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AKTION/632: Urgent Action - Russische Föderation - Verschleppter Mann tot aufgefunden


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-088/2011, AI-Index: EUR 46/019/2011, Datum: 21. April 2011 - as

Russische Föderation
Verschleppter Mann tot aufgefunden

Weitere Informationen zu UA-088-2011 (EUR 46/015/2011, 24. März 2011)


Getötet:
Herr ILEZ GORCHKHANOV, 26 Jahre

Der 26-jährige Ilez Gorchkhanov wurde am 19. April tot aufgefunden. Er war am 21. März in Nasran in der russischen Republik Inguschetien von 15 maskierten Männern entführt worden. Mutmaßungen zufolge handelte es sich dabei um Angehörige der Strafverfolgungsbehörden.

Ilez Gorchkhanov wurde zum letzten Mal gesehen, als er am 21. März mit dem Auto im Zentrum von Nasran in der Republik Inguschetien im Nordkaukasus ankam. Sein Bruder fuhr noch am selben Tag die von Ilez Gorchkhanov gewählte Route ab und sprach mit AugenzeugInnen, denen zufolge Ilez Gorchkhanov von 15 maskierten Männern entführt wurde. Einige der Männer waren in Zivil gekleidet, andere wiederum trugen Tarnuniformen und Schutzschilde, jedoch ohne jegliche Kennzeichnung. Die Entführer verließen den Schauplatz in vier Fahrzeugen. Eines der Autokennzeichen konnte von den AugenzeugInnen genannt werden. Der Wagen von Ilez Gorchkhanov wurde ebenfalls weggefahren und später in einigen Kilometern Entfernung verlassen am Straßenrand aufgefunden.

Obwohl die Behörden der Familie zusagten, das "Verschwindenlassen" von Ilez Gorchkhanov zu untersuchen, gab es bis zur Entdeckung seines Leichnams weder Angaben über seinen Aufenthaltsort noch ein Eingeständnis der Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich seiner Inhaftierung. Am 23. März hatten Familienangehörige und UnterstützerInnen im Zentrum von Nasran einen Protest gegen das "Verschwindenlassen" von Ilez Gorchkhanov und anderen Personen organisiert, in deren Rahmen sie umgehend eine effektive Untersuchung seiner Entführung forderten. Wie Amnesty International von AugenzeugInnen erfuhr, wurde die Demonstration durch bewaffnete Polizeikräfte gewaltsam aufgelöst.

Der Leichnam von Ilez Gorchkhanov wurde am 19. April im Fluß Assa in etwa anderthalb Kilometern Entfernung vom Dorf Nesterowskaja im Rajon Sunschenski in Inguschetien gefunden. Laut Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial berichtete die Familie, dass Ilez Gorchkhanov Strangulationsspuren am Hals und eine schwere Augenverletzung aufwies. Ilez Gorchkhanov wurde am darauf folgenden Tag beerdigt.

Vielen Dank allen, die Appelle geschrieben haben. Amnesty International wird seine Arbeit an diesem Fall über andere Kanäle fortsetzen. Weitere Aktionen des Eilaktionsnetzes sind derzeit nicht erforderlich.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

In Inguschetien und dem Großraum Nordkaukasus kommt es regelmäßig zu bewaffneten Gewalttaten; die Sicherheitslage ist instabil. Neben den Strafverfolgungsbehörden ist auch die Zivilbevölkerung immer wieder das Ziel von Anschlägen, die von bewaffneten Gruppen verübt werden. Die Behörden setzen zur Bekämpfung dieser Gewalttaten fast ausschließlich Strafverfolgungskräfte ein (Angehörige der Polizei, der Staatssicherheit und des Militärs), die weder transparent agieren noch öffentlich Rechenschaft über ihre Handlungen ablegen. Oftmals führen Angehörige der Strafverfolgungsorgane auch verdeckte Ermittlungen im Rahmen so genannter "Antiterrormaßnahmen" durch. Vorwürfe, dass Angehörige der Strafverfolgungsbehörden straffrei bleiben, wenn sie widerrechtliche Methoden anwenden und in Inguschetien und dem gesamten Nordkaukasus systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, sind weitverbreitet. Aus der Region werden regelmäßig Fälle von "Verschwindenlassen", widerrechtliche Festnahmen, Folter, Misshandlungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen gemeldet. Amnesty International hat zahlreiche Berichte aus Inguschetien erhalten, denen zufolge maskierte Angehörige der Sicherheitsbehörden Menschen, die sich in ihren Häusern oder auf der Straße aufhalten, festnehmen. Dabei weisen sie sich weder aus noch nennen sie den Grund für die Festnahme oder geben an, wohin die Betroffenen gebracht werden. In einigen Fällen räumten die Behörden im Nachhinein ein, dass die Festnahmen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden vorgenommen worden waren; in der Mehrheit der Fälle bleiben die Betroffenen jedoch dauerhaft "verschwunden" und es erfolgt keine effektive Untersuchung und Ermittlung der Aufenthaltsorte vonseiten der Behörden. Die inguschetische Menschenrechtsorganisation MASHR hat zwischen November 2002 und Dezember 2011 insgesamt 197 Fälle von "Verschwindenlassen" dokumentiert. Das Schicksal dieser Personen ist weiterhin unbekannt.

Manchmal werden die Opfer von "Verschwindenlassen" später tot aufgefunden. In einigen dieser Fälle wird seitens der Behörden, die betreffenden Personen hätten bewaffneten Widerstand geleistet und seien bei einem Schusswechsel mit Polizeikräften getötet worden. Es gibt jedoch in einigen Fällen Hinweise, die darauf schließen lassen, dass sie Opfer von Folter und extralegalen Hinrichtungen wurden.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-088/2011, AI-Index: EUR 46/019/2011, Datum: 21. April 2011 - as
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2011