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AKTION/1190: Urgent Action - Iran, weiterem Menschenrechtler droht Inhaftierung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-272/2012, AI-Index: MDE 13/063/2012, Datum: 24. September 2012 - bs

Iran
Weiterem Menschenrechtler droht Inhaftierung



Herr KOUHYAR GOUDARZI, Menschenrechtsverteidiger
Frau SHIVA NAZAR AHARI, Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin
Herr NAVID KHANJANI, Menschenrechtsverteidiger

Am 16. September hat ein Berufungsgericht die gegen den Menschenrechtler Kouhyar Goudarzi verhängte fünfjährige Haftstrafe bestätigt. Kouhyar Goudarzi ist Mitglied der iranischen Menschenrechtsorganisation "Committee for Human Rights Reporters" (CHRR). Derzeit befindet er sich auf freiem Fuß, aber wenn er inhaftiert werden sollte, würde Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachten. Gegenwärtig sind zwei CHRR-Mitglieder als gewaltlose politische Gefangene inhaftiert.

Am 2. Januar 2012 erschien der Menschenrechtsverteidiger Kouhyar Goudarzi vor der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts in Teheran. Seine Verhandlung wurde jedoch auf seinen Antrag hin vertagt, da sein Rechtsbeistand nicht anwesend war. Während einer darauffolgenden Verhandlung vor demselben Gericht klagte man Kouhyar Goudarzi der "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und der "Versammlung und Konspiration gegen die Staatssicherheit" an. Das Gericht hielt daran fest, dass Kouhyar Goudarzi in Verbindung zu der iranischen Gruppierung der Volksmudschaheddin (People's Mojahedeen Organization of Iran - PMOI), einer verbotenen Oppositionsgruppe mit Sitz im Irak, stehe. Außerdem erklärte das Gericht, Kouhyar Goudarzi sei bereits zuvor wegen der "Versammlung vor dem Büro der Vereinten Nationen und der Forderung, die PMOI nicht länger als terroristische Organisation zu betrachten" festgenommen worden. Die CHRR bestritt jedoch, dass Kouhyar Goudarzi Verbindungen zur PMOI hat und gab an, dass Kouhyar Goudarzi nie aus diesem Grund festgenommen worden sei. Am 7. März informierte man Kouhyar Goudarzi darüber, dass er zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei, die er in Zabol, einer Stadt in der Provinz Sistan und Belutschistan im Osten des Iran und somit weit entfernt von seinem Zuhause, ableisten soll. Diese Strafe wurde nun am 16. September bestätigt.

Zwei weitere Mitglieder der Organisation "Committee for Human Rights Reporters" (CHRR) verbüßen gegenwärtig Haftstrafen allein deshalb, weil sie auf friedliche Weise ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen haben. Am 22. August trat Navid Khanjani, Mitglied sowohl der CHRR als auch der Vereinigung gegen Diskriminierung im Bildungswesen (Association to Oppose Discrimination in Education - AODE), seine zwölfjährige Freiheitsstrafe im Gefängnis Raja'i Shahr in Karaj in der Nähe von Teheran an. Er war zusammen mit zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen in einem Notaufnahmelager für Erdbebenopfer in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan festgenommen worden. Die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Shiva Nazar Ahari musste am 8. September die gegen sie verhängte vierjährige Haftstrafe im Teheraner Evin-Gefängnis antreten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Shiva Nazar Ahari wurde unmittelbar nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 festgenommen und etwa drei Monate in Haft gehalten. Im Dezember 2009 war sie gemeinsam mit zwei anderen CHRR-Mitgliedern auf dem Weg zur Beisetzung des Großayatollahs und ranghohen geistlichen Regierungskritikers Hosseinali Montazeri, als die drei Personen festgenommen wurden. Im September 2010 verurteilte man sie zu 74 Peitschenhieben, die später in eine Geldstrafe umgewandelt wurden, und sechs Jahre Haft, nachdem sie der "Feindschaft zu Gott", "Versammlung und Planung einer Straftat gegen die Staatssicherheit" und "Verbreitung von Propaganda gegen das System" für schuldig befunden worden war. Im Berufungsverfahren wurde die Haftstrafe auf vier Jahre reduziert, nachdem der Schuldspruch wegen "Versammlung und Planung einer Straftat" aufgehoben worden war.

Navid Khanjani, Angehöriger der religiösen Minderheit der Baha'i, wurde am 31. Januar 2011 im Zusammenhang mit seiner Menschenrechtsarbeit zu zwölf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Anklagen lauteten u.a. auf "Schüren von Unruhe im öffentlichen Bewusstsein" und "Propaganda gegen das System". Das Verfahren hatte am 20. Dezember 2010 vor Abteilung 26 des Revolutionsgerichts in Teheran stattgefunden und entsprach nicht den internationalen Standards für einen fairen Prozess. Im Berufungsverfahren bestätigte ein Gericht die zwölfjährige Haftstrafe und fügte eine Geldstrafe von vier Millionen Rial (ca. 327 US-Dollar/253 Euro) hinzu. Am 22. August 2012 griffen Polizei und Sicherheitskräfte in Zivil ein Nothilfelager für Erdbebenopfer in der Provinz Ost-Aserbaidschan an und nahmen Navid Khanjani und weitere ehrenamtliche HelferInnen fest. Zunächst hielt man ihn in einer Einrichtung des Geheimdienstministeriums fest, verlegte ihn dann am 24. August in das Gefängnis von Tabriz und beschuldigte ihn, "unsaubere und unhygienische Güter verteilt" zu haben. Aus Protest gegen seine Festnahme und Inhaftierung trat er am 25. August in einen "trockenen Hungerstreik" (Verweigerung von Nahrung und Wasser). Am Nachmittag des 25. August wurde er aus dem Gefängnis Tabriz an einen zunächst unbekannten Ort verlegt. Später hieß es allerdings, dass er in den Trakt 2-A des Evin-Gefängnisses gebracht worden sei. Am 5. September wurde er schließlich in den Trakt 4 des Gefängnisses Raja'i Shahr verlegt.


