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AKTION/686: Reaktionen und Erfolge, Juni/Juli 2011


amnesty journal 06/07/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge - Juni/Juli 2011

- USA, Ukraine, Kirgistan, Simbabwe, Vietnam, Malaysia -
  Ausgewählte Ereignisse vom 10. März bis 16. April 2010
- Indien - Indischer Menschenrechtler freigelassen
- Kroatien - Kroatische Kriegsverbrecher verurteilt
- Indien - 140 Zeichen für die Freiheit
- Nigeria - Unabhängigkeit für Menschenrechtskommission
- Trinidad und Tobago - Hinrichtungen vorerst gestoppt
- Iran - UNO schickt Sonderberichterstatter in den Iran
- Syrien - Syrischer Menschenrechtsanwalt freigelassen
- Irak - Camp-Bewohner freigelassen


Ausgewählte Ereignisse vom 10. März bis 16. April 2010

USA
Ende März gelangten mehr als 700 geheime Dokumente über das US-Gefangenenlager Guantánamo an die Öffentlichkeit. "Sie bestätigen, was wir schon immer gesagt haben", teilte Susan Lee mit, Leiterin des Americas-Programms bei Amnesty. Viele Inhaftierte werden ohne rechtliche Grundlage festgehalten und haben keinen Zugang zum US-Justizsystem. Bislang wurden nur fünf Inhaftierte verurteilt. Ein Großteil der Guantánamo-Häftlinge wurde entlassen, ohne dass Anklage erhoben wurde.

UKRAINE
Bei ihrer Abschiebung aus der Ukraine sind acht afghanische Staatsangehörige schwer misshandelt worden. Die Männer waren drei Tage lang am Flughafen Boryspil in der Nähe von Kiew inhaftiert. "Die Berichte über die Misshandlungen müssen sofort untersucht werden", sagte Andrea Huber, stellvertretende Leiterin der Abteilung Europa und Zentralasien bei Amnesty. Außerdem dürfe die Ukraine Migranten nicht einfach abschieben, sondern müsse ihnen ein faires Asylverfahren garantieren.

KIRGISTAN
Bei ethnischen Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken im Juni 2010 wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Das hat eine internationale Untersuchungskommission festgestellt. "Die kirgisischen Behörden müssen diese Verbrechen aufklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen", sagte Nicola Duckworth, Leiterin der Abteilung Europa und Zentralasien bei Amnesty. Die Auseinandersetzungen forderten rund 470 Menschenleben, Tausende wurden verletzt. Ein Großteil der Opfer waren ethnische Usbeken.

SIMBABWE
Im Norden Simbabwes wurde im März ein Massengrab mit Hunderten von Leichen entdeckt. Fernsehbilder zeigten, wie die Leichen in Plastiksäcken zur Beisetzung abtransportiert wurden. "Hier handelt es sich um einen Tatort", sagte Michelle Kagari, stellvertretende Leiterin der Afrika-Abteilung bei Amnesty. "Die Regierung in Simbabwe muss sicherstellen, dass eine professionelle Exhumierung stattfindet, um eventuelle Menschenrechtsverletzungen aufzuklären."

VIETNAM
Der Menschenrechtsverteidiger Cu Huy Ha Vu ist wegen "Propaganda gegen den Staat" zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Außerdem soll er nach Ablauf der Haftstrafe drei Jahre lang unter Hausarrest gestellt werden. Sein Vergehen: Er hatte sich in Online-Artikeln für ein Mehrparteiensystem in Vietnam ausgesprochen und ausländischen Journalisten Interviews gegeben. Amnesty betrachtet ihn als politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Entlassung.

MALAYSIA
In Malaysia wurden offiziellen Angaben zufolge in den vergangenen fünf Jahren fast 30.000 Flüchtlinge und Migranten in der Haft verprügelt oder misshandelt. "Malaysia setzt jedes Jahr Tausende Menschen Folter und Misshandlung aus", sagte Sam Zarifi, Experte für den asiatisch-pazifischen Raum bei Amnesty. Er forderte ein Ende dieser Praxis, die gegen internationales Recht verstößt. Die malaysischen Behörden bestrafen auf diese Weise seit 2002 Migranten, die ohne Erlaubnis einreisen.


