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AKTION/998: Urgent Action - Israel / Besetzte palästinensische Gebiete - Weiter in Verwaltungshaft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-071/2012-2, AI-Index: MDE 15/015/2012. Datum: 26.März 2012 - we

Israel / Besetzte palästinensische Gebiete
Weiter in Verwaltungshaft

Weitere Informationen zu UA-071/2012 (MDE 15/010/2012, 2. März 2012, und MDE 015/013/2012, 13. März 2012)



HANA SHALABI

Am 25. März wurde das Rechtsmittel, das die Palästinenserin Hana Shalabi gegen ihre viermonatige Verwaltungshaftanordnung eingelegt hatte, abgelehnt. Ihre Rechtsbeistände haben jetzt Rechtsmittel vor der höchsten Berufungsinstanz, dem israelischen High Court of Justice, eingelegt. Nachdem Hana Shalabi sich nun bereits seit 40 Tagen im Hungerstreik befindet, wächst die Sorge um ihr Leben. Sie protestiert mit dem Hungerstreik gegen ihre Inhaftierung ohne vorherige Anklage durch die israelischen Behörden.

Am 20. März wurde Hana Shalabi vom Gefängniskrankenhaus in Ramleh in das Meir-Krankenhaus in der israelischen Stadt Kfar Saba verlegt. Dort kann ihr nun eine medizinische Versorgung geboten werden, die besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Sie befindet sich weiterhin in israelischem Gewahrsam und steht durchgängig unter bewaffneter Bewachung. Hana Shalabi hatte ihren Ärzten und Rechtsbeiständen vor ihrer Verlegung gesagt, dass die BeamtInnen des israelischen Gefängnisdienstes (Israel Prison Service - IPS) während der Transporte vor und nach ihren Besuchen im Gefängniskrankenhaus in Ramleh gewaltsam mit ihr umgegangen seien. Laut der Organisation Physicians for Human Rights (PHR) - Israel wird Hana Shalabi im Meir Krankenhaus nicht länger gefesselt, weil die dortigen ÄrztInnen dies ablehnen.

Am 25. März, also mehr als zwei Wochen nach der Berufungsverhandlung vom 7. März, lehnte das zuständige militärische Berufungsgericht das von Hana Shalabi eingelegte Rechtsmittel gegen ihre viermonatige Verwaltungshaftanordnung ab. Wie üblich bei Anhörungen, in denen Verwaltungshaftstrafen behandelt werden, basierte die Entscheidung des Richters auf geheimen Beweismitteln, die weder Hana Shalabi noch ihrer Verteidigung vorgelegt wurden. Der Richter behauptete außerdem, dass aus einem medizinischen Gutachten, dass von den Rechtsbeiständen von Hana Shalabi vorgelegt worden war, nicht hervorginge, dass der gesundheitliche Zustand von Hana Shalabi besorgniserregend sei.

Hana Shalabi nimmt lediglich Wasser mit Mineralien-, Salz- und Vitaminzusätzen zu sich, um so einem Herzinfarkt vorzubeugen. Laut eines Arztes der Organisation PHR, der sie am 26. März besucht hat, schreitet die Rückbildung ihrer Muskeln immer weiter fort, was zu Herzversagen führen kann. Die israelischen Behörden könnten eine Zwangsernährung von Hana Shalabi erwägen. Diese möglicherweise grausame und unmenschliche Maßnahme sollte jedoch grundsätzlich nicht zur Behandlung von Hungerstreikenden eingesetzt werden. Die Familie von Hana Shalabi durfte sie seit ihrer Festnahme nicht besuchen.

