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AKTION/1102: Urgent Action - Italien - Drohende Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-182/2012, AI-Index: EUR 30/007/2012, Datum: 28. Juni 2012 - gs

Italien
Drohende Zwangsräumung



MEHR ALS 350 ROMA

In Italien droht mehr als 350 Roma, die im Camp Tor de' Cenci leben, die Zwangsräumung. Die Behörden der Stadt Rom planen, die BewohnerInnen von Tor de' Cenci in ein anderes Camp umzusiedeln, um sie dort getrennt von Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen unterzubringen. Nach den Plänen der Behörden soll die Zwangsräumung bis zum 10. Juli abgeschlossen sein.

In dem Lager Tor de' Cenci leben mehr als 350 Roma mit zumeist bosnischer oder mazedonischer Staatsbürgerschaft, einige von ihnen bereits seit bis zu 16 Jahren. Das Camp war 1995 von den örtlichen Behörden in einer Gegend eröffnet worden, in der den BewohnerInnen ein breites Spektrum an Dienstleistungen wie etwa Schulen für ihre Kinder zur Verfügung stand. Vor zwei Jahren begannen die Behörden damit, von Tor de' Cenci nur noch als einem "geduldeten" Camp zu sprechen - gemeint sind seit langer Zeit bestehende Camps, die ohne Genehmigung auf öffentlich-rechtlichen oder privaten Grundstücken errichtet worden sind. Die Behörden drohten an, das Lager zu schließen und die darin lebenden Menschen in einer anderen Gegend weitab von Wohngebieten unterzubringen. Angesichts der geplanten Schließung ließen die Behörden das Lager verkommen, so dass sich die Lebensbedingungen dort mehr und mehr verschlechterten.

Nach den Plänen der örtlichen Verwaltung sollen die Familien in einem neuen Lager mit dem Namen La Barbuta untergebracht werden. La Barbuta war im Jahr 2011 unter Berufung auf Sondervollmachten aus dem "Nomaden-Notstand" errichtet worden, eines im Jahr 2008 verhängten Ausnahmezustands, den der Staatsrat im November 2011 für rechtswidrig erklärt hatte. Anders als das in der Nähe eines Wohngebiets befindliche Lager Tor de' Cenci liegt La Barbuta in einer nicht weit vom Flughafen Ciampino entfernten Einöde. Es ist von Zäunen umgeben und wird mit Hilfe von Videokameras überwacht. Die örtlichen Behörden planen, in La Barbuta ausschließlich Roma-Familien anzusiedeln, die derzeit in verschiedenen Lagern in der italienischen Hauptstadt Rom untergebracht sind. Sollten sie ihre Pläne umsetzen, würde La Barbuta zu einem Wohnort ausschließlich für Roma werden. Die Schaffung von nach ethnischer Zugehörigkeit getrennten Wohngebieten ist aber nach regionalen Rechtsvorschriften und laut völkerrechtlichen Verträgen, zu deren Beachtung die italienischen Behörden verpflichtet sind, nicht zulässig. Darüber hinaus widerspricht ein solches Vorgehen der von Italien im Februar 2012 propagierten Nationalen Strategie zur Inklusion der Roma.

Es wurden weder verfahrensrechtliche noch gesetzliche Schutzvorkehrungen beachtet, um sicherzustellen, dass bei der Räumung des Lagers Tor de' Cenci nicht gegen internationale und regionale menschenrechtliche Verpflichtungen verstoßen wird. Beispielsweise haben mit den betroffenen Roma-Familien keine ernsthaften Beratungen stattgefunden. Vielmehr erging an die Medien wie auch die BewohnerInnen von Tor de' Cenci wiederholt die Mitteilung, das Lager werde geschlossen. Zugleich verschlechterten sich die Lebensbedingungen dort dramatisch, ohne dass den BewohnerInnen eine alternative Unterbringung in Aussicht gestellt wurde. Einige der betroffenen Familien scheinen mit ihrer Umsiedlung einverstanden zu sein, viele andere aber möchten keinesfalls nach La Barbuta umziehen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Schließung des Lagers Tor de' Cenci ist Teil des sogenannten Nomaden-Plans, mit dessen Umsetzung im Rahmen des von der italienischen Regierung erklärten "Nomaden-Notstands" 2008 in Rom begonnen wurde. Der Plan sieht die Schließung informeller, bislang aber "geduldeter" Siedlungen und die Wiederansiedlung der BewohnerInnen in zwölf bis 13 "genehmigten Ortschaften" vor. In Rom existieren neben La Barbuta derzeit noch acht weitere solcher Siedlungen. Amnesty International hat den sogenannten "Nomaden-Notstand" als gesetzeswidrig und diskriminierend kritisiert. Er weist eine Reihe von Mängeln auf und verfolgt eine an ethnischen Kriterien ausgerichtete und getrennte wohnliche Unterbringung von Menschen. Im Februar 2012 überreichte die italienische Regierung der EU-Kommission ihr mit Mitteilung 173/2011 erbetenes Strategiepapier zur Inklusion der Roma, Sinti und Caminanti. In dem Papier räumt die Regierung ein, dass in den vergangenen Jahren in übermäßiger Weise Zwangsräumungen vorgenommen worden sind. Zukünftig, so die Regierung, werde sie die getrennte Unterbringung von Roma in eigens dafür geschaffenen Lagern zu vermeiden suchen. Die Europäische Kommission befasste sich mit den Plänen der italienischen Regierung und verabschiedete dazu am 21. Mai 2012 eine Stellungnahme unter dem Titel National Roma Integration Strategies: a first step in the implementation of the EU Framework. Die Kommission nahm Bemühungen der Mitgliedstaaten um einen umfassenden Ansatz bei der Integration der Roma zu Kenntnis, verwies aber zugleich darauf, dass zusätzlich ausreichende finanzielle Mittel bereit gestellt, Kontrollmechanismen geschaffen und dem Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma mehr Gewicht beigemessen werden müsse.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Geben Sie bitte Ihre Pläne zur Schließung des Lagers Tor de' Cenci auf und siedeln Sie keine der BewohnerInnen gegen ihren Willen um. Ergreifen Sie statt dessen in Absprache mit den BewohnerInnen die notwendigen Maßnahmen, um angemessene Wohnbedingungen und eine ausreichende Infrastruktur zu schaffen.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass derzeit oder zukünftig geplante Umsiedlungen von LagerbewohnerInnen nur in enger Absprache mit allen Beteiligten vorgenommen und alternative Unterbringungsmöglichkeiten angeboten werden, bei Bedarf auch in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass das Lager Barbuta nicht als dauerhafter Wohnsitz und nicht ausschließlich für Roma-Familien genutzt wird.

