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AKTION/729: Urgent Action - Saudi-Arabien - Drohende Folter in Haft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-242/2011, AI-Index: MDE 23/020/2011, Datum: 11. August 2011 - mf

Saudi-Arabien
Drohende Folter in Haft


Herr TAWFIQ JABER IBRAHIM AL-'AMR

Der schiitische Geistliche Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr wurde am 3. August festgenommen. Amnesty International befürchtet, dass er nur aufgrund der friedlichen Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurde und daher ein gewaltloser politischer Gefangener ist.

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr wurde am Abend des 3. Augusts auf dem Heimweg von der Moschee in der Stadt al-Hafouf in der Provinz al-Ahsa festgenommen. Erst am 8. August erfuhr seine Familie, dass er auf einer Polizeistation im Westen der Stadt Dammam festgehalten wird und durfte ihn besuchen. Bis dahin hatte man ihn ohne Kontakt zur Außenwelt in Einzelhaft gehalten. Berichten zufolge wurde er wegen "Aufwiegelung" aufgrund von Aussagen in seiner Predigt während der Freitagsgebete festgenommen.

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr soll einige Tage vor seiner Festnahme einen Brief von Behörden erhalten haben, indem Sie ihn ohne Angabe von Gründen aufforderten, sich bei ihnen zu melden. Scheinbar hat er das nicht getan.

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr ist ein schiitischer Geistlicher der Provinz Al-Ahsa. Er wurde bereits am 27. Februar festgenommen, weil er Reformen in Saudi-Arabien gefordert hatte. In seiner Predigt vom 25. Februar hatte er über die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform in Saudi-Arabien hin zu einer konstitutionellen Monarchie, der gerechten Verteilung von Arbeitsplätzen und einem Ende der Diskriminierung religiöser Minderheiten gesprochen. Am 6. März ließ man ihn ohne Anklage nach einer Woche in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt frei. Auch die jüngste Inhaftierung steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinen Reformforderungen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-Amr war bereits vor rund drei Jahren für etwa drei Tage in Haft genommen worden. Der Auslöser für seine damalige Festnahme war offenbar eine Kunstausstellung gewesen, die er zum schiitischen Ashura-Fest vorbereitet hatte. Vor rund zwei Jahren wurde er erneut festgenommen und rund zehn Tage lang in Gewahrsam gehalten, offenbar wegen seiner Auslegung gewisser Aspekte des schiitischen Glaubens. Kurz nach seiner Freilassung wurde er einem Gericht vorgeführt und der Aufwiegelung gegen die Regierung angeklagt. Um der Staatsanwaltschaft Zeit zur Untermauerung der Anklage einzuräumen, wurde der Prozess vertagt. Seitdem scheint das Verfahren auf der Stelle zu treten.

KritikerInnen der saudi-arabischen Regierung drohen in staatlichem Gewahrsam schwere Menschenrechtsverletzungen. Oft werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Anklage in Haft, manchmal auch in Einzelhaft, gehalten und können weder Rechtsbeistände noch die Gerichte einschalten, um die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung prüfen zu lassen. Haft ohne Kontakt zur Außenwelt und Einzelhaft sind in Saudi-Arabien gängige Praxis. Ebenso wie Folterungen und Misshandlungen dienen sie dem Zwecke, Geständnisse zu erzwingen, nicht "reuige" Gefangene zu bestrafen oder sie von weiteren kritischen Äußerungen über die Regierung abzuhalten. Oftmals werden Menschen so lange von der Außenwelt abgeschnitten in Haft gehalten, bis sie schließlich ein Geständnis ablegen. Dies kann Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.

Saudi-Arabien ist Vertragsstaat des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das die Verwendung von Beweismitteln verbietet, die durch Folter oder andere Misshandlung zustande gekommen sind. In Artikel 15 heißt es wörtlich: "Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde".

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind Sunniten, der Wahhabismus ist die offizielle Staatsreligion. Das öffentliche Praktizieren anderer Glaubensrichtungen wird in Saudi-Arabien nicht toleriert. Selbst wenn sie ihren Glauben in privatem Rahmen praktizieren, droht Andersgläubigen Strafverfolgung. Gläubige der Gemeinschaft der Schiiten müssen damit rechnen, willkürlich festgenommen und in Haft gehalten zu werden. Aus Furcht vor Strafverfolgung wagen sie es nicht, ihren Glauben öffentlich zu praktizieren. Wer festgenommen wird, bleibt häufig ohne Anklageerhebung in Haft und schwebt in der Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Falls Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr nur aufgrund der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit festgehalten wird, betrachtet Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine unverzügliche und bedingungslose Freilassung.

