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AKTION/1111: Urgent Action - Port Harcourt in Nigeria - Tausende Opfer von Zwangsräumung geworden


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-184/2012-1, AI-Index: AFR 44/035/2012, Datum: 3.7.2012

Nigeria
Abriss am Bahngelände in Port Harcourt
Tausende Opfer von Zwangsräumung geworden

Weitere Informationen zu UA-184/2012 ( AFR 44/032/2012 , 29. Juni 2012) PLEASE WRITE IMMEDIATELY



TAUSENDE MENSCHEN in Port Harcourt

Im Hafenviertel Abonnema Wharf in Port Harcourt sind mehrere tausend Menschen Opfer von Zwangsräumungen geworden. Die Behörden des Bundesstaates Rivers haben die Häuser dem Erdboden gleich gemacht, so dass viele der BewohnerInnen nun dringend eine Notunterkunft benötigen und auf Hilfe angewiesen sind.

Im Zuge fünftägiger Abrissarbeiten der Behörden des Bundesstaates Rivers sind mehrere tausend BewohnerInnen des Hafenviertels Abonnema Wharf aus ihren Häusern vertrieben worden. Viele von ihnen haben nun keine Unterkunft mehr und sind gezwungen, auf offener Straße, in Fahrzeugen oder in Kirchen zu schlafen. Ihnen könnten noch weitere Menschenrechtsverletzungen drohen. Viele der BewohnerInnen waren nicht von dem bevorstehenden Abriss ihrer Häuser in Kenntnis gesetzt worden und erfassten die Situation erst, als die Bulldozer anrückten. Es wurde ihnen nicht die Zeit gelassen, ihr Hab und Gut zu packen, so dass viele der BewohnerInnen völlig mittellos zurückblieben. Anfängliche Äußerungen der Regierung des Bundesstaats Rivers hatten vermuten lassen, dass nur diejenigen Gebäude geräumt werden würden, in deren Umgebung sich Anfang Juni Banden Schusswechsel geliefert hatten. BewohnerInnen anderer Straßenzüge waren deshalb größtenteils davon ausgegangen, dass die von ihnen bewohnten Gebäude verschont bleiben würden. Sie hatten deshalb keine Vorkehrungen getroffen, um ihr Hab und Gut zu retten. Die Abrissarbeiten wurden fortgesetzt, bis das gesamte Viertel dem Erdboden gleich gemacht worden war. Den BewohnerInnen wurden keine Ersatzwohnungen und nicht einmal Behelfsunterkünfte angeboten. Die Abrissarbeiten fanden während der Regenzeit statt, in der es für die Menschen aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse äußert schwierig ist, sich auf die Suche nach neuen Unterkünften zu machen.

Die genaue Einwohnerzahl von Abonnema Wharf ist statistisch nicht erhoben worden und deshalb unbekannt. Nach Schätzungen von UN Habitat (Evictions and Demolitions in Prt Harcourt, Fact Finding Misison, Report, März 2009) lebten dort im Jahr 2009 mehr als 30.000 Menschen. Seither sollen jedoch viele Menschen die Gegend verlassen haben. Nach Schätzungen aus einer der zugänglichen Quellen liegt die Zahl der aus Abonnema Wharf vertriebenen Menschen bei mindestens 10.000, möglicherweise sogar bei 20.000. Es liegen Hinweise dafür vor, dass die Regierung weitere in Küstennähe gelegene Häuser abzureißen gedenkt.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Port Harcourt, Hauptstadt des Bundesstaates Rivers, liegt im erdölreichen Nigerdelta. Im Juli 2008 hatte der Gouverneur des Bundesstaates Rivers, Rotimi Amaechi, Pläne bekannt gegeben, im Rahmen eines Stadtentwicklungsprogramms alle Siedlungen in der Hafenregion abzureißen. Die etwa 40 Siedlungen liegen auf aufgeschüttetem Land am Uferbereich der Stadt; dort leben nach Schätzungen 200.000 bis 500.000 Menschen.