SCHREIBEN SIE BITTE

LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS ODER TWEETS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie höflich auf, die gegen Kouhyar Goudarzi verhängte Haftstrafe nicht umzusetzen, da er im Falle seiner Inhaftierung ein gewaltloser politischer Gefangener wäre, der sich allein wegen der friedlichen Wahrnehmung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit in Haft befinden würde.
  • Ich bitte Sie außerdem eindringlich, Navid Khanjani und Shiva Nazar Ahari umgehend und bedingungslos freizulassen, da sie gewaltlose politische Gefangene sind.
  • Zudem bitte ich Sie sicherzustellen, dass die Drangsalierung von CHRR-Mitgliedern und anderen MenschenrechtlerInnen beendet wird, wie es in der UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern festgeschrieben ist und es den internationalen Menschenrechtsstandards entspricht, zu deren Einhaltung Sie sich verpflichtet haben.

APPELLE AN

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street - End of Shahid
Keshvar Doust Street, Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Twitter: "#Iran Leader
@khamenei_ir must free Navid Khanjani & Shiva Nazar
Ahari, & not imprison Kouhyar Goudarzi"
E-Mail: info_leader@leader.ir

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
[c/o] Public Relations Office, Number 4
2 Azizi Street Vali Asr Ave, above Pasteur Street
intersection, Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)


KOPIEN AN

LEITER DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSBEHÖRDE
Mohammad Javad Larijani
High Council for Human Rights
[c/o] Office of the Head of the Judiciary
Pasteur St., Vali Asr Ave south of Serah-e Jomhouri
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Dear Sir / Sehr geehrter Herr Larijani)
(Betreff: FAO Mohammad Javad Larijani)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67, 14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de oder info@iranbotschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 5. November 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the Iranian authorities not to implement Kouhyar Goudarzi's prison sentence as he would be a prisoner of conscience, held solely for the peaceful exercise of his rights to freedom of expression and association.
  • Calling on the authorities to immediately and unconditionally release Navid Khanjani and Shiva Nazar Ahari as they are prisoners of conscience.
  • Urging them to end the harassment of CHRR members and other human rights defenders, in line with the UN Declaration on Human Rights Defenders and their obligations under international human rights law.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Kouhyar Goudarzi war im Dezember 2010 nach Ablauf einer unter anderem wegen "Propaganda gegen das System" verhängten einjährigen Freiheitsstrafe aus der Haft entlassen worden. Der Menschenrechtsverteidiger wurde erneut am 31. Juli 2011 festgenommen, vermutlich von Angehörigen des Geheimdienstes. Erst drei Monate nach seiner Festnahme konnten seine Familie und sein Rechtsbeistand den Haftort von Kouhyar Goudarzi in Erfahrung zu bringen und erhielten eine offizielle Bestätigung seiner Festnahme.

Nach seiner Festnahme wurde Kouhyar Goudarzi Berichten zufolge zunächst in Trakt 240 des Evin-Gefängnisses in Teheran gebracht, bevor man ihn dann in Trakt 209 verlegte. Dort hielt man ihn bis Ende 2011 in Einzelhaft. Kouhyar Goudarzi soll während seiner Zeit in Einzelhaft für 17 Tage in den Hungerstreik getreten sein. Er beendete den Hungerstreik jedoch, als sich sein Gesundheitszustand stark verschlechterte. Nach fast vier Monaten Einzelhaft setzte man ihn am 30. November 2011 darüber in Kenntnis, dass man ihm die "Verbreitung von Propaganda gegen das System im Rahmen eines Interviews mit der Wochenzeitschrift Der Spiegel und die "Versammlung und Konspiration gegen die Staatssicherheit als Mitglied der Menschenrechtsorganisation "Committee for Human Rights Reporters" zur Last legte. Gegen eine Kaution in Höhe von einer Milliarde Rial (ca. 88.000 US-Dollar/68.000 Euro) wurde er auf freien Fuß gesetzt. Ein weiteres CHRR-Mitglied, Saeed Ha'eri, ist zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt worden, die im Berufungsverfahren bestätigt wurde. Er befindet sich gegenwärtig auf freiem Fuß, könnte aber jederzeit aufgefordert werden, seine Haftstrafe anzutreten.

Die iranische Menschenrechtsorganisation "Committee for Human Rights Reporters" (CHRR) setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2006 gegen sämtliche Formen von Menschenrechtsverletzungen an Frauen, Kindern, Gefangenen, ArbeitnehmerInnen und anderen Personengruppen ein. Die iranischen Behörden haben die Organisation verboten und gehen seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 mit heftiger Schikane und strafrechtlicher Verfolgung gegen ihre Mitglieder vor.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-272/2012, AI-Index: MDE 13/063/2012, Datum: 24. September 2012 - bs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2012