://www.amnesty.de/files/Broschuere_A4_Slums_Final_1.pdf
http://www.amnesty.de/wohnen


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Mit Menschenrechten gegen Armut. Ein neues Arbeitsgebiet von Amnesty International

Der Kerngedanke:
Armut ist mehr als der Mangel an Ressourcen. Armut bedeutet ein Leben in permanenter Unsicherheit, Rechtlosigkeit und Entwürdigung. Armut ist auf Dauer nur zu bekämpfen, wenn die Menschenrechte der Armen respektiert und gewährleistet werden. Denn in vielen Fällen ist Armut die Folge von Menschenrechtsverletzungen. Und Armut macht für Menschenrechtsverletzungen besonders verwundbar. "Wohnen. In Würde." ist der aktuelle Schwerpunkt dieser Arbeit zu Armut und Menschenrechten. Es geht um das Recht auf Wohnen und konkret um Lebensbedingungen in Slums sowie insbesondere um das oft unterbelichtete Problem der Zwangsräumungen von Slums. Wir bieten Ihnen: sorgfältig recherchiertes Material mit vielen Länderbeispielen und Einzelfällen, deutschsprachige Experten, Kontakte zu Betroffenenorganisationen in Kambodscha, Kenia und anderen Ländern, abdruckfertige Artikel. Sprechen Sie mit uns!


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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 16. Oktober 2009
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2009