Abonnema Wharf ist eine von über 40 Hafensiedlungen der Stadt. Sie liegt in der Nähe der Kraftstofflager unterschiedlicher Erdölunternehmen. Dort leben auch die Menschen, welche die Nachbarsiedlung Njemanze verlassen mussten, nachdem diese 2009 abgerissen worden war. Viele der BewohnerInnen arbeiten für Regierungsinstitutionen und -behörden. Dennoch hat Rotimi Amaechi, der Gouverneur des Bundesstaates, wiederholt erklärt, dass 80 Prozent der BewohnerInnen von Abonnema Wharf "Kriminelle" seien. Mit dieser Begründung drohte der Gouverneur mehrfach, dass er den Abriss des Viertels plane. Am Mittwoch, den 27. Juni 2012 um etwa sieben Uhr morgens erschien eine Planierraupe im Hafenviertel Abonnema Wharf und begann unter der Aufsicht schwer bewaffneter Angehöriger der Sicherheitskräfte (Joint Task Force - JTF; unter dem Kommando Operation Polo Shield) mit dem Abriss der Siedlungsgebäude. Fünf Tage später war mit Ausnahme von ein paar wenigen Gebäuden das ganze Viertel zerstört.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass den BewohnerInnen von Port Harcourt, deren Unterkünfte zerstört wurden und die gegenwärtig obdachlos sind, übergangsweise Notunterkünfte und Nothilfe - Lebensmittel, Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und Gesundheitsversorgung - zur Verfügung gestellt werden.
  • Bitte stellen Sie sicher, dass alle bereits vertriebenen Menschen angemessene alternative Unterkünfte sowie Entschädigungen für die erlittenen Verluste erhalten.
  • Ich fordere Sie außerdem auf, in der Küstenregion bis auf Weiteres keine Zwangsräumungen und keine Abrisse von Häusern mehr vorzunehmen. Leiten Sie bitte alle erforderlichen Schutzmaßnahmen ein, um weitere rechtswidrige Zwangsräumungen zu verhindern und sicherzustellen, dass alle weiteren Räumungen in Übereinstimmung mit nigerianischen Gesetzen sowie regionalen und internationalen Menschenrechtsstandards stehen.
  • Leiten Sie bitte unverzüglich unabhängige Ermittlungen bezüglich der Rolle der Einsatztruppe JTF bei den Abrissaktionen ein und sorgen Sie dafür, dass Polizei und Militär nicht angewiesen werden, rechtswidrige Zwangsräumungen zu unterstützen.

APPELLE AN

GOUVERNEUR DES BUNDESSTAATES RIVERS
Chibuike Rotimi Amaechi
Office of the Governor, Government House
Port Harcourt, Rivers State, NIGERIA
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)

MINISTERIN FÜR WOHNRAUM UND STADTENTWICKLUNG
Ms Ama Pepple
Federal Ministry of Lands
Housing and Urban Development
Mabushi, Abuja
NIGERIA


KOPIEN AN

LEITER DER MENSCHENRECHTSKOMMISSION
The Executive Secretary
National Human Rights Commission
Professor Bem Angwe
National Secretariat
No.19, Aguiyi Ironsi Street
Maitama,
P.M.B. 444, Garki
Abuja, NIGERIA

BOTSCHAFT DER BUNDESREPUBLIK NIGERIA
S.E. Herrn Abdu Usman Abubakar
Neue Jakobstraße 4, 10179 Berlin
Fax: 030-2123 0164
E-Mail: info@nigeriaembassygermany.org


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 14. August 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.