Am 26. März reichten die VertreterInnen der Verteidigung von Hana Shalabi Rechtsmittel beim israelischen High Court of Justice, der letzten Berufungsinstanz, ein. Sie versuchen so ein beschleunigtes Verfahren zu erwirken. Sie sagten Amnesty International, dass sie den Verhandlungsbeginn für den 29. März erwarten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Hana Shalabi, die aus Burqin, einer Ortschaft am Rande der Stadt Jenin im Westjordanland stammt, wurde am 16. Februar festgenommen. Nach ihrer Festnahme brachte man sie zunächst zur Vernehmung in das Haftzentrum Salem. Tags darauf wurde die Palästinenserin in das im Norden Israels gelegene Haftzentrum HaSharon eingeliefert. Am 23. Februar erging gegen Hana Shalabi eine sechsmonatige Verwaltungshaftanordnung, unterschrieben von einem Militärbefehlshaber. Ein Militärrichter überprüfte die Haftanordnung und verkürzte sie auf vier Monate. Nach Angaben ihres Rechtsanwalts werfen die israelischen Behörden der Palästinenserin vor, sie sei in Aktivitäten verwickelt, welche die Sicherheit Israels gefährden. Ihre Verwaltungshaftanordnung würde am 16. Juni enden, könnte jedoch anschließend erneuert werden.

Noch am Tag ihrer Festnahme trat Hana Shalabi aus Protest gegen ihre Inhaftierung ohne vorherige Anklage in den Hungerstreik. Nach Angaben ihres Rechtsbeistands will Hana Shalabi mit ihrem Hungerstreik dagegen protestieren, dass sie sich nach der Festnahme vor mehreren israelischen Soldaten zur Leibesvisitation nackt ausziehen musste. Daraufhin sind 20 weitere palästinensische Gefangene und Häftlinge aus verschiedenen israelischen Haftanstalten in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, um so gegen das Prinzip der Verwaltungshaft zu protestieren. Einige hungern bereits seit mehr als drei Wochen. Soweit Amnesty International bekannt ist, wurde den Hungerstreikenden kein Zugang zu unabhängigen ÄrztInnen gewährt. Einige erhielten möglicherweise sogar keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, wurden isoliert festgehalten oder anderweitig bestraft, nachdem sie sich dafür entschieden hatten, in den Hungerstreik zu treten.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bitte eindringlich um die sofortige Freilassung von Hana Shalabi und der übrigen in Verwaltungshaft befindlichen PalästinenserInnen, sofern sie nicht umgehend einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt und unter Wahrung internationaler Standards in einem fairen Prozess vor Gericht gestellt werden.

- Ich fordere Sie auf, Sorge dafür zu tragen, dass sowohl Hana Shalabi als auch
die übrigen palästinensischen Gefangenen, die sich im Hungerstreik befinden, regelmäßig Kontakt zu ihrem Rechtsbeistand und zu ihrer Familie, sowie eine unabhängige medizinische Versorgung erhalten. Stellen Sie bitte zudem sicher, dass sie jederzeit menschlich behandelt werden und man sie für ihren Hungerstreik nicht mit Einzelhaft oder anderen Maßnahmen bestraft.


APPELLE AN

GENERALANWALT
Brigadier General Danny Efroni
6 David Elazar Street
Hakirya, Tel Aviv, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Judge Advocate General / Sehr geehrter Herr Generalanwalt)
Fax: (00 972) 3 569 4526
E-Mail: avimn@idf.gov.il

KOMMANDEUR DES ZENTRALKOMMANDOS DER
STREITKRÄFTE - WESTJORDANLAND
Major-General Nitzan Alon
GOC Central Command
Military Post 01149, Battalion 877
Israel Defence Forces, ISRAEL (korrekte Anrede: Dear Major-General / Sehr geehrter Herr Generalmajor)
Fax: (00 972) 2 530-5724

STELLVERTRETENDER MINISTERPRÄSIDENT UND VERTEIDIGUNGSMIINISTER
Ehud Barak
Ministry of Defence
37 Kaplan Street
Hakirya, Tel Aviv 61909, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 972) 3 69 169 40 oder
(00 972) 3 691 7915.


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E. Herrn Jaakov Hadas-Handelsman
Auguste-Viktoria-Straße 74-76, 14193 Berlin
Fax: (030) 8904 5555
E-Mail: botschaft@israel.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 7. Mai 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on the Israeli authorities to release Hana Shalabi and other Palestinians held in administrative detention immediately, unless they are promptly charged with an internationally recognizable criminal offence and brought to trial in full conformity with international fair trial standards.

