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AKTION/774: Urgent Action - Israel - Militärgericht verlängert Verwaltungshaft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-127/2011-2, AI-Index: MDE 15/031/2011, Datum: 9. September 2011 - gs

Israel / Besetzte Palästinensische Gebiete
Militärgericht verlängert Verwaltungshaft

Weitere Informationen zu UA-127/2011 (MDE 15/024/2011, 6. Mai 2011, und MDE 15/026/2011, 2. Juni 2011)


AHMAD QATAMESH, Dozent und Schriftsteller

Die gegen den palästinensischen Dozenten Ahmad Qatamesh verhängte Verwaltungshaft ist am 2. September um sechs Monate verlängert worden. Eine Überprüfung der Haftanordnung durch die Militärjustiz ist vertagt worden. Ahmad Qatamesh bleibt vorläufig in staatlichem Gewahrsam und kann erst nach erfolgter Überprüfung der Anordnung Rechtsmittel gegen die Fortdauer seiner Haft einlegen.

Ahmad Qatamesh befindet sich seit dem 21. April 2011 in Haft. Am 2. September lief die ursprüngliche Haftanordnung ab, wurde jedoch noch am selben Tag von dem für das Westjordanland zuständigen Militärbefehlshaber der Israelischen Streitkräfte (Israel Defense Forces - IDF) um sechs Monate verlängert. Ahmad Qatamesh wurde in seiner Zelle im Ofer-Haftzentrum über die Verlängerung seiner Haft informiert, eine Kopie der entsprechenden Anordnung ging per Fax an seinen Rechtsanwalt.

Die Anordnung für eine Verwaltungshaft muss innerhalb von acht Tagen von der Militärgerichtsbarkeit geprüft werden. Der zuständige Richter kann die Haft aussetzen oder die Haftzeit verkürzen, in der Regel macht er von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch. Im Fall von Ahmad Qatamesh gab der Richter einem Antrag der Militärstaatsanwaltschaft statt und vertagte den für den 5. September anberaumten Überprüfungstermin auf unbestimmte Zeit. Der Rechtsanwalt von Ahmad Qatamesh geht davon aus, dass ein neuer Termin für Ende September angesetzt werden wird. Vor Abschluss der Überprüfung kann die Haftanordnung nicht angefochten werden.

Das Verfahren gegen Ahmad Qatamesh war von seiner Festnahme an von Verzögerungen und Unregelmäßigkeiten durchsetzt. Die ursprünglich für den 12. Mai anberaumte Überprüfung musste auf den 15. Mai vertagt werden, weil ein Vertreter des Israelischen Sicherheitsdienstes (Israel Security Agency - ISA) nicht zu dem Termin erschienen war, um das geheime Beweismaterial zu präsentieren, das angeblich eine Fortdauer der Haft von Ahmad Qatamesh notwendig macht. Am 19. Mai bestätigte der Militärrichter die Inhaftierungsanordnung, verkürzte jedoch die Dauer der Haft von sechs auf vier Monate. Wie bereits erwähnt verzögert sich die Überprüfung der neuerlichen sechsmonatigen Haftordnung.

Amnesty International geht davon aus, dass Ahmad Qatamesh ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der ausschließlich wegen der friedlichen Äußerung seiner politischen Ansichten in Haft gehalten wird. Nach Auskunft seiner Ehefrau und seines Rechtsanwalts ist Ahmad Qatamesh seit seiner Festnahme am 21. April gerade einmal zehn Minuten lang vernommen worden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Akademiker und Schriftsteller Ahmad Qatamesh hat in der Vergangenheit sowohl an den israelischen als auch den palästinensischen Behörden Kritik geübt. Nach seiner Festnahme durch den Israelischen Sicherheitsdienst im Jahr 1992 hatte ein Richter nach mehr als einem Jahr Haft die Freilassung von Ahmad Qatamesh gegen Kaution angeordnet, woraufhin gegen ihn Verwaltungshaft erlassen worden war. Ahmad Qatamesh berichtete, er sei während der Verhöre gefoltert worden. Später verfasste er ein Buch über seine Erfahrungen mit dem Titel I shall not wear your tarboosh (Ich werde mir Euren Hut nicht aufsetzen). Die gegen Ahmad Qatamesh verhängte Verwaltungshaft wurde mehrfach verlängert, bis er schließlich am 15. April 1998 seine Freiheit zurückerhielt. Amnesty International hatte sich in all den Jahren gegen die anhaltende Inhaftierung von Ahmad Qatamesh ohne Anklageerhebung eingesetzt.