  • Urging the authorities to provide temporary housing immediately to the people of Port Harcourt whose homes have been destroyed and who are currently homeless, and to provide them with emergency relief, including access to food, shelter, water, sanitation and health care services.
  • Urging them to ensure that all those already evicted from Abonnema Wharf receive adequate alternative housing and compensation for all losses and suffering.
  • Urging them to adopt a moratorium on all evictions and demolitions in the waterfronts as well as puttingt all necessary safeguards in place to prevent further forced evictions, and to ensure that any evictions comply with national law, as well as regional and international human rights standards.
  • Calling on them to order a full and independent investigation, and review the role of the JTF in assisting the demolitions, ensuring that police and soldiers are not ordered to assist in illegal evictions.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Nach Aussage der Regierung des Bundesstaates Rivers wurde der Abriss "aus Sicherheitsgründen" durchgeführt, da sich am Montag zuvor in der Siedlung offenbar eine Schießerei ereignet hatte. Das Viertel war im Mai 2012 zum Abriss vorgesehen worden und das Verfahren zur Entschädigung der Hauseigentümer war noch in vollem Gange. Der Abriss war nicht angekündigt worden - die BewohnerInnen wussten bis zur Ankunft der Planierraupen nichts vom Abriss ihrer Wohnungen. Zeit, um ihr Hab und Gut einzupacken, wurde ihnen nicht eingeräumt, und viele Menschen verloren ihren gesamten Besitz. Der Beauftragten für Stadtentwicklung räumte Amnesty International gegenüber ein, es sei unglücklich gewesen, dass das Entschädigungsverfahren vor dem Abriss nicht abgeschlossen worden war.

Im November 2011 hat ein Gericht (High Court) des Bundesstaats Rivers eine einstweilige Verfügung erlassen, die der Regierung des Bundesstaates Abrissmaßnahmen und Zwangsräumungen von Wohnungen, Geschäften, Kirchen und Schulen der EinwohnerInnen von Abonnema Wharf in Port Harcourt untersagt.

Im Mai 2012 hatten die Behörden bekannt gegeben, dass sie das Viertel Abonnema Wharf abreißen würden. Es wurde aber auch gesagt, dies würde erst geschehen, nachdem die HauseigentümerInnen Entschädigungen erhalten haben und den BewohnerInnen eine Frist zum Umzug eingeräumt wurde. Die BewohnerInnen haben weder eine schriftliche oder mündliche Ankündigung über die Zwangsräumungen erhalten, noch sind ihnen alternative Unterkünfte angeboten worden. An viele EigentümerInnen wurden im Zuge des unabgeschlossenen Entschädigungsverfahrens noch keine Entschädigungen ausgezahlt. Die Regierung von Rivers begann im Juni 2012 mit der Auszahlung von Entschädigungen an EigentümerInnen der Siedlungshäuser. Die MieterInnen erhalten allerdings keine Entschädigung. Vor Beginn des Entschädigungsverfahrens hatte die Regierung die BewohnerInnen am 17. Mai auf einem Treffen über die geplanten Abrissmaßnahmen und das Entschädigungsverfahren informiert. Ähnliche Konsultationen hatten im Oktober 2011 und im März 2012 stattgefunden.

Das im Jahre 2003 erlassene Bauplanungs- und Stadtentwicklungsgesetz Nr. 6 des Bundesstaates Rivers (Physical Planning and Development Law No. 6) schützt die BewohnerInnen von Gebäuden und Bauwerken im Bundesstaat Rivers und schreibt vor, was vor der Durchführung eines Abrisses gegeben sein muss. Unter anderem muss eine angemessene Konsultation mit den betroffenen EinwohnerInnen stattgefunden haben, den BewohnerInnen muss eine angemessene Frist eingeräumt werden und es müssen Organe eingerichtet werden, die das Verfahren beaufsichtigen. Das Gesetz ist jedoch noch nicht umgesetzt worden. Nach dem Gesetz Nr. 6 kann die zuständige Behörde nur dann ein Bauwerk zum Abriss vorsehen, wenn es "strukturell mangelhaft ist, eine Gefahr darstellt oder eine/n Bewohner/in oder die Öffentlichkeit beeinträchtigt". Das Gesetz, das die "Landbewirtschaftung, Bauplanung und -entwicklung im Bundesstaat" regelt, sieht verschiedene Organe zur Beaufsichtigung der Bebauungsplanung und Stadtentwicklung des Bundesstaates vor. In diese Bereiche fallen unter anderem Baugenehmigungen, die Einhaltung von Fristen, Gebäudeabrisse und der Entzug von Wohnrechten. Keines dieser Organe wurde bislang ins Leben gerufen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-184/2012-1, AI-Index: AFR 44/035/2012, Datum: 3.7.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2012