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AKTION/862: Urgent Action - Serbien - Wieder droht Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-323/2011-1, AI-Index: EUR 70/028/2011, Datum: 21. November 2011 - ns

Serbien
Wieder droht Zwangsräumung


27 ROMA-FAMILIEN in Belgrad

27 Roma-Familien, darunter auch Vertriebene aus dem Kosovo, droht die unmittelbare Vertreibung aus ihren Wohnungen in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Verantwortlich für die bevorstehende Zwangsräumung ist die serbische Regierung. Sie hat den Familien bis jetzt keine angemessenen Ersatzunterkünfte angeboten.

Am 16. November forderte die Aufsichtsbehörde der Stadt Belgrad 27 Familien, die in Block 61 in Neu-Belgrad leben, auf, ihre Wohnungen innerhalb von 24 Stunden zu verlassen, bevor diese abgerissen werden. Die Behörden gaben an, dass sie ab dem Tag der Bekanntgabe der Zwangsräumung einen Zeitraum von 15 Tagen für die Einreichung von Rechtsmitteln einräumen werden, aber dass sie laut serbischem Gesetz jederzeit mit der Zwangsräumung fortfahren könnten.

Die Stadt Belgrad teilte den Roma am 1.November mit, dass die Zwangsräumung aufgrund der Bitte der staatlichen serbischen Baubehörde, die Geschäftsgebäude auf dem Gelände errichten möchte, durchgeführt wird. Die Siedlung befindet sich auf einem Grundstück der serbischen Regierung. Diese gab vor weniger als drei Monaten ihr Einverständnis zu dem Bauprojekt. Damit wäre dies die erste Zwangsräumung einer Roma-Siedlung in Belgrad auf Betreiben der Regierung. Die Vertreibung wird wahrscheinlich bald stattfinden, da das Baunternehmen noch vor Ende des Jahres mit den Bauarbeiten beginnen möchte. Wenn alles nach Plan der Regierung verläuft, soll die Zwangsräumung im Dezember stattfinden. Zu dieser Jahreszeit liegen die Außentemperaturen häufig im Minusbereich.

20 der 27 Familien sind Binnenvertriebene, die nach dem Krieg im Kosovo 1999 von dort geflohen waren. Viele ihrer Kinder sind in Serbien zur Welt gekommen. Die Familien sind nicht im Vorfeld zu der bevorstehenden Räumung konsultiert worden, und ihnen wurde auch keine alternative Unterkunft angeboten, wie es das Völkerrecht vorschreibt. Falls die Zwangsräumung wie geplant durchgeführt wird, könnten die Roma-Familien gezwungen sein, in Containersiedlungen zu wohnen, während die Binnenvertriebenen dazu angehalten werden könnten, in den Kosovo zurückzukehren bzw. in verlassenen Häusern in Dörfern im Norden Belgrads oder in Kollektivunterkünften für Flüchtlinge zu wohnen, die keine angemessenen Ersatzunterkünfte darstellen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Zahl rechtswidriger Zwangsräumungen von Roma-Gemeinden in informellen Siedlungen in Belgrad ist in kurzer Zeit sehr stark gestiegen. Serbien ist Vertragsstaat internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen, die rechtswidrige Zwangsräumungen untersagen. Zu diesen Menschenrechtsverträgen gehört der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 ausgeführt: "Räumungen dürfen nicht dazu führen, dass Menschen obdachlos werden oder in Gefahr geraten, anderweitige Menschenrechtsverletzungen zu erleiden". Die serbische Regierung verhindert die Vertreibung von Roma aus der Stadt Belgrad nicht. Viele der vertriebenen Roma verlieren nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre Lebensgrundlage und ihr Hab und Gut.

Binnenvertriebene aus dem Kosovo sind besonders schutzbedürftig. Im Jahr 2009 teilte der damalige Repräsentant des UN-Generalsekretärs für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen, Walter Kälin, mit, dass "fast ein Drittel aller binnenvertriebenen Roma (32% gegenüber 6,9% Binnenvertriebener, die nicht Roma sind) in der Studie berichtet hatten, dass sie in Gebäuden lebten, die nicht als Wohnraum gedacht waren". Kälin gab auch seiner Sorge über die steigende Zahl von Zwangsräumungen von Roma in Belgrad Ausdruck, darunter auch die Räumung von Binnenvertriebenen aus dem Kosovo aus informellen Siedlungen, um Platz für Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hand zu schaffen. Er empfahl, dass die Regierung in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und der serbischen Ombudsperson klare und einheitliche Richtlinien entwickeln sollte, die der Gemeindeverwaltung und anderen Behörden eine Orientierung geben, wie solche Fälle unter Einhaltung der internationalen Standards gehandhabt werden müssen.