Indischer Menschenrechtler freigelassen

INDIEN - Nach hundert Tagen Haft ist der Menschenrechtsverteidiger Dr. Binayak Sen gegen Kaution entlassen worden. Der 61-Jährige wurde Ende vergangenen Jahres wegen angeblicher Zusammenarbeit mit einer verbotenen Organisation festgenommen und in Raipur, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Chhattisgarh, inhaftiert. "Die Entscheidung, Dr. Binayak Sen nicht länger festzuhalten, ist überaus erfreulich", sagte Sam Zarifi, Experte für den asiatisch-pazifischen Raum bei Amnesty International. "Wir hoffen, dass das Gericht das Urteil gegen Dr. Sen vollständig fallenlässt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind haltlos und offensichtlich politisch motiviert." Seine Frau Ilina Sen hat sich bei Amnesty International und weiteren Menschenrechtsorganisationen für den Einsatz bedankt. Dr. Binayak Sen engagiert sich schon seit langem für die Rechte indigener Gemeinschaften im Bundesstaat Chhattisgarh. In der Vergangenheit lieferten sich dort indische Sicherheitskräfte und eine teilweise vom Staat unterstützte Miliz, die Salwa Judum, gewalttätige Auseinandersetzungen mit bewaffneten Maoisten. Dabei kam es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen an der indigenen Bevölkerung. Dr. Binayak Sen hat wiederholt über rechtswidrige Tötungen von Zivilisten während der Auseinandersetzungen berichtet. Zudem setzt er sich für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung für ausgegrenzte und indigene Gemeinschaften in Chhattisgarh ein.


Kroatische Kriegsverbrecher verurteilt

KROATIEN - Es ein wichtiges Urteil für alle ethnischen Serben, die während des Kroatienkriegs aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat die früheren kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac schuldig gesprochen und sie zu 24 bzw. 18 Jahren Haft verurteilt. Ein dritter General, Ivan Cermak, wurde freigesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass 1995 während der Militäroperation "Sturm" unter der Leitung von Gotovina und Markac Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Ziel der Militäroperation war die Vertreibung aller ethnischen Serben aus der kroatischen Region Krajina. Dabei starben mehr als 300 Zivilisten, über 90.000 wurden zur Flucht gezwungen. "Die Verurteilung ist ein wichtiger Schritt für die Gerechtigkeit und zeigt, dass auch hochrangige Kriegsverbrecher der internationalen Justiz nicht entgehen können", sagte Nicola Duckworth, Amnesty-Direktorin für Europa und Zentralasien. Die juristische Aufarbeitung von Mord, Folter und Vertreibung während der Jugoslawienkriege kommt in Kroatien nur schleppend voran. Ein von Amnesty International vor kurzem veröffentlichter Bericht dokumentiert, wie fehlender politischer Wille und mangelnder Zeugenschutz eine konsequente Aufarbeitung der Kriegsverbrechen verhindern. Die Gerichte schließen im Durchschnitt nur 18 Fälle pro Jahr ab, davon beziehen sich nur sehr wenige auf die Kriegsverbrechen während der Operation "Sturm". Insgesamt stehen noch rund 500 Fälle zur Bearbeitung aus.


140 Zeichen für die Freiheit

Von Ralf Rebmann

INDIEN - Der 14-jährige Faizan Rafiq Hakeem war mehr als einen Monat lang ohne Gerichtsverfahren in der indischen Stadt Kathua inhaftiert. Um seine Freilassung zu erreichen, nutzte Amnesty unter anderem die Internetplattform Twitter - mit Erfolg.

