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AKTION/783: Urgent Action - Syrien - Menschenrechtler erneut verhaftet


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-273/2011, AI-Index: MDE 24/053/2011, Datum: 13. September 2011 - gs

Syrien
Menschenrechtler erneut verhaftet


Herr MOHAMMED NAJATI TAYYARA

Der 65 Jahre alte Mohammad Najati Tayyara, ein engagierter Menschenrechtsverteidiger, befindet sich seit dem 12. Mai 2011 in Haft. Er wurde festgenommen, nachdem er in Interviews mit den Medien Übergriffe syrischer Regierungskräfte gegen Demonstrierende angesprochen hatte. Ein Richter ordnete am 29. August 2011 die Freilassung von Mohammad Najati Tayyara an, doch wurde der Menschenrechtler Berichten zufolge noch am selben Tag vom Nachrichtendienst der Luftwaffe erneut festgenommen und dann in Haft geschlagen.

Mohammed Najati Tayyara, Lehrer im Ruhestand, wurde am 12. Mai 2011 vom Politischen Sicherheitsdienst Syriens festgenommen, nachdem MitarbeiterInnen des Dienstes seinen Wagen in der Stadt Homs im Nordwesten des Landes angehalten hatten. Mohammed Najati Tayyara war mit einem Freund in dem Auto unterwegs gewesen. Nach Angaben aus syrischen Quellen wurde der ehemalige Lehrer einem Strafrichter vorgeführt und nach Paragraph 286 des Strafgesetzbuchs der "Verbreitung falscher Informationen mit möglicherweise negativen Auswirkungen auf die Moral der Bevölkerung" angeklagt. Die Behörden wiesen Mohammed Najati Tayyara in das Zentralgefängnis von Homs ein, wo er unter extrem beengten Verhältnissen untergebracht wurde. Berichten zufolge teilte er die Zelle mit rund 300 weiteren Häftlingen, für die nur eine einzige Toilette zur Verfügung stand. Am 29. August ordnete ein Richter an, Mohammed Najati Tayyara bis zur Eröffnung seines Prozesses gegen Kaution aus der Haft zu entlassen. Aus einer syrischen Quelle verlautete, der ehemalige Lehrer sei noch im Gefängnis von MitarbeiterInnen des Geheimdienstes der Luftwaffe erneut festgenommen und in eine als "Gefängnis al-Boloneh" bekannte Hafteinrichtung des militärischen Nachrichtendienstes in Homs gebracht worden. Dort scheint Mohammed Najati Tayyara während der Verhöre auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen worden zu sein. Elf Tage später wurde er in das Zentralgefängnis von Homs zurückverlegt. Mohammed Najati Tayyara leidet unter Bluthochdruck und muss deshalb täglich Medikamente einnehmen. Außerdem ist er offenbar an Prostatakrebs erkrankt, so dass um sein Wohlergehen gebangt wird. Mohammed Najati Tayyara hat kürzlich in Interviews unter anderem mit der BBC und dem Sender Al Jazeera über Anschläge der syrischen Sicherheitskräfte auf Menschen berichtet, die in Homs für Reformen demonstriert hatten. An den syrischen Präsident Bashar al-Assad richtete der Menschenrechtsverteidiger den eindringlichen Appell, weitere Gewalt gegenüber den Protestierenden zu unterbinden. Möglicherweise ist Mohammed Najati Tayyara in Haft genommen worden, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung in friedlicher Weise ausgeübt hat. In diesem Fall würde es sich bei ihm einen gewaltlosen politischen Gefangenen handeln.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die syrischen Sicherheits- und Geheimdienste verfügen bereits seit Jahrzehnten über weitreichende Befugnisse. Ihr Handeln unterliegt keiner richterlichen Kontrolle. Die Folge sind willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt sowie Folter und anderweitige Misshandlungen an politisch verdächtigen Personen. Seit März 2011 ist die Zahl der Berichte über Folter und Misshandlung an Gefangenen deutlich angestiegen.