- Urging them to allow Hana Shalabi, as well as all other Palestinian prisoners on hunger strike, regular access to lawyers, family and independent medical care, and to ensure they are treated humanely at all times and not punished in any way for their hunger strikes, such as by being placed in solitary confinement or forcibly fed.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Laut Aussagen ihres Rechtsbeistands befand sich Hana Shalabi vom 23. bis zum 27. Februar in Einzelhaft, um sie wegen des Hungerstreiks zu bestrafen. Sie wurde in das Gefängniskrankenhaus von Ramleh verlegt, nachdem ihr Rechtsbeistand dies beim Gefängnisdienst beantragt hatte. Im Haftzentrum HaSharon war eine auf den kritischen Gesundheitszustand von Hana Shalabi abgestimmte medizinische Versorgung nicht möglich. Die israelischen Behörden hatten Hana Shalabi am 14. September 2009 schon einmal festgenommen und 25 Monate lang ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten. Einige AktivistInnen, die sich im März mit einem Appellschreiben für die palästinensische Gefangene eingesetzt hatten, erhielten ein Antwortschreiben der israelischen Botschaft in Großbritannien. In diesem hieß es, Hana Shalabi sei am 29. September 2009 "auf Grundlage von Geheimdienstinformationen, denen zufolge sie in gefährliche Aktivitäten, wie in die Planung eines Selbstmordattentats, verwickelt war" zu einer Verwaltungshaftstrafe verurteilt worden. Hana Shalabi war am 18. Oktober 2011 im Zuge eines zwischen Israel und Hamas vereinbarten Gefangenenaustauschs wenige Tage vor Ablauf ihrer Verwaltungshaftanordnung freigekommen. Die Vereinbarung hatte im Gegenzug für die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit zur Haftentlassung von 1027 palästinensischen Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen geführt. Gegen Hana Shalabi ist jedoch zu keinem Zeitpunkt Strafanklage erhoben worden.

Nach Artikel 9 und 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Israel zählt, haben inhaftierte Menschen einen verbrieften Anspruch unter anderem auf folgende Rechte: das Recht auf sofortige und umfassende Bekanntgabe der Haftgründe; das Recht, bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten; das Recht, Fragen an die BelastungszeugInnen zu stellen oder stellen zu lassen; das Recht auf öffentliche Verhandlung. All diese Rechte werden bei der Verhängung von Verwaltungshaftstrafen durchgängig verletzt. Die Beweislage gegen Verwaltungshäftlinge wird in nicht-öffentlicher Sitzung geprüft und weder den Gefangenen selbst noch ihren VerteidigerInnen zur Kenntnis gebracht. Somit haben sie keine Möglichkeit, die Beweise anzufechten - weder bei der ersten richterlichen Überprüfung der Verwaltungshaftstrafe, noch nach Einlegen eines entsprechenden Rechtsmittels vor dem militärischen Berufungsgericht beziehungsweise vor dem Obersten Gerichtshof. Darüber hinaus sollte kein Gefangener dazu gezwungen werden, sich einer Leibesvisitation durch eine Person des anderen Geschlechts zu unterziehen. Dies stellt eine Verletzung des Rechts auf Schutz vor grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und des Rechts auf Privatsphäre dar. Zudem verstößt eine so durchgeführte Leibesvisitation gegen internationale Abkommen über die Rechte von Gefangenen und Häftlingen, wie die Grundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung weiblicher Gefangener und für nicht freiheitsentziehende Maßnahmen für weibliche Straffällige.

Nach Angaben des israelischen Gefängnisdienstes befanden sich am 29. Februar 2012 insgesamt 320 PalästinenserInnen in Verwaltungshaft, seitdem könnte die Zahl noch angestiegen sein. Zu den derzeit in Verwaltungshaft einsitzenden PalästinenserInnen zählen auch 24 Abgeordnete des palästinensischen Parlaments.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-071/2012-2, AI-Index: MDE 15/015/2012. Datum: 26.März 2012 - we
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2012