Die jüngste Festnahme und Inhaftierung von Ahmad Qatamesh ist von zahlreichen verfahrensrechtlichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Er wurde am 21. April gegen 14.00 Uhr in einer Wohnung in al-Bireh in Ramallah verhaftet. Zunächst hatten die Sicherheitskräfte ihn in der Wohnung seiner Familie festnehmen wollen. Als sie Ahmad Qatamesh dort nicht antrafen, brachen sie die Tür zum Nachbarhaus auf. Nach Auskunft seiner Tochter wurde sie mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihren Vater anzurufen. Von der Ehefrau von Ahmad Qatamesh erfuhr Amnesty International, dass er den Sicherheitskräften daraufhin den Weg zu dem Haus beschrieb, in dem er sich aufhielt, damit sie ihn dort festnehmen können. Die Ehefrau gab ferner an, die Sicherheitskräfte hätten weder die Wohnung der Familie noch das Haus durchsucht, in dem die Festnahme ihres Mannes stattfand.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass Ahmad Qatamesh aufgrund der friedlichen Äußerung seiner politischen Ansichten in Haft gehalten wird. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, betrachtet Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.

- Ich bitte um die unverzügliche Freilassung von Ahmad Qatamesh, sofern er nicht umgehend einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt und unter Wahrung internationaler Standards in einem fairen Prozess vor Gericht gestellt wird.

- Ich fordere Sie höflich dazu auf, von dem Gebrauch der Verwaltungshaft abzusehen.


APPELLE AN

MILITÄRSTAATSANWALT
Major-General Avihai Mandelblit
6 David Elazar Street, Hakirya, Tel Aviv, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Judge Advocate General /Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 972) 3 569 4526
E-Mail: avimn@idf.gov.il

IDF-BEFEHLSHABER IN DER WESTBANK
Major General Avi Mizrahi
GOC Central Command
Military Post 01149, Battalion 877
Israel Defense Forces, ISRAEL (korrekte Anrede: Dear Major-General Avi Mizrahi / Sehr geehrter Herr Generalmajor)
Fax: (00 972) 2 530 5741 oder (00 972) 2 530 5724

STELLVERTRETENDER MINISTERPRÄSIDENT UND VERTEIDIGUNGSMINISTER
Ehud Barak
Ministry of Defence
37 Kaplan Street, Hakirya
Tel Aviv 61909, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 972) 3 696 2757


KOPIEN AN
BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E. Herrn Yoram Ben Zeev
Auguste-Viktoria-Straße 74-76, 14193 Berlin
Fax: (030) 8904 5555
E-Mail: botschaft@israel.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 21. Oktober 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Ahmad Qatamesh may be a prisoner of conscience, detained solely for the peaceful exercise of his right to freedom of expression, in which case he should be released immediately and unconditionally.

- Urging the authorities otherwise to release Ahmad Qatamesh without delay unless he is to be charged with a recognizably criminal offence and promptly tried in accordance with internationally accepted standards for fair trial.

- Calling on the authorities to end the use of administrative detention.