Nach 40 Tagen Gefängnis fühle ich mich etwas schwach, ich bin aber glücklich, wieder frei zu sein", sagte Faizan nach seiner Entlassung gegenüber Amnesty. Und er fügte hinzu: "Ich werde über diese Zeit hinwegkommen." Faizan war im Februar in Anantnag im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir festgenommen worden. Angeblich soll er bei Protesten gegen die bundesstaatlichen Behörden Steine auf Sicherheitskräfte geworfen haben. Obwohl glaubwürdige Dokumente seine Minderjährigkeit belegten, behaupteten die Behörden zunächst, Faizan sei 27 Jahre alt. Später schätzten sie sein Alter auf 17 Jahre. An Faizans Situation änderte sich dadurch nichts. Im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir werden Personen ab 16 Jahren vor Gericht als volljährig betrachtet. Zunächst hatte er Glück: Ein Richter gewährte ihm die Freilassung gegen Kaution. Auf Grundlage eines umstrittenen Sicherheitsgesetzes, dem "Jammu and Kashmir Public Safety Act", wurde er jedoch weiter in Verwaltungshaft gehalten - ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren.

Am 30. März startete Amnesty eine Eilaktion und forderte seine Freilassung. Kurz darauf begannen Amnesty-Mitarbeiter damit, die Forderung über das Internetportal Twitter zu verbreiten. Nutzer rund um den Globus schlossen sich an und fügten ihren Nachrichten das Schlagwort "#freefaizan" hinzu, um sich für die Freilassung einzusetzen. Gleichzeitig adressierten sie ihre 140 Zeichen langen Botschaften an Omar Abdullah - Ministerpräsident des Bundesstaates Jammu und Kaschmir und selbst Twitter-Nutzer. Der indische Journalist Raheel Khursheed schrieb: "Das ganze Jahr hindurch schickt die Regierung 14-Jährige ins Gefängnis und wundert sich dann, wenn im Sommer Steine geworfen werden." Und Bilal Nazki, ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof in Orissa, fragte empört: "Wie kann man ruhig schlafen, nachdem man einen Minderjährigen ins Gefängnis zu Kriminellen gesteckt hat?" Omar Abdullah reagierte. Am 1. April antwortete er per Twitter, dass die Behörden Faizans Fall mit "Sympathie" betrachten und die Entscheidung überdenken würden. Fünf Tage später wurde Faizan entlassen.

Dies ist eine positive Nachricht - und eine Ausnahme. Denn die wenigstens Menschen, die wegen des "Public Safety Acts" inhaftiert sind, können auf "Sympathie" seitens der Behörden hoffen. "In Jammu und Kaschmir werden regelmäßig Hunderte Menschen, auch Kinder, auf der vagen Grundlage des Public Safety Acts eingesperrt", sagte Madhu Malhotra, die stellvertretende Leiterin des Asien-Programms von Amnesty. Ein aktueller Amnesty-Bericht dokumentiert, dass im vergangenen Jahr mindestens 230 Menschen auf diese Art inhaftiert wurden, obwohl keine eindeutigen Beweise für ihre Schuld vorlagen. Samuel Verghese, der ehemalige Finanzkommissar in Jammu und Kaschmir, sagte zur Begründung dieser Rechtspraxis, man müsse einfach "einige Leute aus dem Verkehr ziehen".

Auch der 17-jährige Murtaza Manzoor wurde "aus dem Verkehr gezogen". Weil er bei regierungskritischen Protesten "Unruhe gestiftet" haben soll, wurde er Anfang des Jahres festgenommen. Für seine Freilassung nutzte Amnesty abermals die Plattform Twitter und forderte: "#freemurtaza".


EINSATZ MIT ERFOLG

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den "Urgent Actions", den "Briefen gegen das Vergessen" und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.


Unabhängigkeit für Menschenrechtskommission

NIGERIA - Sechs Jahre lang mussten die Mitarbeiter der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) auf diesen Moment warten. Im März unterzeichnete der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan ein Gesetz, das der Kommission Unabhängigkeit und finanzielle Unterstützung zusichert. "Endlich hat der nigerianische Präsident konkrete Schritte unternommen, um die Autorität dieser lebenswichtigen Institution zu stärken", sagte Tawanda Hondora, Leiter des Afrika-Progamms von Amnesty International. Die Kommission könne nun unabhängig arbeiten, um die Menschenrechtssituation in Nigeria zu verbessern. In den vergangenen Jahren hatten die Mitarbeiter mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. So wurden mehrere Geschäftsführer frühzeitig von der nigerianischen Regierung entlassen, weil sie unter anderem deren Menschenrechtspolitik kritisiert hatten.