Die Demonstrationen für Reformen in Syrien entwickelten sich Mitte März zu Massenprotesten. Die syrischen Sicherheitskräfte haben seither im ganzen Land Tausende Menschen verhaftet. Die weitgehend friedlich Demonstrierenden fordern mehr Rechte und Freiheiten und das Ende der Herrschaft von Präsident Bashar-al Assad. Und obwohl die Demonstrationen größtenteils friedlich verlaufen, reagieren die syrischen Behörden mit großer Brutalität. Amnesty International hat von zahlreichen Meldungen über Folterungen und andere Misshandlungen an Gefangenen Kenntnis erhalten. Mehr als 90 Menschen im Alter zwischen 13 und 72 Jahren sollen in der Haft zu Tode gekommen sein, viele von ihnen offenbar infolge tätlicher Übergriffe des Wachpersonals. Amnesty International liegen die Namen von rund 2100 Menschen vor, die seit Mitte März während der Proteste oder im Zusammenhang mit den Demonstrationen ums Leben gekommen sind. Die meisten der Opfer scheinen von den Sicherheitskräften erschossen worden zu sein, die mit scharfer Munition gegen die TeilnehmerInnen an friedlichen Protestveranstaltungen und an Beisetzungen von anderen getöteten Demonstrierenden einschritten.

Homs ist Schauplatz mehrerer großer Protestveranstaltungen gewesen, auf welche die Sicherheitskräfte mit Repression geantwortet haben. Bis Mitte August sind dort nach Kenntnis von Amnesty International mehr als 430 Menschen während oder im Kontext von Demonstrationen ums Leben gekommen, mehr als 200 von ihnen in den ersten beiden Augustwochen. 40 Menschen sind Berichten zufolge in der Haft gestorben, davon elf in den ersten zwei Wochen des August. Am 1. September startete Amnesty International eine Eilaktion zugunsten des Menschenrechtsverteidigers Mohammed Iyyad Tayyara, Neffe des Menschenrechtlers Mohammed Najati Tayyara. Mohammed Iyyad Tayyara befindet sich seit seiner Festnahme am 28. August 2011 ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Vermutlich hält ihn der militärische Geheimdienst in Gewahrsam. Es muss befürchtet werden, dass Mohammed Iyyad Tayyara gefoltert oder misshandelt wird. Die Behörden haben über seinen Haftort - soweit bekannt - keine Angaben gemacht. Vor seiner Festnahme hatte Mohammed Iyyad Tayyara in Homs begangene Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und die von ihm zusammengetragenen Informationen an Menschenrechtsorganisationen weitergeleitet. Er hatte sich ferner an friedlichen Protesten beteiligt (siehe:
//http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE24/046/2011/en).
Mohammed Najati Tayyara ist Gründungsmitglied der syrischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Association of Syria.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass Mohammad Najati Tayyara offenbar nur deshalb in Haft gehalten wird, weil er das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die TeilnehmerInnen an den Protesten für Reformen in Syrien in friedlicher Weise kritisiert hat. In diesem Fall würde es sich bei ihm um einen gewaltlosen politischen Gefangenen handeln, der unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden muss.

- Ich nehme mit Sorge zur Kenntnis, dass die anhaltende Inhaftierung von Mohammad Najati Tayyara anscheinend ohne gesetzliche Grundlage und unter Missachtung einer gerichtlichen Anweisung erfolgt, den Gefangenen frei zu lassen.

- Ich fordere Sie auf, Mohammed Najati Tayyara vor Folter und Misshandlungen zu schützen und dafür zu sorgen, dass er bei Bedarf medizinisch versorgt wird.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency/Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410

VERTEIDIGUNGSMINISTER
General Dawood Rajiha
Minister of Defence
Omayyad Square
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency/Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 666 2460


KOPIEN AN

INNENMINISTER
Major General Mohamad Ibrahim al-Shaar
Minister of Interior
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency/Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 311 0554

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herrn Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de,
press@syrianembassy.de, secretary@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Oktober 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Express concern that Mohammed Najati Tayyara may be held solely for peacefully expressing his views on the actions of the security forces against pro-reform protesters, in which case he is a prisoner of conscience and should be released immediately and unconditionally.

- Express concern also that his continuing detention appears to be unlawful by breaching a court order for his release.

- Urge the authorities to take all measures to ensure he is protected from torture and other ill-treatment, and is given any medical attention he needs.


*


Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-273/2011, AI-Index: MDE 24/053/2011, Datum: 13. September 2011 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2011