FORTSETZUNG HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Vor Erlass der auf sechs Monate lautenden Verwaltungshaftanordnung hatte ein Mitarbeiter des Militärgerichts dem Rechtsanwalt von Ahmad Qatamesh mitgeteilt, sein Mandant werde am Nachmittag des 3. Mai um 17.00 Uhr frei gelassen. Auch ein Vollzugsbeamter des Gefängnisses hatte diese Uhrzeit als Zeitpunkt der Freilassung von Ahmad Qatamesh bestätigt. Tatsächlich scheint die Anweisung zur Fortdauer der Haft einem anderen Gefangenen gegolten zu haben, denn der Name von Ahmad Qatamesh stand auf einem entsprechenden Dokument an einer Stelle geschrieben, an der zunächst ein anderer Name eingetragen, aber mit Korrekturflüssigkeit wieder entfernt worden war. Zudem war in dem Dokument von einer "Verlängerung" der Haft die Rede, während Ahmad Qatamesh - abgesehen von einer Haftzeit in den 1990er Jahren - erstmals in Gewahrsam einsaß. Seinem Rechtsanwalt wurde später mitgeteilt, der Sicherheitsdienst ISA habe die Inhaftierung von Ahmad Qatamesh auf der Grundlage geheimer "Beweise" angeordnet, denen zufolge er der Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine - PFLP) angehört. Ahmad Qatamesh hat stets bestritten, Mitglied der PFLP zu sein. Wie in Verwaltungshaftverfahren üblich erhielten weder Ahmad Qatamesh noch sein Verteidiger Einblick in die "Beweisunterlagen".

Am 19. Mai bestätigte die mit dem Fall befasste Militärrichterin die Haftanordnung gegen Ahmad Qatamesh, verkürzte jedoch die Haftdauer auf vier Monate. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass die ursprüngliche Haftanordnung vom 3. Mai fehlerhaft gewesen war. Sie kam zu dem Schluss, dass die fragliche Anordnung einem anderem Gefangenen gegolten hat und umgeschrieben worden war, um sie gegen Ahmad Qatamesh einsetzen zu können. Gleichwohl entschied die Richterin, das geheime Beweismaterial des ISA rechtfertige aus Sicherheitsgründen die Fortdauer der Haft von Ahmad Qatamesh. Die Regelungen zur Verwaltungshaft ermöglichen es den israelischen Behörden, Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren bis zu sechs Monate lang in Gefangenschaft zu halten. Nach Ablauf der sechs Monate können beliebig oft neue Verwaltungshaftanordnungen erlassen werden. Gegen Verwaltungshäftlinge werden weder strafrechtlich relevante Anklagen erhoben noch Gerichtsverfahren eingeleitet. Sie werden vielmehr auf der Grundlage "geheimer Beweise" in Gewahrsam gehalten, die offen zu legen die israelischen Behörden unter Verweis auf Sicherheitsbelange ablehnen. Auch vor den Gefangenen selbst und ihren AnwältInnen halten die Behörden derartige "Beweise" unter Verschluss, was eine Anfechtung der Haftgründe unmöglich macht. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben die israelischen Behörden Zehntausende PalästinenserInnen in Verwaltungshaft genommen, seit drei Jahren sind die Zahlen allerdings rückläufig. Im Juli 2011 befanden sich nach Angaben der israelischen Strafvollzugsbehörden 243 PalästinenserInnen in Verwaltungshaft.

Bei der PFLP handelt es sich um eine politische Partei der PalästinenserInnen, die auch einen bewaffneten Flügel unterhält. Ahmad Qatamesh hat die PFLP in den 1990er Jahren politisch und intellektuell unterstützt, ist aber nach eigener Aussage seit 13 Jahren nicht mehr für die Partei aktiv. Mit der PFLP nahe stehenden bewaffneten Gruppen hat er nach Kenntnis von Amnesty International keinen Kontakt, und auch die Anwendung von Gewalt hat er allem Anschein nach nicht befürwortet.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-127/2011-2, AI-Index: MDE 15/031/2011, Datum: 9. September 2011 - gs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2011