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AKTION/989: Urgent Action - Serbien - Roma droht Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-085/2012, AI-Index: EUR 70/007/2012, Datum: 19. März 2012 - mr

Serbien
Roma droht Zwangsräumung


1.500 ROMA in Belvil in Belgrad

Etwa 1.500 Roma droht ab dem 19. März die Vertreibung aus ihren Wohnungen in Belvil, einer informellen Siedlung in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Die Roma haben bislang keine Informationen über eine Ansiedlung an einen anderen Ort erhalten. Ihnen droht daher eine unangemessene Unterbringung oder die Obdachlosigkeit.

Die Pläne zur Räumung der informellen Siedlung wurden erstmalig im März 2010 von den Behörden der Stadt Belgrad bekannt gegeben. Die Stadtverwaltung erklärte, die Mehrheit der Unterkünfte der BewohnerInnen von Belvil würde geräumt werden, um Platz für Zufahrtsstraßen zu einer neuen Brücke über den Fluss Sava zu schaffen. Die Behörden versäumten es, aussagekräftige und umfassende Konsultationen mit den Betroffenen durchzuführen und legten auch kein Vorhaben zur Umsiedlung der Roma vor. Nach einer großen Kampagne ansässiger Menschenrechtsorganisationen gemeinsam mit Amnesty International wurde die Zwangsräumung gestoppt. Durch anhaltende Lobbyarbeit konnte die Europäische Investitionsbank (EIB), die das Brückenprojekt über die Sava mitfinanziert, davon überzeugt werden, dass die Räumung nur unter Einhaltung der internationalen Standards durchgeführt werden dürfe.

Im April 2011 organisierten die städtischen Behörden mit Unterstützung der EIB ein Treffen mit denjenigen BewohnerInnen von Belvil, die im Bereich der geplanten Brückenzufahrt leben - das sind etwa 100 Familien - und sagten zu, die Räumung unter Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards durchzuführen. Die Behörden erklärten, sie würden einen detaillierten Aktionsplan zur Umsiedlung der Betroffenen entwickeln und jeden Einzelnen dazu konsultieren. Sie erklärten weiterhin, dass die BewohnerInnen in Fertighäusern untergebracht würden. Diese betrachtete Amnesty International als eine angemessene Unterkunft.

Die betroffenen BewohnerInnen wurden jedoch solange nicht über die weiteren Entwicklungen informiert, bis die Stadt Belgrad allen BewohnerInnen von Belvil am 15. März mitteilte, dass ihre Zwangsräumung nun bald durchgeführt werde. Am 16. März übergaben die Behörden den BewohnerInnen, die nicht in dem Bereich der geplanten Brückenzufahrt leben, Räumungsbefehle. Ihnen wurde gesagt, sie hätten drei Tage Zeit, um ihre Unterkünfte zu verlassen und diese zu zerstören. Alternative Wohnmöglichkeiten oder Umsiedlungspläne besprachen die Behörden nicht mit den Roma-Familien, und sie versäumten es außerdem, der wiederholten Bitte um Informationen nachzukommen. Denjenigen, die im Bereich der geplanten Brückenzufahrt wohnen, wurde ebenfalls die baldige Räumung angekündigt. Ein Datum für die Räumung wurde ihnen nicht mitgeteilt. Trotz der Zusicherungen der EIB und der städtischen Behörden erhielten die Betroffenen keine Informationen zu einer Neuansiedlung an einem anderen Ort; weder darüber, wohin sie umgesiedelt werden sollen, noch welche Art von Unterkünften die Stadt Belgrad zur Verfügung zu stellen gedenkt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 8. April 2011 führten die Behörden der Stadt Belgrad auf massiven internationalen Druck und auf Druck der Europäischen Investitionsbank (EIB) hin ein Treffen mit den BewohnerInnen von Belvil durch. Bei diesem Treffen informierte die Stadt die anwesenden Familien bzw. ihre VertreterInnen darüber, dass sie auf mehrere Gelände in und um Belgrad herum umgesiedelt und dort in Fertighäusern untergebracht werden sollten. Die Familien erhielten Einsicht in Pläne der Gelände und Zeichnungen der Fertighäuser. Amnesty International begrüßte es, dass die Stadt Belgrad eine solche Unterkunft zur Verfügung stellen wollte, da die Organisation diese Art von Wohnraum für sehr viel angemessener hält als die Container, die Vertriebenen aus anderen Siedlungen in Belgrad zuvor angeboten wurden.

Im Januar 2012 erhielt Amnesty International Berichte aus zahlreichen Quellen, denen zufolge der geplante Umsiedlungsprozess dadurch unterwandert wurde, dass den Roma-Familien, die in dem Bereich der geplanten Brückenzufahrten wohnten, Geld angeboten wurde, um das Gelände zu verlassen. Angesichts der mangelnden Informationen von Seiten der städtischen Behörden zu den Umsiedlungsplänen und der fortwährenden Angst und Unsicherheit, in der diese ungeschützten Gemeinschaften leben muss, überrascht es nicht, dass viele Familien - aus Furcht, keinerlei alternativen Wohnraum zu erhalten - das Geld angenommen und das Gelände verlassen haben. Durch diese Maßnahme leben nun nur noch etwa 30 der ursprünglich 100 Familien auf der geplanten Zufahrt.