Hinrichtungen vorerst gestoppt

TRINIDAD und TOBAGO - Dutzende Todeskandidaten in Trinidad und Tobago werden vorerst nicht hingerichtet. In einem Parlamentsentscheid wurde ein Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe mit knapper Mehrheit abgelehnt. Amnesty International begrüßte dies, bedauerte aber das Zustandekommen der Entscheidung. So haben Formfehler innerhalb des Gesetzentwurfes und nicht der Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards die Opposition dazu bewegt, das Gesetz abzulehnen. Oppositionssprecher Dr. Keith Rowley erklärte dazu, dass die Vorlage nicht geeignet gewesen sei, die Vollstreckung von Todesurteilen zu erleichtern. Sowohl die Regierungspartei als auch die Opposition haben sich in der Vergangenheit immer wieder für die Todesstrafe ausgesprochen. Eine überarbeitete Gesetzesvorlage kann erst wieder in sechs Monaten in das Parlament eingebracht werden.


UNO schickt Sonderberichterstatter in den Iran

IRAN - Der UNO-Menschenrechtsrat hat beschlossen, einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in den Iran zu entsenden. "Diese Entscheidung ist längst überfällig", sagte ein Sprecher von Amnesty, "wir sind dennoch sehr froh, dass der Menschenrechtsrat dieser Bitte von Amnesty und vielen anderen Organisationen entsprochen hat." Die Menschenrechtslage im Iran hat sich seit den Protesten 2009 immer weiter verschlechtert. Im April wurde ein Gesetz in das iranische Parlament eingebracht, das eine stärkere Kontrolle und Überwachung von Nichtregierungsorganisationen vorsieht. Zudem hat sich die Zahl der Todesurteile drastisch erhöht: Seit Beginn des Jahres wurden im Iran mindestens 116 Menschen hingerichtet.


Syrischer Menschenrechtsanwalt freigelassen

SYRIEN - Wegen angeblicher "Demoralisierung der syrischen Nation" und "Schwächung des Nationalgefühls" saß Haytham al-Maleh monatelang im Gefängnis. Im März wurde der bekannte Menschenrechtsanwalt endlich entlassen. Zuvor hatte Präsident Baschar al-Assad eine Amnestie für alle über 70-jährigen Gefangenen angeordnet. "Es war an der Zeit, dass Haytham al-Maleh freigelassen wurde", sagte Philip Luther, stellvertretender Direktor der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty. "Wie viele andere auch, wurde er nur inhaftiert, weil er frei seine Meinung geäußert hat." Der 79-Jährige hatte sich im September 2009 über korrupte Staatsbeamte und die Einschränkung der Demokratie in Syrien beklagt. Zwei Tage später wurde er festgenommen und im Juli 2010 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. "Ich habe versprochen, meine Arbeit fortzusetzen", sagte Haytham al-Maleh nach seiner Entlassung. "Ich hoffe, dass ich dieses Versprechen einhalten kann."


Camp-Bewohner freigelassen

IRAK - Sechs Bewohner von Camp Ashraf, einem Flüchtlingslager von Exil-Iranern im Norden Bagdads, sind Mitte April aus irakischer Haft entlassen worden. Sie waren eine Woche zuvor festgenommen worden, als irakische Sicherheitskräfte das Camp stürmten. Gegenüber Amnesty International gaben sie an, in der Haft geschlagen worden zu sein. Bei dem Militäreinsatz kamen nach Angaben der iranischen Oppositionsgruppe Mujahedin-e Khalq (MEK) 34 Personen ums Leben, über 300 wurden verletzt. Die Bewohner des Camps, die größtenteils Unterstützer oder Mitglieder der Oppositionsgruppe sind, leisteten heftigen Widerstand. Amnesty hat die irakischen Behörden davor gewarnt, mit weiteren Aktionen das Leben der Bewohner zu gefährden oder das Camp zu räumen. Sollten die Flüchtlinge in den Iran abgeschoben werden, sind einige in großer Gefahr, dort gefoltert oder hingerichtet zu werden.


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2011, S. 6-9
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011