APPELLE AN

BÜRGERMEISTER VON ROM
Sindaco Gianni Alemanno
Via del Campidoglio, 1, 00186 Roma, ITALIEN
(korrekte Anrede: Egregio Sindaco / Dear Mayor / Sehr geehrter Bürgermeister)
Fax: (00 39) 06 6710 3590
E-Mail: sindaco@comune.roma.it

STELLVERTRETENDER BÜRGERMEISTER VON ROM
Sveva Belviso
Via del Campidoglio, 1
00186 Roma, ITALIEN
(korrekte Anrede: Egregio Vice Sindaco / Dear Deputy Mayor / Sehr geehrter stellvertretender Bürgermeister)
Fax: (00 39) 06 6710 3590
E-Mail: sveva.belviso@comune.roma.it


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ITALIENISCHEN REPUBLIK
S.E. Herrn Michele Valensise
Hiroshimastr. 1-7
10785 Berlin
Fax: 030-2544 0116
E-Mail: segreteria.berlino@esteri.it oder consolato.berlino@esteri.it


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Italienisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 9. August 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Halt any plan to close Tor de' Cenci camp and refrain from evicting residents who are not willing to relocate, and take steps in consultation with residents to restore adequate housing conditions and infrastructure in the camp.
  • Guarantee that any current or future re-settlement of individuals living in camps is planned in genuine consultation with all camp residents and with the offer of a range of alternative adequate housing options, inclduding equal access to social housing where appropriate.
  • Ensure that La Barbuta camp is not used as a permanent housing facility and Is not used exclusively for Roma communities.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Amnesty International hat nachgewiesen, dass in den zurückliegenden Jahren bei der Zwangsräumung von Roma-Siedlungen systematisch gegen international verbriefte Menschenrechte und Standards verstoßen worden ist. Dadurch sind Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben und weiteren Angriffen auf ihre Menschenrechte ausgesetzt worden. Zwangsräumungen stellen eine schwere Menschenrechtsverletzung dar und sind nach dem Völkerrecht verboten. Italien ist Vertragsstaat internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen, die Zwangsräumungen untersagen und das Recht auf angemessenen Wohnraum garantieren. Nach den Vorschriften internationaler Menschenrechtsabkommen darf zu Zwangsräumungen nur als letztes Mittel gegriffen werden, nachdem zuvor alle möglichen Alternativen geprüft worden sind. Zudem müssen verfahrensrechtliche und gesetzliche Schutzvorkehrungen vorhanden sein. Dazu zählen eine umfassende Konsultation mit den betroffenen Personen, eine rechtzeitige Benachrichtigung über die geplanten Maßnahmen und die Bereitstellung von Rechtsmitteln. Es ist unter allen Umständen zu vermeiden, dass Menschen als Folge einer Zwangsräumung obdachlos werden und Gefahr laufen, weitere Menschenrechtsverletzungen zu erleiden. Ersatzunterkünfte müssen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen.


Nähere Informationen zum Thema finden Sie in den folgenden Dokumenten:
http://www.amnesty.de/mit-menschenrechten-gegen-armut/wohnen-wuerde/amnestys-kritikpunkte-am-nomaden-plan
http://www.amnesty.de/mit-menschenrechten-gegen-armut/wohnen-wuerde/geaechtet-und-verdraengt

Roma moved "like pawns on a chessboard" under Rome's Nomad Plan, Blog 8
http://livewire.amnesty.org/2012/06/08/roma-moved-%E2%80%98like-pawns-on-a-chessboard%E2%80%99-under-rome%E2%80%99s-%E2%80%99nomad-plan%E2%80%99/

Diese Veröffentlichungen sind Teil der weltweiten Kampagne "Wohnen. In Würde" und der europäischen Antidiskriminierungskampagne von Amnesty International.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
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Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2012