Die serbische Ombudsperson traf sich am 15. und 18. November mit VertreterInnen der Stadt Belgrad, Nichtregierungsorganisationen, dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge und Angehörigen des Ministeriums für Menschenrechte sowie des Ministeriums für Städtebau. Eines der Ergebnisse dieses Treffens war die Gründung eines Ausschusses, der für die Zwangsräumung zuständig ist und die Betroffenen konsultieren soll. Der Ausschuss setzt sich aus VertreterInnen des nationalen Rates für Roma (National Roma Council) und der Roma-Dekade (Deacade of Roma), zwei VertreterInnen aus Block 61 (jeweils ein Vertreter der Binnenvertriebenen und einer der örtlichen Roma) sowie Nichtregierungsorganisationen und öffentlichen Agenturen zusammen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE, FAXE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Stoppen Sie die Vertreibung der Roma-Familien aus Block 61 in Belgrad, denn sie würde einen Verstoß gegen die Verpflichtungen Serbiens nach dem Völkerrecht darstellen.

- Stellen Sie bitte sicher, dass die betroffenen Familien angemessene Ersatzunterkünfte erhalten.

- Stellen Sie Unterstützung und Schutz für Binnenvertriebene zur Verfügung, die in Serbien in informellen Siedlungen wohnen, wie es die UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen verlangen.


APPELLE AN

BÜRGERMEISTER DES STADTBERZIRKS NEU-BELGRAD
Nenad Milenkovic
Bulevar Mihaila Pupina 167
11000 Belgrade, SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Mayor / Sehr geehrter Herr Bürgermeister)
Fax: (00 381) 11 311 25 76

STELLVERTRETENDER MINISTERPRÄSIDENT
Bozidar Djelic
Nemanjina 11, 11 000 Belgrade
SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Sir / sehr geehrter Herr stellvertretender Ministerpräsident)
Fax: (00 381) 11 361 75 97
Email: kabinet.potpredsednika@gov.rs

MINISTER FÜR MENSCHENRECHTE UND DIE RECHTE VON MINDERHEITEN, ÖFFENTLICHE VERWALTUNG UND LOKALE SELBSTVERWALTUNG
Milan Markovic
Bircaninova 6
11 000 Belgrade, SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Minister /Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 381) 11 268 53 96
E-Mail: kabinet@mduls.gov.rs


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER REPUBLIK SERBIEN
S.E. Herrn Prof. Dr. Ivo Viskovic
Taubertstraße 18
14193 Berlin
Fax: 030-825 2206
E-Mail: info@botschaft-serbien.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Serbisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. Dezember 2011 keine Appelle mehr zu verschicken. Weitere Informationen zu UA-323/2011 (EUR 70/026/2011, 2. November 2011)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Stop the forced eviction of Roma families living in Block 61 in Belgrade, which violates Serbia's responsibilities under international law.

- Provide adequate alternative housing for the families affected.

- Provide assistance and protection to internally displaced persons living in informal settlements in Serbia as required by the UN Guiding Principles on Internal Displacement.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die Regierung hat die Roma aus dem Kosovo zwar als Binnenvertriebene anerkannt, jedoch binnenvertriebenen Roma, die in informellen Siedlungen leben, weder Grundrechte noch andere Schutzmaßnahmen wie in den UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen dargelegt, zugestanden. Dazu gehören ein angemessener Lebensstandard einschließlich notwendiger Nahrung und Trinkwasser, Unterbringung und Wohnen, medizinische Versorgung und sanitäre Anlagen.

Binnenvertriebenen Roma in informellen Siedlungen werden diese Rechte nicht gewährt. Diese Räumung wird die dritte Zwangsräumung in Belgrad innerhalb eines Monats sein. UnterstützerInnen, die versuchten, Zwangsräumungen zu verhindern, wurden festgenommen. Die serbische Regierung hat ihre Verpflichtungen gemäß der vorher genannten Abkommen nicht erfüllt. Hierzu zählt auch die Einführung eines Gesetzes, dass rechtswidrige Zwangsräumungen untersagt und sicherstellt, dass die Verfahrensabläufe und Schutzmaßnahmen der UN-Grundsätze und Prinzipien zur Räumung und Umsiedlung im Rahmen von Entwicklungsprojekten in Kraft sind, ehe Zwangsräumungen durchgeführt werden. VertreterInnen von Amnesty International trafen sich im Oktober mit der serbischen Regierung und übergaben ihr dabei eine Petition mit über 20.000 Unterschriften, die ein gesetzliches Verbot rechtswidriger Zwangsräumungen fordert. Die Zustimmung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bozidar Djelic zu einem solchen Gesetz steht noch aus.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-323/2011-1, AI-Index: EUR 70/028/2011, Datum: 21. November 2011 - ns
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2011