- Ich appelliere an Sie, sicherzustellen, dass Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt wird, Zugang zu jeglicher notwendiger medizinischer Versorgung erhält und regelmäßig von seiner Familie und seinem Rechtsbeistand besucht werden kann.

- Ich bitte darum, die gegen Scheich Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr erhobenen Anklagen detailliert bekannt zu geben und sicherzustellen, dass eventuell gegen ihn eingeleitete rechtliche Schritte internationalen Standards für faire Prozesse entsprechen.


APPELLE AN

KÖNIG
His Majesty King 'Abdullah Bin 'Abdul 'Aziz Al-Saud
The Custodian of the two Holy Mosques
Office of His Majesty the King
Royal Court
Riad, SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Majesty/ Majestät)
Fax: (00 966) 1 403 3125 (über das Innenministerium, bitte mehrmals versuchen)

GOUVERNEUR DER OSTPROVINZ
Prince Muhammad bin Fahd bin Abdul-Aziz Al Saud
Eastern Province
King Abdel-Aziz Street
Dammam 31179
SAUDI-ARABIEN
(korrekte Anrede: Your Royal Highness/ Königliche Hoheit)
Fax: (00 966) 3 833 4000
E-Mail: info@sharqiah.gov.sa


KOPIEN AN

VORSITZENDER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSKOMMISSION
Bandar Mohammed 'Abdullah Al-Aiban
President, Human Rights Commission
P.O. Box 58889
King Fahad Road, Building No. 373
Riad 11515
SAUDI-ARABIEN
E-Mail: hrc@haq-ksa.org

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS SAUDI-ARABIEN
S.E. Herrn
Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-8892 5179 oder 030-8892 5176
E-Mail: deemb@mofa.gov.sa


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. September 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE SEND APPEALS IMMEDIATELY

- Expressing concern that Sheikh Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr may be held solely for peacefully exercising his right to freedom of expression and association and that, if so, Amnesty International would consider him a prisoner of conscience and call for his immediate and unconditional release.

- Urging the authorities to ensure that Sheikh Tawfiq Jaber Ibrahim al-'Amr is protected from torture and other ill-treatment, and given regular access to his family, lawyer and any medical attention he may require.

- Asking them to publish details of any charges he faces and ensure that any legal proceedings against him conform to international fair trial standards.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Im Februar 2009 filmten Angehörige des Komitees zur Verhütung des Lasters und Verbreitung der Tugend (CPVPV), auch als Mutawa'een oder Religionspolizei bekannt, schiitische Frauen, die das Grab des Propheten Mohammed in Madina besuchten. Das verärgerte eine größere Gruppe schiitischer Männer und Frauen, die das Grab besuchten, und veranlasste sie dazu, vor den Büros der CPVPV in Medina für die Aushändigung des Videomaterials zu demonstrieren. Die Situation eskalierte in einer Reihe von Zusammenstößen, bei denen Angehörige der CPVPV die Protestierenden angriffen. Mehrere Demonstrierende wurden verletzt und mindestens neun Demonstrierende festgenommen, aber nach einer Woche Haft wieder freigelassen. Nach Angaben von Innenminister Prinz Naif bin Abdul Aziz Al Saud zählten auch eine Reihe von Sunniten zum Kreis der Festgenommenen. Der Vorfall löste in der Ostprovinz Proteste aus, in deren Folge mindestens zehn Schiiten verhaftet und inhaftiert wurden.

Am 14. März äußerte sich der Innenminister, als er die Festnahmen bekannt gab, mit den Worten: "Bürger haben Rechte und Pflichten; ihre Handlungen sollten der Ummah-Doktrin ("Ummah" bedeutet muslimische Gemeinde) nicht zuwiderlaufen. Es ist die Lehre der Sunniten und unserer rechtmäßigen Vorfahren. Es gibt Bürger, die einer anderen Schule folgen, die Intelligenten unter ihnen müssen diese Lehre respektieren."


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-242/2011, AI-Index: MDE 23/020/2011, Datum: 11. August 2011 - mf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2011