Amnesty International ist besorgt, dass die Belgrader Behörden bei der Räumung der BewohnerInnen von Belvil in ähnlicher Weise vorgehen werden wie bei den seit 2009 durchgeführten 16 Zwangsräumungen. In den meisten Fällen wird den Menschen eine Unterbringung in Metallcontainern angeboten. Diese befinden sich in abgetrennten Roma-Siedlungen in den Außenbezirken der Stadt, fernab von öffentlichen Leistungen der Stadt Belgrad. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Metallcontainer die menschenrechtlichen Kriterien für angemessenen Wohnraum nicht erfüllen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Bitte unterlassen Sie die rechtswidrige Zwangsräumung der Roma-Familien aus Belvil oder sonstigen Teilen Belgrads.

- Führen Sie stattdessen eine echte Konsultation mit allen Betroffenen durch, bei der Sie die möglichen Alternativen zu einer Vertreibung und die Möglichkeit einer Umsiedlung erwägen, dazu gehört auch die Bereitstellung angemessener Ersatzunterkünfte.

- Stellen Sie sicher, dass eine Räumung nur dann durchgeführt wird, wenn alle anderen Möglichkeiten geprüft wurden und alle rechtlichen und anderen Schutzmaßnahmen in Kraft sind, dazu gehört ein umfassender Umsiedlungs- und Entschädigungsplan für alle Betroffenen.


APPELLE AN

BÜRGERMEISTER VON BELGRAD
Dragan Djilas
Dragoslava Jovanovica 2, Belgrade 11000, SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Mr Djilas / Sehr geehrter Herr Djilas)
E-Mail: gradonacelnik@beogradsg.org.rs oder
natasa.golubovic@beogradsg.org.rs


KOPIEN AN

MINISTER FÜR ARBEIT UND SOZIALES
Rasim Ljajic
Ministarstvo rada i socijalne politike
Nemanjina 22-24, 11000 Beograd, SERBIEN
E-Mail: ministar@minrzs.gov.rs

PRÄSIDENT DER REPUBLIK SERBIEN
Boris Tadic
Predsednik Republike Srbije
Andricev Venac 1
11000 Beograd
SERBIEN
E-Mail: kontakt.predsednik@predsednik.rs

BOTSCHAFT DER REPUBLIK SERBIEN
S.E. Herrn Prof. Dr. Ivo Viskovic
Taubertstraße 18
14193 Berlin
Fax: 030-825 2206
E-Mail: info@botschaft-serbien.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Serbisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. April 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urging the city authorities not to forcibly evict the Roma families living in Belvil or elsewhere in Belgrade.

- Urging them to undertake a genuine consultation with all affected people on all feasible alternatives to evictions and on options for resettlement, including the provision of adequate housing.

- Urging them to ensure that evictions are undertaken only as last resort, and after all legal protections and safeguards are in place including a comprehensive resettlement and compensation plan for all those affected.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN FORTSETZUNG

Die Unterkünfte in Belvil bestehen aus recycelten Materialien wie Holz und Karton, Ziegelsteinen und anderen aufgelesenen Baustoffen. Die meisten Familien errichten ihre Unterkünfte selbst. Die meisten BewohnerInnen von Belvil verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln und Verkaufen von Altmetall oder wiederverwertbaren Materialien, die sie im Stadtzentrum reichlich finden. Sie lagern die gesammelten Funde in der Siedlung. Im Fall einer Zwangsräumung verlieren sie ihre einzige Einnahmequelle.

Unter dem Völkerrecht werden bei rechtswidrigen Zwangsräumungen eine Reihe von Menschenrechten grob verletzt, darunter das in Artikel 11.1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte garantierte Recht auf angemessene Unterkunft und der in Artikel 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verbriefte Anspruch auf Schutz vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in das Privatleben, die Familie und die Wohnung. Serbien ist Vertragsstaat beider Pakte. Das Recht auf angemessene Unterkunft umfasst das Recht auf den Schutz vor rechtswidrigen Zwangsräumungen. Eine rechtswidrige Zwangsräumung ist die Vertreibung von Menschen aus ihren Wohnstätten oder von ihrem Land, ohne rechtlichen Schutz und andere Schutzmaßnahmen, die die vorherige Konsultation der Betroffenen umfasst, sowie die frühzeitige und angemessene Unterrichtung der Betroffenen über das Räumungsvorhaben, die Bereitstellung angemessener und alternativer Unterkünfte und den Zugang zu Rechtsmitteln. Alle Menschen haben ein Recht auf diese Schutzmaßnahmen, ungeachtet dessen, ob sie die betreffende Wohnstätte gemietet, gepachtet oder gekauft haben.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-085/2012, AI-Index: EUR 70/007/2012, Datum: 19. März 2012 - mr
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2012